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Ernst Nolte: Islamismus als „Widerstandsbewegung“

 

Aus der ZEIT Nr. 17 vom 16. April 2009, S. 51

Der Mufti von Jerusalem, Mohamemd Amin al-Husseini, war in den Kriegsjahren ein besonders loyaler Verbündeter Hitlers. Er hatte die Hoffnung, dass ein deutscher Sieg über England den Arabern im britischen Mandatsgebiet Palästina Freiheit bringen und ihnen beim Kampf gegen die Juden helfen würde, die sich im Heiligen Land ansiedelten. Husseini bekam von den Deutschen ab 1941 ein Büro in Berlin, von wo er NS-Propaganda auf Arabisch verbreitete, bei der Aufstellung einer arabischen SS-Division half und eng mit dem SS-Führer Himmler zusammenarbeitete. Am 28. November 1941 empfing Adolf Hitler den Mufti, der ihm Treue  im „kompromißlosen Kampf gegen die Juden“ gelobte.

Der Mufti spielt eine wichtige Rolle in Ernst Noltes neuem Buch über den „Islamismus“ als „dritte Widerstandsbewegung“ nach Faschismus und Kommunismus.

Wer sein Leben wie Nolte damit zugebracht hat, Nationalsozialismus und Kommunismus zu verstehen, der muss vom weltgeschichtlichen Aufstieg des politischen Islam in den letzten Jahren fasziniert sein – eine religiös grundierte Gemeinschaftsideologie, die sich – so Nolte – als eine Spielart der konservativen Revolution in der Moderne gegen die moderne Welt richtet.

Der heute 86 jährige Nolte, der sich selber gerne als „Geschichtsdenker“ bezeichnet, hat dem Islamismus darum ein umfangreiches und dem Anspruch nach gewichtiges Buch gewidmet (hier seine Selbstauskunft). Es soll den Abschluss seines Lebenswerkes bilden, wie er uns wissen lässt. In einem Nachwort rechtfertigt sich Nolte dafür, sich hier auf fachfremdem Gebiet zu tummeln. Er sei kein Islamwissenschaftler und sein Arabisch reiche nicht über die Entzifferung einfacher Worte hinaus.

Die etwas kokette Apologie wäre aus zwei Gründen nicht nötig gewesen. Denn erstens ist das Buch über weite Strecken eine beachtliche Fleissarbeit. Nolte hat sich offenbar über Jahre in die Literatur über den Islamismus versenkt und bietet eine über weite Strecken korrekte Darstellung von Strömungen und Ereignissen, die aus einer Drittwelt-Revolte einen globalpolitischen Konflikt gemacht haben. Wahhabiten, Muslimbrüder, schiitische Revolutionäre des Iran, afghanische Mudschaheddin, Al-Kaida und Taliban bevölkern dieses verstörende Werk geschichtsphilosophischer Spekulation. Doch eigentlich, das merkt man bald, geht es nicht wirklich um sie.

Dies zeigt sich etwa, wenn Nolte den oben erwähnten Großmufti einen „tapferen Vorkämpfer der Palästinenser“ nennt, dem man nicht „die Ehre verweigern“ dürfe. Der Mann, der 1942 in Berlin zum „Dschihad gegen die Juden“ aufrief („Tötet sie alle!“), der glühende Antisemit und „Endlösungs“-Befürworter, ist für Nolte ein ehrenwerter Mann?

Wer bis zu diesem Punkt mit der Lektüre durchgehalten hat, wird sich so viele hanebüchene Äußerungen angestrichen haben, dass er sich über das Lob des Nazi-Muftis schon nicht mehr wundert. Zum Beispiel diese hier, die sich auf den Plan von Lord Balfour bezieht, im britischen Mandatsgebiet Palästina eine „jüdische Heimstätte“ einzurichten: „All das ist ziemlich gleichbedeutend mit der Herzl’schen Vorstellung von der größeren Tüchtigkeit der jüdischen Rasse, und nur blanke Voreingenommenheit kann behaupten, infolge der handgreiflichen Unterschiede gebe es keinerlei Entsprechung zu der Konzeption Hitlers von der Eroberung neuen Lebensraums für die tüchtigen und modernisierenden Deutschen inmitten einer für zurückgeblieben und primitiv erklärten slawischen Welt.“ In anderen Worten: Herzl und Hitler – Brüder im Geiste? So sieht Nolte es. Darum zitiert er immer wieder Äußerungen, die den Zionismus und die „Lebensraums“-Ideologie der Nationalsozialisten gleichsetzen oder Israel als „faschistischen Staat“ hinstellen, gerne auch von jüdischen Extremisten wie den rechtsradikalen Ultraorthodoxen der Neturai Karta. Und schließlich fragt er in seiner Schlussbetrachtung: „Ist es nicht längst unbezweifelbar geworden, dass seit mehreren Jahrzehnten ein nicht bloss verstehbarer, sondern im Kern gerechtfertigter ‚Antisemitismus’ existiert, nämlich der ‚Antisemitismus’ der aus Palästina mit Gewalt vertriebenen arabischen und semitischen Einwohner…?“

Halten wir fest: Nolte hält nicht etwa nur den Widerstand der Palästinenser gegen Vertreibung und Besatzung für legitim. Es kommt ihm vielmehr darauf an, den arabischen Antisemitismus zu verteidigen, den die extremsten Teile der islamistischen Bewegungen kultivieren. Warum? Ganz einfach: Nolte will diesen Antisemitismus als eine logische Folge der Gründung Israels erscheinen lassen, weil dann auch der Antisemitismus der Nationalsozialisten in einem günstigeren Licht erscheint – nicht mehr gar so exzeptionell. Am Ende spricht er die Absicht seines Buchs ohne Umschweife selber aus: Es lasse sich „keinesfalls bezweifeln, dass dieser ‚Antisemitismus’ von vielen Millionen Semiten einen nur allzu befgreiflichen ‚rationalen Kern’ hatte. Von dorther musste es als immerhin möglich erscheinen, dass auch der Antijudaismus der Nationalsozialisten einen verstehbaren Kern besaß.“ 

Es geht hier allerdings offensichtlich um mehr als „verstehen“. Nolte bezeichnet als als „beschämend“, dass dem „‚toten Untier’ oder ‚Löwen’ unablässig Tritte versetzt werden“. Der „Löwe“ ist wohlgemekrt Adolf Hitler, und Nolte meint, dass „dieser Mann, nicht anders als sein Feind Lenin, eine Kritik an der westlichen Wirklichkeit übte, die unter anderem Namen längst wieder aktuell ist – auch, jedoch keineswegs ausschließlich, in der Polemik des Islamismus“.

Ernst Nolte versucht gewissermassen, mit Hilfe der Al-Husseini, Chomeini und bin Laden den Historikerstreit noch einmal zu führen. Dieser Streit hatte sich ja an seines Deutung entzündet, der „Rassenmord“ Hitlers sei eine Antwort auf den „Klassenmord“ der (jüdisch geprägten) Bolschewiki und der NS-Antisemitismus entsprechend eine Abwehrideologie mit „rationalem Kern“ gewesen.

Indem er nun den Auftritt einer anderen Form von „Verteidigungsaggressivität“auf der Weltbühne beschreibt – den Islamismus als Abwehridologie der Muslime gegen Israel als kolonialstisch-imperialistischen „Vorposten des Westens“ in der arabischen Welt – sieht er sein altes Muster bestätigt. In Noltes verquerer Entlastungslogik wiegt der NS-Antisemitismus leichter, weil es nun mit den „Realantisemitismus“ der Islamisten eine „dritte Widerstandsbewegung“ gibt, die den Kampf gegen die Moderne, den Westen – und den jüdischen Staat als dessen „Statthalter“ – fortführt. In diesem Sinn spekuliert Nolte im Schluss-Exkurs seines Buchs sogar über eine kommende „Endlösung“ im Nahen Osten. Sie erscheint ihm denkbar als Tat, die Israel eines Tages aus „äußerster Bedrängnis“ an den feindlichen Arabern vollziehen müßte. Diese Spekulation hat deutliche Kennzeichen eines Wunschtraums: Wenn die Juden zu einem solchen Akt gezwungen wären, dann wäre man vielleicht endlich quitt.

Es hat etwas Triebhaftes, wie Nolte sich auch hier wieder an dem Skandalon der Singularität der deutschen Verbrechen abarbeitet. Sein Buch folgt einer Traumlogik, in der alle Akteure zugleich Täter und Opfer sind: Nazis verteidigen sich gegen jüdische Bolschewisten, Islamisten werden in Reaktion auf jüdische Zionisten zu „Realantisemiten“, und schließlich werden auch die Juden durch die Bedrohung der Islamisten zu „Faschisten“. Zionismus und Lebensraum-Ideologie, Islamismus und Nationalsozialismus, jüdischer Bolschewismus und die islamische „Umma“ der Gläubigen verschwimmen miteinander. Übrig bleibt ein endloser Abwehrkampf gegen das Jüdische in der Geschichte und Versuch, das „Rationale“ daran zu erfassen und zu verteidigen. Der Gipfel der Absurdität ist erreicht, wenn Nolte am Ende aus dem geschichtsphilosophischen Spiegelkabinett heraustritt und seine Geschichtsträumerei als Beitrag zur „Nüchternheit und Pluralität der Wissenschaft“ verstanden wissen will.

Lohnt es sich, gegen ein solches Buch sachliche Einwände zu machen und etwa darauf hinzuweisen, dass der Islamismus keineswegs notwendig mit dem Zionismus und der Entstehung Israels verknüpft ist, sondern aus der arabischen Selbstkritik entstand? Dass der traditionelle islamische Antisemitismus erst durch Ideologie-Import aus Europa das Ziel der Vernichtung der Juden aufnahm? Dass Osama Bin Laden sich für Palästina und Israel erst in zweiter Linie interessiert – und in erster Linie für die „Befreiung der heiligen Stätten“ und die Wiedererrichtung des Kalifats? Dass der Islamismus der Taliban, der pakistanischen Terroristen in Kaschmir oder der „Glückseligkeitspartei“ in der Türkei rein gar nichts mit den Ideen Theodor Herzls und Chaim Weizmans zu tun hat?

Nein, es hat wohl keinen Sinn, dergleichen anzuführen. Der Islamismus ist hier ohnehin nur Vorwand. Warum Ernst Nolte dieses Buch geschrieben hat, ist nicht schwer zu verstehen. Es gibt hier nichts zu entlarven. Das besorgt der Autor schon selbst. 

p.s. (Hier eine Kritik von Walter Laqueur in der WELT.)