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Alice Schwarzer gegen Sarrazin

 

Hätte kaum gedacht, dass ich noch einmal Anlass haben würde, mich mit Alice Schwarzer einverstanden zu erklären. Ich muss sagen, ich bin hocherfreut darüber, dass Schwarzer die Unterscheidung zwischen Islam und Islamismus so deutlich macht in ihrer Laudatio auf Necla Kelek. Und dies zugleich noch in Kombination mit einer Attacke auf Thilo Sarrazin, dessen Buch die gelobte Kelek doch der Öffentlichkeit so warm ans Herz gelegt hatte. (Bisschen pikant, aber da die beiden in regem Austausch stehen, kann man wohl auch Necla Keleks Bedenken gegen Sarrazin in Schwarzers Ausführungen lesen…)

Mich freut das, weil die radikale Rechte (inklusive der Ulfkotte, Herre, Stadtkéwitz et al.) ihren „islamkritischen“ Diskurs auf der Verschleifung jener Differenzen aufbaut, die Schwarzer nun wieder klar zu ziehen versucht. Offenbar ist ihr da was unangenehm aufgefallen. Was mir an Schwarzer positiv auffällt, ist ihre Zurückweisung des „Horrorszenarios eines Türkensturmes qua Demographie“ – und dass sie die Debatte um die Demographie vom Sarrazinschen soziobiologisch gedeutetenKulturkampf wieder auf die Frage der Emanzipation zurückführt:

Und das alles im Namen der Differenz. „Die Kulturfalle“ nennen das aufgeklärte Musliminnen, die gleiche Rechte und Chancen für alle fordern.

In diese Kulturfalle tappt auch Thilo Sarrazin. Der Ökonom (…) benennt zwar trefflich die Folgen einer verfehlten Integrationspolitik, verkennt jedoch deren Ursachen. Denn nicht „der Islam“ ist das Problem, sondern der Islamismus, der politisierte Islam. Nicht „die Muslime“ sind Anhänger eines Gottesstaates, sondern die Islamisten. Und die Ursache von Rückständigkeit ist nicht in den Genen zu suchen, sondern in den Verhältnissen.

Für die Verbesserung dieser Verhältnisse und für eine Reform des Islam kämpfen aufgeklärte Muslime und Musliminnen wie Necla Kelek oder der Deutsch-Ägypter Hamed Abdel Samat (sic) mit heißem Herzen. Thilo Sarrazin aber plädiert mit kaltem Herzen für die Sicherung der Privilegien seiner Kaste, wobei er selbst vor biologistischen Argumenten nicht zurückschreckt. Der deutsche Ex-Banker beruft sich unter anderem auf den amerikanischen Soziobiologen Edward Wilson. Feministinnen ist dieser Prophet der Neuen Rechten seit Mitte der siebziger Jahre ein Ärgernis. Denn schon damals wurden liebgewordene Privilegien erschüttert, wollten Frauen die gleichen Rechte wie Männer und die Dritte Welt so viel zu essen wie die Erste. Die ideologische Reaktion darauf war eine pseudo-wissenschaftliche Untermauerung des angeblich naturgegebenen Unterschiedes: zwischen Rassen und zwischen Geschlechtern.

Horrorszenario eines Türkensturms qua Demographie

Laut Wilson, einem studierten Insektenforscher, sind Schwarze „weniger intelligent“ als Weiße; Frauen „von Natur aus mütterlicher“ und „sexuell weniger erregbar“ als Männer und Homosexuelle das Produkt eines „Hirnschadens“.

Dreißig Jahre später nun beruft sich Sarrazin auf diese obskuren Thesen vom angeborenen Unterschied. Er hätte es besser gelassen. Denn längst wissen wir, dass der Mensch eine Mischung aus Natur und Kultur ist und auch genetische Dispositionen keineswegs determinierend sind.

Nicht minder fragwürdig ist Sarrazins statistikgläubiger Positivismus. Ginge es nach ihm, bräuchten wir nur eine spendierfreudige Familienpolitik – und schon wäre die deutsche Frau wieder gebärfreudig; und bräuchten wir nur eine restriktive Einwanderungspolitik – und schon würden nicht mehr die Falschen so viele Kinder kriegen. Doch das Horrorszenario eines Türkensturms qua Demographie ist nichts als ein Sandkastenspiel. Denn Geburtenraten pfeifen auf nationale, ethnische oder religiöse Begründungen. Sie richten sich nach dem Grad der Emanzipation von Frauen und Gesellschaft. Und wenn beides stimmt, werden deutsche Frauen eines Tages auch wieder mehr Kinder kriegen – und Einwanderinnen weniger. Was wir brauchen, ist eine Offensive für Chancengleichheit und Rechtsstaatlichkeit statt Ausgrenzung!