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Der Dschihad der Bürgerkinder

 

Mein Artikel aus der ZEIT von morgen, Donnerstag, 13. September 2007

Der Dschihad spricht jetzt auch deutsch und hört auf Namen wie Fritz und Daniel. Das ist nicht nur für die deutsche Mehrheitsgesellschaft ein Schock. Für die Islamverbände hierzulande hatte die Nachricht, dass zwei deutsche Konvertiten daran gehindert wurden, in Deutschland verheerende Anschläge zu begehen, eine ebenso bittere wie heikle Seite. Unter den hiesigen Muslimen machen Neubekehrte schätzungsweise höchstens zwei bis drei Prozent aus. Genaue Zahlen gibt es nicht, weil Moscheegemeinden keine Mitgliedslisten führen. Doch im Zentralrat der Muslime, dessen Vorsitzender Ayyub Axel Köhler auch den neuen Koordinationsrat der Muslime (KRM) anführt – Innenminister Schäubles Gegenüber in der Deutschen Islamkonferenz –, haben auffällig viele Konvertierte das Sagen.
Vielleicht fällt darum die Stellungnahme des KRM zu den abgewehrten Anschlägen so merkwürdig klamm und schmallippig aus. Man verurteilt zwar den »erneuten Versuch des Missbrauchs der friedlichen und friedliebenden Religion des Islams für extremistische und terroristische Interessen«. Und appelliert, »jeglichen extremistischen Ideologien eine deutliche Absage zu erteilen und ihnen keinen Platz in Moscheen zu gewähren«. Doch die größte Sorge des KRM ist offenbar, dass durch die Terroristen »alle Muslime unter Generalverdacht« geraten könnten. Pflichtschuldig Distanz markieren und flugs in die Opferrolle abtauchen – so wird das peinliche Thema schnell entsorgt. Der Ball wird ins Feld der Nichtmuslime geschlagen, die bitte ihre Vorurteile im Blick behalten sollen: »Die Vorstellung, dass insbesondere Konvertiten anfällig für extremistische Positionen sind«, so Köhler, »weise ich entschieden zurück.«

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Adam Gadahn alias Azzam Al-Amriki Fotos: FBI Most Wanted

Konvertiten suchen den echten, unverdünnten Stoff
Hat Köhler nicht recht? Die große Mehrheit der Konvertiten hierzulande findet schließlich durch die weltliche Liebe zum Islam – meist deutsche Frauen, die einem Muslim heiraten. Und viele der Wortführer des deutschen Islams – neben Köhler etwa der frühere deutsche Botschafter Murad Winfried Hofmann oder der Berliner Imam Mohammed Herzog – sind spirituelle Sucher, keine politischen Islamisten. Sie haben in den glücklichen Tagen den Glauben gewechselt, als die deutsche Orientromantik – eine alte Tradition von Goethe über Friedrich Rückert und Karl May bis zu Annemarie Schimmel – noch nicht vom Qaida-Terror überschattet war. Sie sind Konservative, aber zweifellos keine Extremisten: Wer konvertiert, hat meist kein Interesse an Reform und Erneuerung. Man wechselt den Glauben nicht, um sich gleich wieder mit Zweifeln und Ambivalenz herumzuschlagen. Man sucht den echten, unverdünnten Stoff.
Viele von ihnen sind enttäuschte Christen, die im Islam den »reineren« Monotheismus fanden. Keine umständlichen theologischen Kon­struk­tio­nen wie die Dreifaltigkeit, keine haarspalterischen Debatten über die Natur Jesu als »wahrer Sohn und Mensch zugleich«. Und vor allem keine Ursünde, keine Kreuzigung, keine Auferstehung, keine Erlösung. Die Schöpfung ist gut und gerechtfertigt, wie sie von Allah erschaffen wurde. Der Koran ist das unverfälscht erhaltene Wort Gottes. Halte dich an die fünf Säulen und die sechs Glaubensgrundsätze, und du bist auf der sicheren Seite.
Doch in diese heile Welt des orientalistischen Gottsuchertums sind nun Fritz und Daniel eingebrochen, Deutschlands erste echte homegrown terrorists. Sie haben mit dem Islam Handfesteres vor als die früheren islamophilen Deutschen, die in der untergegangenen Welt des West-östlichen Diwans Erlösung suchten.
Es ist nicht viel damit gewonnen, wenn die Islamverbände erklären, Fritz G. und Daniel S. seien qua Terrorismus keine Muslime, denn der Islam verbiete »Gewalt gegen Zivilpersonen«. Jene sehen sich durchaus als Muslime, und es hängen Menschenleben davon ab, ob man es verstehen lernt, wie sie und andere zu diesem radikalen Glauben kommen.
Was treibt sie? Wer auf die Suche nach inneren Motiven geht, wie es inzwischen eine ganze Horde von Islamwissenschaftlern tut, wird immer wieder auf den recht banalen Befund treffen, es handele sich meist um junge Männer aus der Mittelschicht, die religiös vorgeprägt sind und in eine Lebenskrise geraten. Marc Sageman, ein forensischer Psychiater und früherer CIA-Mitarbeiter, hat Dutzende von Konversionen zum radikalen Islam analysiert. Das einzige gemeinsame Merkmal, so Sageman, sei, dass es sich durchweg um »isolierte, einsame und emotional entfremdete junge Männer« handelt. Anfangs sei darum für diese Verlorenen die Aufnahme in eine verschworene Gruppe sehr viel wichtiger als die dschihadistische Ideologie. Wenn sich erst einmal die Vorteile des Aufgehobenseins in der Gruppe bemerkbar machen, tritt die Ideologie in den Vordergrund: Durch regelrechte Übertrumpfungswettbewerbe signalisieren die Neubekehrten in der Gruppe ihre Zugehörigkeit. In den sich radikalisierenden Zirkeln ist ab einem bestimmten Punkt nicht mehr wichtig, wer Konvertit und wer als Muslim geboren ist: Denn alle sind im Geiste der Dschihad-Ideologie »wiedergeborene Muslime«. Die einen haben die Ungläubigkeit überwunden, die anderen die Trägheit ihrer traditionalistischen Glaubensbrüder, die im Blick des radikalen Islamismus noch schlimmer ist als Unglaube. Mit der Herkunft gebrochen zu haben verbindet neue Muslime wie Fritz G. und Daniel S. mit »born again muslims« wie dem türkischstämmigen Adem Y., der zusammen mit ihnen verhaftet wurde.
Aber dies sind Mechanismen der Radikalisierung in Gruppen, die nicht spezifisch islamistisch sind. Man kennt sie auch aus der Beziehungsdynamik der RAF. Was ist das besondere Angebot, das jene Konvertiten ergreifen, die sich nicht so sehr zum Islam, sondern gleich zum Islamismus bekehren? Sie würden, wie es Benno Köpfer vom baden-württembergischen Verfassungsschutz ausdrückt, »nicht so sehr vom Islam als Religion angezogen, sondern vom Islam als Ideologie«. Und in diesem Sinn markiert die Verhaftung der Gotteskrieger Fritz und Daniel einen Einschnitt in der deutschen Protestgeschichte: »Der Dschihadismus«, stellt der Extremismusforscher Eberhard Seidel fest, »ist kein Importartikel mehr, sondern ein einheimisches Ideologieangebot. In Deutschland gibt es zurzeit zwei Heilsversprechen, die die Systemüberwindung und die Erhöhung der eigenen Person in Aussicht stellen: den Rechtsextremismus und den Islamismus. Der Islamismus verzichtet auf die Exklusivität des Blutes und lädt jeden ein, der sich in einem Akt des Voluntarismus zu ihm bekennt. Als Internationalismus des 21. Jahrhunderts ist der Islamismus deshalb auch für Sinn- und Aktionssuchende attraktiv, denen der Islam nicht in die Wiege gelegt wurde.«
In der jüngsten Videobotschaft Osama bin Ladens ist dieser Internationalismus mit Händen zu greifen. Wer sich nicht vom gefärbten Bart des Terrorpropheten ablenken lässt, kann in der Ansprache den geschickten Versuch eines ideologischen Relaunches erkennen: Bin Laden präsentiert sich als Globalisierungskritiker. Er lobt Noam Chomsky und schimpft auf das amerikanische Kapital, das für die Erderwärmung verantwortlich sei. Bush klagt er an, als Büttel der Industrie das Kyoto-Protokoll zu missachten und Millionen Tote – »vor allem in Afrika« – in Kauf zu nehmen. Er hetzt nicht einmal mehr gegen die »Zionisten«, sondern betont die Toleranz des Kalifats gegenüber Minderheiten. Die europäischen Juden könnten noch leben, wären sie Schutzbefohlene unter islamischer Herrschaft gewesen. Der Islamismus löst sich vom Nahostkonflikt und erfindet sich neu als eine um­fas­sen­de, alternative Form der Globalisierung im Zeichen der imaginären Umma.
Der Islam hat heute einen
Nimbus des »radical chic«
Bin Laden hat sein Angebot für ein neues Publikum überarbeitet: Die Al-Qaida-Rekruten für die neue Phase des Kampfes sind nicht mehr wütende junge Männer aus den Tyranneien des Nahen Ostens oder aus palästinensischen Flüchtlingscamps. Bin Laden zielt auf europäische Migranten der zweiten Generation wie die Londoner Rucksackbomber und auf Konvertiten, die beim Kampf in den westlichen Metropolen besonders nützlich sind.
Der Islam hat heute einen unvergleichlichen Nimbus des radical chic. Mit jedem Anschlag von Terroristen und mit jeder Anfechtung durch islamfeindliche Rechtspopulisten wird dieser Nimbus weiter gesteigert. »Mit einem Punk«, sagt ein deutscher Konvertit aus ländlich-konservativem Elternhaus, »hätte meine Familie noch leben können. Aber der Übertritt zum Islam war nicht zu toppen.« Islamisten bieten neue Zugehörigkeit mit klaren Regeln für jede Lebenssituation, kombiniert mit größtmöglicher Andersheit gegenüber der Herkunft und radikalstmöglicher Ablehnung des bestehenden Weltsystems. Für einige junge Männer ist dies eine unschlagbares Angebot: Dabeisein und Dagegensein, Außenseitersein und Auserwähltsein in einer unaufschnürbaren Packung.
Es gibt ein in Deutschland wenig bekanntes Vorbild für Konvertiten wie Fritz und Daniel: den Amerikaner Adam Gadahn, der es als ­Azzam al-Amriki bis ins »Medienkomittee« von al-Qaida geschafft hat. Gadahn stammt aus einer Familie von Hippies und linken Aktivisten mit einem jüdischen Zweig. Er war als Teenager eine Größe in der lokalen Death-Metal-Musikszene von Orange County und nahm sogar selbst Musik auf. Wie viele Konvertiten durch­lief er eine Phase innerer Leere und brennender tanszendentaler Obdachlosigkeit. Bei einer evangelikalen Gruppe stieß ihn das »apokalyptische Geschwafel« ab. Dann las er im Koran und fand sich fasziniert von der totalen Transzendenz und Entrücktheit Allahs. Dass der Islam den Ruf hatte, mit der westlichen Moderne nicht in Einklang stehen zu können, machte ihn gerade anziehend. Die lange Mähne des Metal-Fans fiel, der Bart wuchs. Adam Gadahn hatte eine neue Form von Dissidenz gefunden, gegen die sich die Höllenmusik des Death Metal kindisch ausnahm. Über eine radikale Moschee kam er in Kontakt mit Dschihadisten, die ihm eine Reise nach Pakistan organisierten. Wenige Jahre später war Adam alias Azzam mit Ende zwanzig der jüngste Terrorist auf der »Most Wanted List« des FBI. Als erster Amerikaner seit 50 Jahren ist er des Hochverrates angeklagt worden.
Genau wie den friedliebenden Muslimen fällt es auch dem nichtmuslimischen Mainstream einstweilen schwer, zur Kenntnis zu nehmen, dass entfremdete Bürgerkinder, die aus Weltekel, Selbsthass und Bravado vor Jahrzehnten vielleicht noch zu Linksradikalen geworden wären, heute ihren Blutdurst unter dem Banner des Propheten stillen.