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EZB kann es allein nicht schaffen

 

Von draußen betrachtet sieht der Versuch der EZB, die Inflationsrate auf die Zielmarke von knapp unter zwei Prozent oder darüber hinaus zu hieven, wie verlorene Liebesmüh‘ aus.

Grafik: EZB: Inflationsziel nicht erreicht

Es hat nicht geklappt, obwohl die Geldpolitik extrem expansiv ist. Das Bilanzvolumen des Eurosystems hat sich in den vergangenen 12 Jahren knapp vervierfacht, während die Leitzinsen schon seit Anfang 2016 bei 0% beziehungsweise -0,4% liegen, also fast so niedrig sind wie es überhaupt nur geht.

Grafik: Leitzinsen der EZB

Im Juni betrug die Inflationsrate der harmonisierten Verbraucherpreise im Vorjahresvergleich voraussichtlich nur 1,3 Prozent, die Kernrate 0,9 Prozent – kaum anders als in den vergangenen sechs Jahren. Zugegebenermaßen könnte die expansive Geldpolitik immerhin verhindert haben, dass inzwischen Deflation herrscht. Wir wissen es nicht.

Der EZB ist es nicht gelungen, die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen so zu stimulieren, dass Haushalte und Unternehmen weniger sparen, mehr Geld ausgeben, dadurch die Outputlücke verkleinern und damit Spielräume für dauerhaft höhere Löhne und Preise schaffen; ebenso wenig ist es ihr gelungen, die mittelfristigen Inflationserwartungen in der Nähe von zwei Prozent zu stabilisieren.

Das ist aber ihr eigentliches Ziel. Seit Anfang 2012 weist der Trend hier nach unten. In den vergangenen zwölf Monaten ist es mit den Erwartungen sogar beschleunigt nach unten gegangen: Die Erwartungen für die Inflation in fünf Jahren für die folgenden fünf Jahre, wie sie an den 5y/5y Inflationsswaps abzulesen sind, sind von 1,74 Prozent auf heute 1,22 Prozent gefallen. Ähnlich das Bild, das die Märkte für inflationsgeschützte Staatsanleihen vermitteln. Im Zehnjahresbereich wird danach für Frankreich eine durchschnittliche Inflationsrate von 0,8 Prozent erwartet, für Deutschland eine von 0,7 Prozent und für Italien, einst das Hochinflationsland schlechthin, eine von 0,5 Prozent.

Es geht einfach in die falsche Richtung. Jetzt, da die Ära Draghi zu Ende geht, wird diskutiert, was sich denn noch machen lässt. Geht es nach den Analysten, die sich darüber in den Medien auslassen, ist es am wahrscheinlichsten, dass der Einlagesatz für Banken in diesem Jahr in zwei Schritten von jeweils 0,1-Prozentpunkten auf -0,6 Prozent gesenkt wird. Eine Neuauflage des Wertpapierankaufprogramms (APP) ist eine andere Möglichkeit, die Draghi selbst kürzlich (in Sintra) ins Spiel gebracht hat, sowie natürlich weitere gezielte längerfristige Refinanzierungsgeschäfte (TLTROs), die bereits beschlossene Sache sind.

Da diese Instrumente bisher nicht so richtig gewirkt haben, jedenfalls was die Inflationserwartungen angeht, soll jetzt offenbar einfach noch einmal draufgesattelt werden. Die EZB will so flexibel sein, wie es ihr Mandat erlaubt, und alles tun, damit es nicht zur Deflation kommt. Ein Instrument scheint aber nicht ernsthaft in Betracht zu kommen, höchstens als letztes Mittel, wenn die Wirtschaft tatsächlich in eine Deflation abgerutscht ist: Helicopter Money – das direkte Verteilen von Geld an die privaten Haushalte durch die Zentralbank.

In der Theorie stimulieren Geldgeschenke an die Bevölkerung (oder die Regierungen) die Endnachfrage viel stärker als Quantitative Easing (der Ankauf von Wertpapieren). Bei Letzterem kommt es bei den Verkäufern der Wertpapiere (an das Eurosystem) nur zu einem Aktivtausch in ihren Bilanzen: Heute halte ich zum Beispiel Bundesanleihen, morgen habe ich stattdessen ein größeres Bankguthaben. Mein Vermögen hat sich nicht geändert, nur seine Struktur. Wenn ich die alte Zusammensetzung des Portefeuilles wiederherstellen möchte, kommt es netto zu keinen zusätzlichen Ausgaben für Konsum und Investitionen. Der wichtigste Effekt besteht darin, dass die Zinsen am langen Ende sinken werden, was wiederum für sich genommen die Nachfrage nach zinssensiblen Hypotheken erhöht. Wir erleben das gerade hierzulande (auch weil es bei Immobilien einen lange aufgestauten Nachholbedarf gibt).

Bei Helicopter Money, das die EZB verteilen würde, bis die Inflation nachhaltig bei zwei Prozent liegt, kommt es bei den Haushalten zu einem Anstieg des Geldvermögens, dem keine Verbindlichkeiten gegenüber stehen (in der Bilanz des Eurosystems würde das neu geschaffene Geld auf der Passivseite gebucht; der Gegenposten auf der Aktivseite wären vermutlich unverzinsliche und de facto nicht zurückzuzahlende Staatsanleihen). Die Leute hätten tatsächlich mehr Geld zur Verfügung und würden sich ziemlich rasch, wenn auch nicht im vollen Umfang des Transfers, ans Einkaufen machen – bis, ja bis, die Inflation endlich ins Rollen kommt. Keine Ahnung, wie lang das dauern wird. Bei einer Outputlücke im Euroraum, die nach meiner Rechnung rund 12,5 Prozent beträgt, vermutlich eine ganze Weile.

Im Grunde müsste die EZB für höhere Lohnabschlüsse plädieren, da es keine Verbraucherpreisinflation ohne Lohninflation gibt. Das hat sie meines Wissens aber noch nie getan.

Stattdessen möchte Draghi, dass es endlich zu einer wirksamen europäischen Finanzpolitik kommt: „In den vergangenen zehn Jahren war die Geldpolitik fast allein für die makroökonomischen Anpassungsprozesse verantwortlich … Es gab Fälle, in denen die Finanzpolitik auf pro-zyklische Weise gegen die Geldpolitik gerichtet war“, klagte er in Sintra. Und das mit Recht. Maastricht muss nicht nur reformiert werden, wofür ich erst kürzlich argumentiert habe, ähnlich wie Olivier Blanchard, sondern, so Draghi, es müsste auch die Arbeit an einem ausreichend großen und breit angelegten gemeinsamen finanzpolitischen Stabilisierungsinstrument entschlossen fortgesetzt werden.

Der Euro wird auf Dauer nur überleben, wenn es neben der Geldpolitik auch eine wirksame europäische Finanzpolitik gibt, vielleicht zunächst einmal in Gestalt eines Schatzamtes, das Anleihen für europäische Projekte begibt und eigene Einnahmequellen hat. Müssen wir dafür erst auf die nächste tiefe Rezession warten?