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Notizen zur Ungleichheitsdebatte

 

Die Welt hat heute ein schönes Streitgespräch zwischen Clemens Fuest und Marcel Fratzscher, das zum Kern des Problems vordringt. Die Diagnose ist ja nicht umstritten: In Deutschland hat die Ungleichheit der Markteinkommen deutlich zugenommen, das wird jedoch zum Teil dadurch kompensiert, dass die am Markt Benachteiligten Sozialtransfers erhalten. Deshalb ist die Entwicklung der verfügbaren Einkommen weniger dramatisch verlaufen.

Für Fuest ist das kein pathologisches Ergebnis, sondern letztlich kluge Politik.

Die Mittelschicht in den Industrieländern ist durch den Aufstieg der Schwellenländer unter Druck geraten. Das erklärt einen Teil des Auseinanderdriftens der Bruttoeinkommen zwischen Hoch- und Geringqualifizierten in Deutschland. Der deutsche Sozialstaat hält aber dagegen, Deutschland gehört zu den vier OECD-Ländern, in denen am meisten umverteilt wird.

Das Argument lautet also: Durch die Globalisierung und den technischen Fortschritt hat sich die weltweite Einkommensverteilung verbessert, aber auf Kosten der Einkommensverteilung in den Industrienationen: Weil der chinesischer Arbeiter reicher wird, wird der deutsche Arbeiter ärmer. Deshalb greift der Staat ein und gewährt Zuschüsse. Die sekundäre Einkommensverteilung weicht deutlich von der primären ab.

Fratzscher bestreitet das:

Studien zeigen, dass nicht die Globalisierung entscheidend für steigende Ungleichheit ist, sondern Bildung und der Zugang zu Bildung. Und da schneidet Deutschland zunehmend schlechter ab.

Aus seiner Sicht kann durch entsprechende Qualifikationsmaßnahmen die primäre Einkommensverteilung so weit verbessert werden, dass der Staat auf der sekundären Ebene weniger tun muss.

Was ist korrekt?

Ich habe in meinem Beitrag zu der Debatte ähnlich wie Fratzscher argumentiert: Die Globalisierung wird oft vorschnell als Erklärungsmuster herangezogen, um Versagen in der Bildungspolitik zu kaschieren und das Auseinanderdriften der Primärverteilung zu rechtfertigen. Auf der anderen Seite aber glaube ich, dass es Fratzscher sich zu einfach macht, wenn er das einfach für irrelevant erklärt. Neuere Studien etwa von David Autor legen nahe, dass die Handelsintegration durchaus in den Industriestaaten Jobs vernichten und das Einkommen der Arbeitnehmer nach unten drücken kann. Und auch die Literatur über die Folgen der Automatisierung deuten auf solche Effekte.

Bildung ist immer gut und wichtig, aber nicht jeder Deutsche hat das Zeug zum Maschinenbauingenieur oder Germanistikprofessor. Eine bestimmte Gruppe von Jobs die früher ein auskömmliches Einkommen auch bei geringer Qualifikation boten, gibt es womöglich wirklich schon bald nicht mehr. Wenn man dann die Löhne künstlich zu weit in die Höhe treibt, gibt es einfach überhaupt keine Arbeit mehr. Deshalb muss der Staat eben genau mit der Politik reagieren, die Fuest anspricht: Lohnzuschüsse, negative Einkommenssteuern oder vielleicht sogar so etwas wie ein Grundeinkommen.

Kurz: Es ist wichtig, die Primärverteilung zurück in die Debatte zu holen, aber ohne staatliche Umverteilung wird es nicht gehen.