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Rentenreform – mit welchem Fokus?

 

Logo: Wirtschaftsdienst - Zeitschrift für WirtschaftspolitikExklusiv aus dem Wirtschaftsdienst: Der Altenquotient steigt deutlich an, das Rentenniveau sinkt. Diese Problemlage fordert die Politik heraus, entsprechend will Sozialministerin Nahles in diesem Herbst Eckpunkte einer Rentenreform vorlegen. An welchen Stellschrauben soll aber gedreht werden? Betriebliche Altersvorsorge, private oder gesetzliche Rente? Beitragsbasis erweitern, Renteneintrittsalter anheben oder staatliche Zuschüsse erhöhen? Über den richtigen Fokus einer Rentenreform diskutieren Rentenexperten in der aktuellen Ausgabe des Wirtschaftsdienst.

Franz Ruland, ehemaliger Geschäftsführer des Verbandes der Rentenversicherungsträger, stellt die Lage düster dar: Der Altenquotient (das Verhältnis der über 65-Jährigen zu den 20- bis unter 65-Jährigen) wird sich von heute 34 Prozent auf 69 Prozent im Jahr 2060 verdoppeln. Das hat Konsequenzen: Entweder der Beitragssatz muss deutlich steigen oder das Rentenniveau sinken, wobei er die derzeitige Diskussion über Altersarmut für übertrieben hält, da der Anteil der Armutsgefährdeten in der Gruppe der über 65-Jährigen niedriger sei als in der Bevölkerung insgesamt. Angesichts der steigenden Lebenserwartung hält er eine Anhebung des Renteneintrittsalters für sinnvoll, auch wenn dadurch keine „Wunder“ zu erwarten seien. Eine flexible Option hierfür wäre es, das Renteneintrittsalter zukünftig so anzupassen, dass die Lebensarbeitszeit (Arbeitszeit nach dem Alter von 20) zur erwarteten Dauer des Rentenbezugs im Verhältnis 2 zu 1 steht.

Friedrich Breyer, VWL-Professor an der Uni Konstanz, diskutiert in seinem Beitrag den Focus der Rentenreform aus der Perspektive der Verteilungsgerechtigkeit. Dabei legt er zwei Gerechtigkeitskriterien zu Grunde: das Verursacherprinzip und das Nutznießerprinzip. Bezüglich der Gerechtigkeit zwischen den Generationen, der jüngeren Generation der Beitragszahler und der älteren Generation der Rentenempfänger, sprächen beide Kriterien für langfristig stabile Beitragssätze, so Breyer. Die Kosten wären also von der älteren Generation durch ein niedrigeres Rentenniveau oder eine längere Lebensarbeitszeit zu tragen. Zur Herstellung von Verteilungsgerechtigkeit innerhalb der Generationen müsse man nach dem Nutznießerprinzip in der Rentenformel wegen unterschiedlicher Lebenserwartungen „die derzeit bestehende implizite Umverteilung von Gering- zu Besserverdienenden beseitigen“. Was im Übrigen die Altersarmut senken würde.

Die drei weiteren Teilnehmer des Zeitgesprächs sehen grundsätzliche Probleme bei den Reformansätzen, denn wie Tim Köhler-Rama, Dozent an der Hochschule des Bundes in Berlin, schreibt: „Eine sachgerechte Rentenpolitik kommt […] nicht umhin, zuerst Klarheit über die Zielsetzung der GRV zu schaffen und die Frage des künftigen Rentenniveaus zu beantworten […].“ Genau wie Winfried Schmähl, Emeritus der Uni Bremen, und Volker Meinhardt, freier Wissenschaftler und Politikberater, hält er deshalb die Einnahmeorientierung der Reformansätze (sprich: die Fixierung auf die Deckelung des Beitragssatzes) für verfehlt.

Das Ziel der Rentenreform sollte es sein, eine Glättung der Einkommensentwicklung zu erreichen und den Lebensstandard der Rentner zu sichern, so Köhler-Rama. Dies gelingt aber keineswegs durch die zweite und dritte Säule des Rentenversicherungssystems: die private Altersvorsorge sei mit „deutlich höheren Kosten als [die] GRV-Vorsorge verbunden“ (Schmähl) und ihr Verbreitungsgrad sei „zu gering, um ernsthaft von ‚Säulen‘ der Alterssicherung sprechen zu können“ (Köhler-Rama), von der betrieblichen Altersvorsorge profitieren bisher nur sehr wenige Rentner, vor allem ehemalige Beschäftigte des öffentlichen Dienstes (Meinhardt).

Ein Strategiewechsel sei erforderlich, so Schmähl. Er wünscht sich ein Zurückdrehen der Schrauben und eine Konzentration auf das wahre Herzstück der Altersvorsorge: die umlagefinanzierte Rentenversicherung. Wenn die Haushalte nicht mehr veranlasst werden, die teure Privatvorsorge zu finanzieren, können sie genügend Mittel für eine Beitragssatzsteigerung erübrigen. Außerdem würde der Staat Subventionen für die Privatvorsorge sparen und könnte diese sozialpolitisch gezielt in die gesetzliche Rentenversicherung stecken.

Ebenso Volker Meinhardt: „Die Vorstellung, dass sich mit privat angelegtem Kapital über die Finanzmärkte eine höhere Absicherung erzielen ließe als im Umlageverfahren, stellte sich als Illusion heraus.“ Er plädiert ebenfalls für eine Stärkung der gesetzlichen Rentenversicherung und verweist dabei auf das Rentensystem in Österreich. Dort werde ein deutlich höheres Rentenniveau als in Deutschland erreicht – das im OECD-Vergleich unterdurchschnittlich ist.

Lesen Sie hier exklusiv vorab das aktuelle Zeitgespräch aus der Oktober-Ausgabe des Wirtschaftsdienst:

Rentenreform – mit welchem Fokus?, in: Wirtschaftsdienst 10/2016 (mit folgenden fünf Beiträgen: „Die Rentenversicherung und die künftige demografische Entwicklung – zur Rentenpolitik bis 2060“ von Franz Ruland; „Rentenreform und Gerechtigkeit zwischen und innerhalb der Generationen“ von Friedrich Breyer; „Höchste Zeit für einen Ausstieg aus dem Ausstieg“ von Winfried Schmähl; „Deutschland im Renten-Niemandsland“ von Tim Köhler-Rama; „Alterssicherung heißt Alter sichern“ von Volker Meinhardt)