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Immer Ärger mit Erdogan

 

Als ich vor fast einem Jahr in den Moscheen des Ruhrgebiets (mit Sigmar Gabriel) unterwegs war, bestimmte auch gerade eine Äußerung des türkischen Premiers Erdogan die Schlagzeilen. Er hatte in einem Interview mit der ZEIT gefordert, „türkische Gymnasien“ in Deutschland zu errichten.

Nun scheinen die ungebetenen integrationspolitischen Interventionen Erdogans eine Tradition zu werden. In Düsseldorf hat er vor wenigen Tagen Aufmerksamkeit gefunden mit seiner Forderung, Kinder sollten erst Türkisch lernen, dann Deutsch. Und wie bereits vor einigen Jahren polemisierte er auch wieder gegen „Assimilation“ und suggerierte, den Türken solle ihre Kultur genommen werden als Preis für die Integration (die Erdogan befürwortete).

Vor einem Jahr in den Moscheen war eine sehr gesunde Reaktion der türkischen Community zu beobachten, wenn man sie auf Erdogans Forderungen ansprach: Was denkt dieser Typ, wer er ist – und wer wir sind? Er ist für uns nicht zuständig, er soll sich raushalten. Vural Öger sagte in der Moschee in Oberhausen:

“Wir wollen keine Diasporatürken in der dritten und vierten Generation. Ankara soll sich hier gefälligst nicht mehr einmischen. Wie lange soll das noch weitergehen? Bis zur 5. Generation? Das macht die Identitätskrise der Menschen hier nur noch schlimmer, wenn sie als Stimmvieh der türkische Politik behandelt werden. Es wäre keine Schande, sondern ein Grund zum Stolz, wenn junge Leute hier besser Deutsch als Türkisch könnten. Seid endlich Deutsche – mit einem großen türkischen Herzen!”

Das wäre immer noch der passende Kommentar zu Erdogans erneuter populistischer Wahlkampftour.

Man wird solche abweisenden Äußerungen aber immer seltener hören. Und das liegt an dem katastrophal gewandelten Klima in unserer Gesellschaft. Unsere Debatte des letzten Jahres hat Erdogans Erfolg bei seinen Landsleuten den Boden bereitet. Er surft auf dem Gefühl der Menschen, nicht angenommen zu sein und niemals angenommen zu werden, weil sie Türken und Muslime sind. Die allzu berechtigten Retourkutschen gegen seine Anti-Assimiliations-Rhetorik (Was ist mit den Kurden, den Aleviten, den Christen in der Türkei?) verfangen so kaum. Denn es gibt eine Wagenburg-Mentalität unter vielen Türken, ja selbst unter den Musterbeispielen der Integration. Auch diejenigen, die mit Erdogan nichts am Hut haben, sind frustriert, enttäuscht, wütend über das türkenfeindliche Klima hierzulande. Es hilft nichts, dass auch darin viele Übertreibungen sind: So etwas hat fatale Folgen für ein Einwanderungsland.

Das Wort Integration ist so weit heruntergewirtschaftet worden, dass es gerade die Besten nicht mehr hören können. Es liegt ein Hauch von Schikane, Überheblichkeit und Resentiment in der Rede von der Integration.

Und die reflexhaften Reaktionen auf Erdogan schüren dieses Gefühl weiter. Der Herr Dobrindt von der CSU mit dem bizarr überzeichnenden Satz etwa, der Auftritt Erdogans habe die Integrationsbemühungen „um Jahre zurückgeworfen“. Welch eine Bigotterie. Erdogan ist ein geschickter Vertreter des gleichen religösen Rechtspopulismus, dem auch die CSU anhängt, wenn es um die Heimat und das kulturell-religiöse Erbe geht. Erdogan geht ganz einfach in die Lücke, die ängstliche deutsche Politiker offen lassen, weil sie die Türken nicht als eine zu umwerbende Wählerschaft wie jede andere Gruppe behandeln. Warum mieten deutsche Politiker sich nicht einmal eine Halle und laden die Türken ein und reden zu ihnen? Warum appellieren  Merkel, Steinmeier, Gabriel, Özdemir oder Westerwelle nicht an den Stolz der Deutschtürken, wie es Erdogan tut?

Das erste, was ihnen einfällt, ist die Replik, Türkisch als erste Sprache sei nicht gut, das müsse bitte Deutsch sein. Das ist einfach Humbug: Das Problem der jungen Bildungsversager ist nicht, dass sie zuerst Türkisch lernen, sondern dass sie nicht einmal ordentlich Türkisch lernen. Ist Türkisch eine schlechtere Sprache als Französisch oder Italienisch oder Polnisch? Käme irgendjemand auf die Idee, italienischen, französischen oder polnischen Eltern reinzureden, sie sollten ihren Kindern zuerst Deutsch beibringen? Der Appell sollte lauten: Bringt euren Kindern gutes Türkisch bei, lest mit Ihnen Kinderbücher, sprecht mit Ihnen über die Schule, ladet deutsche Nachbarskinder ein, bringt sie in den Kindergarten.

Jetzt wird Erdogan seine Ambivalenz vorgehalten, seine „vergiftete Liebeserklärung“ für die hiesigen Türken. Leider ist die Botschaft der hiesigen Politik und der gesellschaftlichen Debatte genauso voller Ambivalenz und Gift. Und das ist – es tut mir leid – das größere Problem – denn nicht Herr Erdogan ist politisch verantwortlich für den Erfolg/Mißerfolg der Türken hier, sondern dieselben deutschen Politiker, die ihn kritisieren. Politisch, wohl gemerkt: Denn ein Hauptproblem von Deutschen und Türken – da haben sie mal was gemeinsam – ist ihre Staatsverliebtheit. Beide Völker mit ihren obrigkeitstaatlichen Traditionen erwarten viel zu viel vom Staat und zuwenig vom einzelnen Bürger. Türken und Deutsche  fragen zuviel, was das Land für sie und zu wenig, was sie für das Land tun können. Da haben sich zwei gefunden!

Ein Problem ist, dass die Deutschtürken von zwei Seiten mit mixed messages beschossen werden: Erdogan sagt: Integriert euch, aber assimiliert euch nicht (als gäbe es da akademisch anerkannte feine Grenzen). Die deutsche Gesellschaft kommuniziert: Wir sind ein Einwanderungsland, aber ihr seid die falschen Einwanderer.

Wenn man einem national-religiösen Populisten wie Erdogan etwas entgegensetzen will, muss man ein klare und selbstbewusste Botschaft haben:  Lass diese Leute in Ruhe. Die gehören zu uns. Sollen sie mit Ihren Kindern Türkisch sprechen! Aber gutes Türkisch muss es sein, damit darauf dann gutes Deutsch und Englisch aufbauen können.