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Mindestbesteuerung multinationaler Unternehmen in Sicht

 

Logo: Wirtschaftsdienst - Zeitschrift für WirtschaftspolitikExklusiv aus dem Wirtschaftsdienst: Ein System, um multinationale Unternehmen international effektiv zu besteuern, soll bis Ende 2020 ausverhandelt werden. Die Chancen auf einen Erfolg stehen nicht schlecht, meinen Johannes Becker und Joachim Englisch. In der September-Ausgabe des Wirtschaftsdienst skizzieren die beiden Finanzwissenschaftler aus Münster die Hintergründe und den Fortschritt der Verhandlungen und geben einen Ausblick darauf, wie das System ausgestaltet sein könnte.

Mittlerweile verhandeln 132 Staaten über ein Abkommen zur Mindestbesteuerung. Dabei soll nach jetzigem Stand nicht nach Branchen differenziert werden, da jede Abgrenzung arbiträr ist und zu Verzerrungen führt. Stattdessen wird eine Reform diskutiert, die aus zwei Säulen bestehen soll: „Die Maßnahmen der ersten Säule zielen auf eine Verlagerung von Besteuerungsrechten in die Marktstaaten, also dorthin, wo die Konsumenten sind“, führen Becker und Englisch aus. Ein iPhone-Käufer aus Münster würde wohl kaum nach Dublin reisen, damit die Steuerlast von Apple sinkt. Anders als die USA steht Deutschland dieser Säule eher skeptisch gegenüber, da tendenziell Länder mit einem Handelsdefizit davon profitieren würden.

Die zweite Säule, die auf eine deutsch-französische Initiative zurückgeht, betrifft die effektiven Mindeststeuersätze. „Im Wesentlichen soll dieses Instrument sicherstellen, dass Unternehmensgewinne unabhängig davon, wo sie erwirtschaftet wurden, nicht unterhalb eines vereinbarten Mindestsatzes besteuert werden“, erläutern Becker und Englisch und betonen dabei: „Die Ergänzung des Adjektivs ‚effektiv‘ ist hier durchaus wichtig – es bedeutet, dass sich die Mindeststeuer aus tatsächlich gezahlten Steuern auf reale, und nicht auf zu Steuerzwecken kleingerechnete Gewinne berechnet“. Diese zweite Säule besteht aus einer „Income Inclusion Rule“ und einer „Tax on Base Eroding Payments“.

Das erste Element der zweiten Säule, die „Income Inclusion Rule“, gibt Staaten das Recht, die Steuerlast von ausländischen Tochterunternehmen und Betriebsstätten inländischer Unternehmen zu erhöhen, bis der effektive Mindeststeuersatz erreicht ist. „Würden also die irischen Tochterfirmen eines deutschen Unternehmens weniger als z. B. 12,5 % ihrer Gewinne als Steuern abführen, könnte der deutsche Staat das Unternehmen mit der Differenz belasten, sodass insgesamt 12,5 % des Gewinns als Steuern abgeführt werden“, erklären Becker und Englisch.

Das zweite Element der zweiten Säule, die „Tax on Base Eroding Payments“, betrifft die inländischen Gewinne ausländischer Unternehmen. „Diese Steuer belastet abfließende Zahlungen an verbundene Unternehmen im Ausland – und zwar immer dann, wenn die vom Zahlungsempfänger erwirtschafteten Gewinne zu niedrig besteuert werden und keiner Income Inclusion Rule unterliegen“, so Becker und Englisch weiter.

Warum ist eine internationale Mindestbesteuerung jedoch überhaupt wünschenswert? Aus Sicht von Johannes Becker und Joachim Englisch ist eine Untergrenze für den globalen Steuerwettbewerb aus folgenden Gründen sinnvoll:

  1. „Eine Mindeststeuer verringert die Steuerunterschiede und macht die internationale Kapitalallokation effizienter.“
  2. „Mindeststeuern reduzieren bei gegebener Allokation von Realkapital die Anreize, Gewinne zu verschieben.“
  3. „Mindeststeuern dämpfen den Steuerwettbewerb.“

Kritisiert wird der Ansatz der Mindestbesteuerung vor allem dafür, dass er die Souveränität der Staaten beschneidet und diese die Steuern gemäß dem Abkommen ausrichten müssten. Ebenso betonen Kritiker, dass der Steuerwettbewerb durchaus positive Wohlfahrtseffekte mit sich bringe. Darüber hinaus wird eingewandt, dass Anwendung und Umsetzung eines Abkommens zur Mindestbesteuerung alles andere als einfach würden. Die zu erwartende Komplexität sorge zudem bei den Unternehmen für Unruhe, die von dem Abkommen betroffen sein werden. Die „Compliance-Kosten“ könnten am Ende den gesamtgesellschaftlichen Nutzen eines möglichen Abkommens infrage stellen.

Trotz der kritischen Einwände, sind sich Becker und Englisch sicher, dass eine umfassende und international abgestimmte Mindeststeuer enorme Vorteile bieten könnte und die Effizienz der Besteuerung deutlich steigern würde. Alle großen Staaten befürworten eine Mindestbesteuerung, sodass ein Konsens darüber bis 2020 durchaus wahrscheinlich ist, auch wenn gerade die Steueroasen von heue einen Anreiz haben, das Abkommen zu verwässern oder zu blockieren.

Lesen Sie hier ausführlich den Beitrag von Johannes Becker und Joachim Englisch aus der September-Ausgabe des Wirtschaftsdienst:

Internationale Mindestbesteuerung von Unternehmen, in: Wirtschaftsdienst 9/2019, S. 642-649