Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Jakarta, Singapur, Hanoi

 

In Jakarta regnet es nahezu pausenlos. Aussenminister Steinmeier hat mehrere Gründe, Indonesien aufzusuchen. Asien ist mehr als die chinesische Herausforderung plus Indien, das soll bei dieser Reise nach Südostasien betont werden.

figuren.jpg
Hanoi: Glücksfiguren im konfuzianischen Literaturtempel. Foto: J. Lau

Indonesien, das bevölkerungsreichste islamisch geprägte Land der Welt, spielt eine prominente Rolle in den strategischen Überlegungen Steinmeiers. Wer in der islamischen Welt Einfluß haben will, braucht Zugang nicht nur zu den Arabern, sondern zu den Indonesiern. Auch mag die Hoffnung eine Rolle spielen, dass der traditionell eher milde, synkretistische Islam südostasiatischer Prägung ein Gegengewicht zu dem durch Ölreichtum mächtig gewordenen Islam arabischer Prägung bilden könnte. Im Land tobt ein Kulturkampf um den „wahren Islam“: mit Saudi-Millionen, die an wahabitische Moscheen fließen, soll der traditionelle Islam verdrängt werden. Es ist weitsichtig zu sagen, in einem solchen Land haben wir Interessen.

In der indonesischen Staatsideologie Pancasila ist der „Glaube an die Herrschaft All-Einen-Gottes“ das oberste Prinzip, zu dem sich alle Staatsbürger bekennen müssen. Für Christen und Muslime ist das kein Problem, für die hinduistische Minderheit allerdings schon, für die chinesischen Buddhisten auch (von Atheisten zu schweigen). Man zwängt sie, um des Religionsfriedens willen, in das monotheistische Korsett. Trotzdem sind Tausende in Indonesien in religiös geprägten Konflikten umgekommen.

hanoi-strasse.jpg
Straßenszene im quirligen Hanoi. Foto: J. Lau

Auf der Insel Java, die wir besuchten, hält sich ein eher toleranter Islam bisher wacker gegen die Radikalisierungs- und Reinigunsversuche. Ein Mitarbeiter der CSU-nahen Seidel-Stiftung in Jakarta erzähl, dass der Sultan von Yogyakarta nach dem Tsunami eine Zermonie zu Ehren der Meeresgöttin abgehalten habe – eigentlich ein undenkbarer Frevel für strenggläubige Muslime, doch in Indonesien ebenso üblich wie die Kombination von Sunna und Ahnenkult bzw. Animismus.

Gegen diesen eingewurzelten moderaten Islam steht die Welle der Radikalisierung, die schon viele indonesische Provinzen erfaßt hat. 16 Provinzen haben die Scharia als Grundlage ihres Rechts anerkannt. Das gefährdet auf Dauer das indonesische Modell der Multi-Religiosität.

Indonesien ist derzeit Mitglied des Sicherheitsrates, und darum mit entscheidend für das Gelingen der neuen Iran-Resolution. Steinmeier erläutert in Jakarta, warum die Weltgemeinschaft geschlossen gegen Iran bleiben muss. Die Indonesier unterstützen die Resolution.

hoarbeitszimnmer.jpg
Ho Chi Minhs Arbeitszimmer in Hanoi. Foto: J. Lau

Der Aussenminister ist getrieben von der Analyse, dass unsere Welt viele neue Spieler hat, die politisch, ökonmomisch und kulturell nach Anerkennung und Einbeziehung verlangen. Die Deutschen müssen die Fenster aufmachen, sagt er immer wieder. Da draussen ist eine dynamische neue Welt, in der wir mitspielen sollen. Und so wirbt er für den Rechtsstaat, die Demokratie und die deutsche Industrie und ihre Kompetenz in Umweltfragen. Er macht das gut – selbstbewußt ohne aufzutrumpfen. Neben der Radikalisierung ist die Korruption das größte Problem: Niemand zahlt Steuern, alle zahlen horrende Summen Bakschisch.

In Singapur, der zweiten Station, ist das kein Problem: Korruption wird hart bestraft, ebenso wie das Wegwerfen von Zigarettenstummeln und Kaugummis auf der Straße. Selbst nackt Herumlaufen in der Wohnung kann bestraft werden, wenn es jemand von außen sieht und denunziert. Nicht der Spanner wird bestraft, sondern der Nackte. Pornografie und Drogenbesitz führen zu drakonischen Strafen. Singapur ist unglaublich propper und gut organisiert im Vergleich zum chaotischen Jakarta mit seinen ewigen Staus. Der Lebensstandard ist sehr hoch, der Staat sorgt für Wohnung, Karriere und Sicherheit.

Mitten in dem Stadtstaat ist ein riesiger biotechnischer Campus entstanden, für den die besten Talente weltweit rekrutiert werden. Ethische Grenzen gibt es keine. Totale ethische Deregulierung einerseits und rigider Autoritarismus andererseits, das ist Singapur. Am Rand der Stadt vergnügt man sich in perfekt organisierten, sauberen Vergnügunsmalls. Über allem schwebt der greise Staatsgründer Lee Kuan Yew, der als „Minister Mentor“ immmer noch die Zügel in der Hand hält. Sein Sohn ist der amtierende Regierungschef.

hanoi-strasse1.jpg
Die Girls von Hanoi scheren sich nicht um den Kommunismus. Foto: J. Lau

Bei Steinmeiers Pressekonferenz mit dem Aussenminister stellt ein Reuters-Kollege eine Frage zum Bankgeheimnis in Singapur. „Warum bietet Singapur sich als Steuer-Oase für europäisches Kapital an und entzieht damit dem Westen Milliarden?“ Das Gesicht des Aussenministers versteinert: „You want to make an allegation?“ fragt er. Der Korrespondent entschuldigt sich und zieht die Frage zurück.

Nachher erfahren wir, dass Singapur ausländische Medien bei geringster Kritik mit Prozessen überzieht, die schnell zu 6stelligen Bußgeldern führen können. Die Unfreiheit ist der Preis des Wohlstands und der Sicherheit in Singapur. Die meisten zahlen ihn offenbar gerne. Ein beunruhigendes Entwicklungsmodell.

Vietnam, die dritte Station unserer Reise, ist auf seine Weise auch sehr irritierend. Das Regime ist immer noch sehr autoritär, die Partei hält die Faden in der Hand. Aber unter der Oberfläche zeigt die vietnamesische Gesellschaft eine enorme Dynamik. Die Menschen scheinen ziemlich entpolitisiert, vielleicht gerade wegen der immer noch überall präsenten kommunistischen Parolen. Sie wenden sich dem privaten Wohlstand zu. Bildung hat einen hohen Stellenwert.

Die Deutschen haben in Vietnam einen guten Ruf, und dies ist ein Erbe der ostdeutschen wie der westdeutschen Geschichte. Viele Zehntausende Kontraktarbeiter und Austauschstudenten aus der DDR sind zurück in Vietnam. Die sozialistische Bruderrepublik hat ihnen Wohlstand und Bildung gebracht – und ein Leben in Frieden während des Kriegs gegen die Amerikaner ermöglicht. Und im Westen sind viele tausende Boat People untergekommen, die nach der Eroberung Saigons durch die Nordvietnamesen übers Meer flüchteten.

Hanoi ist heute eine bezaubernde, vitale Metropole. Noch nicht so verdreckt wie die Megacities Asiens, weil es noch nicht so viele Autos gibt. Von einem ungeheuren Lebenswillen der geplagten Bevölkerung gekennzeichnet, die hier über Generationen mit Krieg und Zerstörung hat leben müssen. Der neue Kapitalismus in Vietnam, den die KP zulässt, wirft eine schreckliche Frage auf: Sind 58.226 amerikanische Soldaten dafür gestorben? Sie sollten doch in den Krieg, um den Marsch des Kommunismus aufzuhalten? Die sozialistische Republik Vietnam aber wendet sich nun mit grossen Schritten von selbst dem Kapitalismus zu. Eine bitter-ironische, späte Widerlegung der Domino-Theorie: Handys, westliche DVDs, amerikanische Serien im Satellitenfernsehen. Bill Gates ist laut einer Umfrage der Regierung Vietnams bei der Jugend beliebter als Ho Chi Minh! Was für eine sinnlose, dumme Politik, ein Land derart mit Tod und Zerstörung zu überziehen, wenn es sich selbst danach freiwillig dem Westen zuwendet! Bush wird in Hanoi mit frenetischem Jubel von der Bevölkerung begrüßt. Ob er die Tragik darin spürt?

frau-dao.jpg
Frau Tao vor dem Ho Chi Minh Mausoleum in Hanoi. Foto: J. Lau

Man nehme etwa Frau Tao, unsere Führerin in Hanoi. Sie zeigte uns das Ho Chi Minh Museum und den Literatur-Tempel, die Van-Mieu-Pagode. Frau Tao, Mitte Fünfzig, hat in der DDR, in Dresden und Halle Agrarwissenschaft studiert. Heute verdient sie ihr Geld an der Börse in Vietnam mit Spekulationen auf staatseigene Betriebe. Zuvor hat sie als Repräsentantin der Landesbank Baden-Württemberg in Hanoi gearbeitet. Ihr Sohn hat in den USA studiert. Welche ein Lebenslauf zwischen den Systemen!

Ich fragte sie, welche Bedeutung denn der Kommunismus noch habe, wenn jemand wie sie von der Börse lebe? Darauf lächelte sie nachsichtig und sagte: „Wissen Sie, der Kommunismus ist eine Idee aus Trier.“ Das ist unter den Bambusstauden in Hanoi alles andere als eine Banalität. Der deutsche Geist hat wahrlich viel Unglück in der Welt angerichtet! Aber Frau Tao ist ohne Bitterkeit, wie überhaupt die Vietnamesen erstaunlich ohne Ressentiments sind – und dies nach geschätzten 5 Millionen Toten und auch heute noch hunderttausenden verunstalteten Kindern durch Agent Orange!

„Ach,  mit dem Kommunismus“, meint Frau Tao, „ist es wie mit allen anderen Religionen. Für mich ist es mit Ho Chi Minh wie mit Mohammed. Der Kommunismus und der Islam – ursprünglich gute Ideen, leider von den falschen Leuten falsch ausgeführt. Wir schauen jetzt in die Zukunft.“