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Die Multis müssen mehr Steuern zahlen

 

Seit 1975 versucht die EU, eine einheitliche Gewinnbesteuerung hinzubekommen. Es hat nicht geklappt, und es wird auch nicht klappen, so lange Steueroasen wie Luxemburg, Holland, Irland oder Malta solche Versuche blockieren. Die Politiker dieser Länder wissen, dass sie eine lukrative Einkommensquelle verlieren würden, genauer: dass es nach einer solchen Steuerreform nicht mehr möglich wäre, Steueraufkommen, das wirtschaftlich den Finanzämtern – und damit den Steuerzahlern – in Deutschland, Frankreich, Spanien, Skandinavien und so weiter zusteht, zu stehlen, und zwar ohne dass sie sich groß anstrengen müssen. Nichts ist schöner als eine Rente, ein arbeitsloses Einkommen. Genau wie zahlreiche andere Steueroasen im Rest der Welt bieten die genannten EU-Steueroasen den Multis einfach extrem niedrige Steuersätze an, wenn sie ihre Gewinne bei ihnen versteuern. Wenn alles mit rechten Dingen zuginge, könnte die Abgabenlast der „normalen“ Steuerpflichtigen um viele Milliarden Euro niedriger sein als sie ist. Es kann so nicht weitergehen.

Ein Ökonom, der sich als einer der Wenigen mit diesem Thema beschäftigt, ist der Franzose Gabriel Zucman, zur Zeit Professor an der University of California in Berkeley. Er hat soeben mit seinem Co-Autor Thomas Wright von der britischen Treasury einen Aufsatz vorgelegt („The Exorbitant Tax Privilege“), in dem er der Frage nachgeht, warum die USA, der größte Nettoschuldner der Welt, ein deutlich positives Nettovermögenseinkommen aus dem Ausland beziehen. Wie kann das sein? Die Gewinnverlagerung in Steueroasen sei der eine Grund, die außerordentlich hohen Erträge der Ölfirmen aus ihren Aktivitäten im Nahen Osten der andere – das amerikanische Militär gewährt den dortigen Autokraten und Diktatoren Schutz, und die Firmen werden dafür auf die großzügigste Weise mit einer geringen Steuerbelastung entlohnt.

Nebenbei bemerkt: Ein beträchtlicher Teil der amerikanischen Militärausgaben hat daher fast nichts oder gar nichts mit den Aufgaben der NATO zu tun; er betrifft nicht zuletzt das teure US-Engagement in Asien. Vielleicht kann mal jemand nachrechnen, wie hoch die NATO-relevanten Aufwendungen tatsächlich sind – möglicherweise auch nur 1,25 Prozent des US-BIP, wie in Deutschland. Das wäre was.

Grafik: Nettoauslandsvermögen und Nettovermögenseinkommen der USA

Angesichts einer amerikanischen Nettovermögensposition gegenüber dem Ausland von minus (!) 8,062 Billionen Dollar Ende 2017 (abzgl. monetärer Goldbestände gerechnet) würde der unbefangene Leser bei einem durchschnittlichen Schuldzins von, sagen wir, bescheidenen vier Prozent erwarten, dass der Saldo der Vermögenseinkommen 2017 bei etwa minus 323 Mrd. Dollar lag. In Wirklichkeit aber gab es einen Überschuss von 235 Mrd. Dollar, eine Differenz von 558 Mrd. Dollar, oder etwa drei Prozent des US-BIP. Das meinen die beiden Autoren mit ihrem exorbitant tax privilege der USA.

In Deutschland sieht es ganz anders aus, obwohl es auch bei uns Multis gibt, die schon mal was von Steueroasen gehört haben. Unser Land hat seit ewigen Zeiten einen positiven Saldo in seiner Leistungsbilanz und häuft daher netto Auslandsvermögen an. Ende 2017 waren es 1,926 Billionen Euro. Nur Japan hatte mehr. Aus diesem Vermögen wurde 2017 per Saldo ein Einkommen von 68,6 Mrd. Euro erzielt, etwas mehr als zwei Prozent des BIP und eine effektive jährliche Verzinsung von 3,6 Prozent. Mit anderen Worten, die Manager des deutschen Auslandsvermögens schneiden im Vergleich zu ihren amerikanischen Kollegen katastrophal schlecht ab. Na ja, das ist bei genauerem Hinsehen unfair. Die Bundeswehr hält sich ja glücklicherweise aus den Händeln im Nahen Osten weitgehend heraus, patrouilliert auch nicht im Chinesischen Meer und hat keine Truppen in Japan und Südkorea stationiert. Die Auslandsaktiva werden nicht militärisch geschützt.

In einem anderen Aufsatz, der ebenfalls in diesen Tagen erschienen ist („Towards real taxation of the digital giants“), zeigt Gabriel Zucman, dass es überhaupt nicht nötig ist, bei der Reform der europäischen Gewinnbesteuerung darauf zu warten, dass Luxemburg und Irland eines Tages beidrehen und ihr komfortables Renteneinkommen aufgeben. Er schlägt nämlich vor, die Gesamtgewinne der (amerikanischen) Unternehmen nach Maßgabe der Umsätze, die in den einzelnen Ländern erzielt werden, zuzuordnen. Ich übersetze mal drei Passagen des Aufsatzes, die unser Land betreffen:

„Wenn beispielsweise Apple 10 Prozent seines Umsatzes in Deutschland macht, sollten 10 Prozent der globalen Gewinne in Deutschland versteuert werden. Mit diesem Ansatz würde verhindert, dass überproportionale Gewinne auf Bermuda oder in Irland entstehen. […] Diese Lösung eignet sich besonders gut für die Tech-Giganten. Was Apple angeht, weiß das [Berliner] Finanzministerium genau, wie groß der Umsatz mit Computern, Handys, Tablets und digitalen Dienstleistungen in Deutschland ist. Die Endkunden dieser Multis sind bekannt, weil das für die Berechnung der Mehrwertsteuer erforderlich ist. […] Niemand kann Deutschland, Frankreich und andere europäische Länder daran hindern, eine solche Reform unilateral durchzusetzen. Die Regierungen können die Firmen, die in ihrem Land tätig sind, dazu veranlassen, ihnen die Daten über den globalen Gesamtgewinn sowie die Umsätze auf ihrem Territorium zur Verfügung zu stellen.“

Um einen Eindruck von den Größenordnungen zu geben, die für eine nationale (deutsche) Gewinnbesteuerung relevant sind, haben wir die für das Jahr 2018 erwarteten Gewinne amerikanischer Multis in einer kleinen Tabelle einmal aufgelistet:

Tabelle: Umsatz und Gewinn ausgewählter US-Multis

Olaf Scholz sollte Gabriel Zucman einen größeren Forschungsauftrag zukommen lassen, zusammen mit seinem französischen Amtskollegen Bruno Le Maire.