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Der Islam gehört zu Deutschland

 

Die dümmste Debatte des letzten Jahres geht in die dritte Runde: Gehört der Islam zu Deutschland? Ja oder nein? „Historisch“?

Eine neue Lesart schält sich heraus: Muslime ja, Islam nein. Klasse. Das ist endlich die Lösung! Muslime ohne Islam? Das muss doch irgendwie gehen.

Never mind, dass viele „Muslime“ hierzulande ohnehin areligiös leben. Je mehr aber der neue Innenminister und andere obsessiv über „die Zugehörigkeit des Islams“ zu Deutschland reden, um so mehr wird die Identität auch nichtreligiöser Muslime „islamisiert“. Ja, so paradox ist das: Ich höre in letzter Zeit immer wieder: Ihr schafft das noch, dass ich mich als Muslim identifiziere. Oder: Erst hier bin ich zum Muslim geworden, durch das Dauerfeuer der Debatte. Wollen wir das?

Angesichts des Frankfurter Mordanschlags reden wir jetzt wieder über Radikalisierung: Dummerweise beruht das Hauptverkaufsargument der Salafisten für ihren Steinzeitislam auf der Unterstellung, im Westen würden nur „Muslime ohne Islam“ geduldet. Darum müssten „wahre Muslime“ zu den Wurzeln der „wahren Religion“ zurückkehren, um sich gegen diese tiefsitzende Islamfeindlichkeit zu wehren. Der neue Innenminister hat soeben Pierre Vogel, Deso Dogg/Abu Malik, Scheich Abdellatif  et alii eine erstklassige Vorlage geliefert. Der Islam gehört hier nicht dazu – das übersetzt sich in der Propaganda der Salafisten in den Satz: Dass dein Islam der richtige und wahre ist, merkst du daran, dass die anderen ihn ablehnen. Einen Islam, den die akzeptieren könnten, musst Du, im Umkehrschluss, verwerfen. Der kann nicht richtig sein.

Vielleicht sollte sich der Neue im BMI mal mit den Verfassungsschützern treffen, die an vorderster Front gegen die Radikalisierung in Teilen der islamisch geprägten Jugend arbeiten. Er würde auf eine erstaunliche Sorge treffen, was das gesellschaftliche Klima in diesem Land post Sarrazin angeht. Der VS ist darauf angewiesen, dass Muslime mit den Behörden kooperieren. Dass der Islam nicht zu Deutschland gehört, ist nicht die Arbeitshypothese unserer Verfassungschützer.

Sie müssen glaubhaft widerlegen können, dass „der Islam“ per se hier ausgegrenzt wird aus irgendeinem Vorurteil oder christlich-abendländischen Dünkel heraus. Und das ist ja auch in Deutschland nicht der Fall. Warum also diese Wahrnehmung anheizen durch „historische“ Exkurse über Fragen, in denen nie ein ernsthafter Mensch das Gegenteil behauptet hat? Wie soll man so etwas anders wahrnehmen denn als leicht verklemmte Form der Schikane?

Die Sicherheitsdienste brauchen das Vertrauen, dass unterschieden wird zwischen denen, die die Religionsfreiheit missbrauchen und denen, die sie legitimer Weise in Anspruch nehmen. Eine Aussage wie die Friedrich’sche, der Islam gehöre („auch historisch“) nicht zu Deutschland, zersetzt dieses Vertrauen. Er unterminiert die Bemühungen der Sicherheitsorgane, die Propaganda der Radikalen zu widerlegen, die einen ewigen und unüberbrückbaren Gegensatz konstruiert zwischen Islam und Demokratie, Islam und Menschenrechten, Islam und westlichen Werten.

Es gibt sehr gute Broschüren, etwa neuerdings vom VS des Landes Berlin, in denen jene islamistische Ideologie auseinandergenommen wird, die den absoluten Gegensatz zwischen Islam und unserer Rechtsordnung betont. Die „Zerrbilder von Islam und Demokratie“ werden dort auf deutsch, türkisch und arabisch widerlegt. Niemand macht sich Illusionen darüber – vor allem nicht die Verfassungsschützer – dass es noch ein langer Weg ist, bis nicht nur eine stille Akzeptanz unserer Rechts- und Werteordnung durch „den Islam“ erreicht ist, sondern bis die islamische Theologie in ihren eigenen Lehren gute Gründe für die Säkularisierung (also Entmächtigung ihrer selbst) finden wird. Der katholischen Lehre ist das (vor wenigen Jahrzehnten erst) auch gelungen, und heute tut die Kirche gerne so, als wäre ihr die Idee geradezu selbst gekommen, dass man kirchliche und weltliche Macht zu trennen habe. Der Islam wird es noch viel schwerer damit haben, das ist absehbar trotz aller Reformansätze. Vielleicht wird es auch nie zu einer klaren Sphärentrennung kommen, sondern bloß – bloß! – zu einem modus vivendi. (Mir würd’s reichen, weiß Gott.)

Das sollte die Sorge eines Innen- und damit Verfassungsministers – sein. Unsere Sicherheit hängt daran. Ein Minister, der seinen Diensten die Arbeit schwerer macht, macht Deutschland weniger sicher.

p.s. Ich habe kürzlich einen Vortrag bei einer VS-Tagung gehalten, bei der es um Radikalisierung und Strategien dagegen ging.  Meine sorgenvolle Analyse der Debatte in diesem Land hat dort erstaunlich viel Beifall bekommen. Man fürchtet dort, dass das aggressive Klima Bemühungen um Deradikalisierung konterkariert. Hier mein Text dessen Schlussfolgerungen ständigen Besuchern dieses Blogs nicht fremd sein werden:

„Können Medien der Radikalisierung junger Muslime entgegenwirken?“

Auf den ersten Blick ist das eine merkwürdige Frage: Wenn etwa in einem Leitartikel der ZEIT der militante Islamismus verdammt wird, so wird das wohl keinen gefährdeten jungen Mann davon abhalten, sich in ein Terrorcamp zu begeben. (Und das liegt nicht nur an der Schichtzugehörigkeit unserer Leser. Auch die BILD kann da nicht viel ausrichten.)
Wir erreichen solche Menschen doch gar nicht, könnte man meinen. Vielleicht wäre sogar das Gegenteil denkbar: Dass sich jemand für den bewaffneten Kampf gegen diese Gesellschaft im Namen des Islams entscheidet, gerade WEIL der Mainstream unserer Medien dies verdammt.
Islamismus ist auch, das haben wir anhand radikalisierter Konvertiten und junger Muslime der zweiten und dritten Generation gelernt, RADICAL CHIC. Es wird die totale Gegenposition zum Bestehenden gesucht, man schlägt sich gerade absichtsvoll auf die Seite der Bewegung, die am meisten gefürchtet und abgelehnt wird. In den 70ern war das im Westen der Kommunismus, heute ist es für manche der Islamismus. Dass man sich außerhalb des Mainstreams stellt, wenn man Islamist wird, ist oft Teil der Attraktion.

Menschen, für die es so weit gekommen ist, dass sie sich in absolute Ablehnung des Bestehenden begeben, erreichen wir aber weder mit einem wohl argumentierten Leitartikel wider den politischen Islam noch mit einem aufklärenden Stück über den „wahren Islam“, der Selbstmordattentate ablehnt.

Also: Wir werden zwar weiter solche Artikel publizieren, aber deren „antiradikalisierende Wirkung“ kann man sich wohl kaum so vorstellen, dass der nächste Mohammed Atta oder Fritz Gelowicz die FAZ, den Spiegel oder die ZEIT beiseite legt, nachdenklich wird und seine Reise nach Pakistan absagt.

Trotzdem halte ich es für richtig, dass Sie im Rahmen des Anti-Radikalisierungsprogramms über die Medien nachdenken. Um in den Blick zu bekommen, was die Medien in diesem Zusammenhang für eine Funktion haben, muss man freilich den Blick weiten.

Der Soziologe Niklas Luhmann hat in seinem Buch über die „Realität der Massenmedien“ gesagt:
„Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien.“

Das ist ein radikaler Satz. Aber so weit muss man die Perspektive öffnen, um die möglichen Zusammenhänge von Medien, Islam, Islamismus, Salafismus und Dschihadismus zu erkennen. In dem Konzept, das Sie mir freundlicher Weise zugeschickt haben, werden fünf „Radikalisierung begünstigende Faktoren“ aufgezählt: Einfluss von Predigern und ehemaligen Kämpfern, Internet und Videopropaganda, unmittelbare Bezugsgruppe Gleichgesinnter, soziale Entfremdung, Gefühl des Nicht- Dazugehörens, Aufenthalt in Terrorcamps.

Zwei dieser Punkte betreffen direkt die Massenmedien: Internet und Videopropaganda, und: soziale Entfremdung, Gefühl des Nicht-Dazugehörens. Und diese beiden Punkte muss man sich, glaube ich, aufeinander bezogen vorstellen: Je stärker das Gefühl der Entfremdung und des Nicht-Dazugehörens, um so mehr ist eine bestimmte Internet- und Videopropaganda attraktiv.

Im Luhmannschen Sinn möchte ich im folgenden darüber reden, welches Bild des Islams wir in Deutschland haben, wenn man unsere Massenmedien dabei zugrundelegt. Für hier lebende Muslime bedeutet das: Welches Bild bekommen sie davon, wie sich die Mehrheitsgesellschaft durch ihre Medien den Islam zurecht legt. Einfacher gesagt: Ein Muslim sieht unsere Schlagzeilen und liest unsere Geschichten über den Islam und fragt sich: Aha, so also sehen die mich, meine Kultur und Religion, meine Herkunft und Prägung.

Und hier liegt ein Problem, das meines Erachtens noch sehr unterschätzt wird:

Immer mehr Muslime in Deutschland, Frankreich und Großbritannien glauben nicht, dass die Mainstream-Medien ausgewogen über sie berichten. Zu diesem Ergebnis kommt ein Pilotprojekt des Londoner Institute for Strategic Dialogue und der Vodafone Stiftung Deutschland.
55 Prozent der befragten Muslime vertraten die Auffassung, die großen Medien berichteten negativ über Muslime. Bei den nicht muslimischen Befragten waren es immerhin 39 Prozent.
Mehr als die Hälfte der Studienteilnehmer sind überzeugt, dass es in den meisten Berichten über Muslime um Terrorismus geht. Ein Drittel glaubt, dass vor allem Fundamentalismus eine Rolle spielt; ein Viertel nimmt als häufigstes Thema in der Berichterstattung über Muslime die Kopftuchdebatte wahr.
Diese Zahlen stammen aus dem letzten Jahr – vor der Sarrazin-Debatte. Sie werden sich kaum gebessert haben.

Natürlich haben diese Befragten nicht Recht in einem objektiven Sinn: Keineswegs geht es in der Mehrzahl der Berichte um Terrorismus. Und das Kopftuch ist immer noch ein Aufregerthema, aber das „häufigste“? Nein. Dennoch scheint es mir unbestreitbar richtig, dass die Intuition der Befragten stimmt, dass hier etwas im Argen liegt.

Ein jüngeres Beispiel: „Jung, muslimisch, brutal“ titelte Spiegel Online einen Bericht über die Studie des Kriminologen Christian Pfeiffer zum Zusammenhang von Religiösität und Gewaltneigung. Der Süddeutschen fiel zur gleichen Untersuchung die Zeile ein: „Die Faust zum Gebet“.
Ein paar andere Schlagzeilen:
blick (Schweiz): „Macht Islam aggresiv? Jung, brutal — Muslim”, Tagesspiegel: “Allah macht hart”, Financial Times Deutschland: “Studie zu jungen Muslimen — Je gläubiger, desto gewalttätiger”, Welt.de: “Studie — Gläubige Muslime sind deutlich gewaltbereiter”, Welt: “Muslime — Mehr Religiosität = mehr Gewaltbereitschaft”, Bild.de: “Junge Muslime: je gläubiger desto brutaler”, Hamburger Abendblatt: “Junge Muslime: Je gläubiger, desto brutaler”.

Das ist die Ausbeute der Schlagzeilen, und sie ist nicht einmal vollständig. In Wahrheit steht in der Studie allerdings, dass es nur einen moderaten Anstieg der Gewaltbereitschaft bei jenen jugendlichen Muslimen gibt, die sich als „sehr religiös“ bezeichnen. (Einzig der Tagesspiegel weist darauf hin und konterkariert so die reißerische Überschrift.) Und die Studie führt auch aus, dass für diesen Anstieg der Gewaltbereitschaft hauptsächlich außerreligiöse Gründe verantwortlich sind – eine Machokultur, die Zahl straffälliger Freunde oder der Konsum von gewaltverherrlichenden Medien zum Beispiel. Es gibt laut der Studie „keinen signifikanten Zusammenhang“ zwischen Religiosität und Gewalt. Ich zitiere:
„Das Modell III belegt ferner, dass diese erhöhte Gewaltbereitschaft weitestgehend auf andere Belastungsfaktoren zurückzuführen ist, wobei die vier bereits bekannten Faktoren einbezogen werden. Dies führt dazu, dass von der Zugehörigkeit zu einer Konfessionsgruppe kein Effekt mehr auf das Gewaltverhalten zu beobachten ist. (KFN-Studie, Seite 116)
(…) Mit stärkerer religiöser Bindung steigt die Gewaltbereitschaft tendenziell an. Da dieser Zusammenhang aber als nicht signifikant ausgewiesen wird, ist bei islamischen Jugendlichen von keinem unmittelbaren Zusammenhang (und damit auch nicht von einem Gewalt reduzierenden Zusammenhang) zwischen der Religiosität und der Gewaltdelinquenz auszugehen. (KFN-Studie, S. 118)
(…) Mit den hier dargestellten Forschungsergebnissen ist noch nicht ausreichend belegt, dass der Islam für die dargestellte Problematik direkt verantwortlich gemacht werden kann. Zur Klärung bedarf es tiefergehende Analysen (…). (KFN-Studie, S. 129)
Kein Effekt, nicht signifikant ausgewiesen, kein unmittelbarer Zusammenhang, nicht ausreichend belegt – so lautet die Schlußfolgerung der Studie.

Und dennoch kam es zu den zitierten Schlagzeilen.  Das ist ein journalistisches Desaster! Dass Muslime angesichts einer solchen Praxis von Islamophobie sprechen, kann ich verstehen.
So darf es nicht weitergehen!
Wie in diesem Fall aus einer Studie, die vorsichtig formuliert, eine Alarmmeldung über brutale junge Muslime gemacht wurde – im vollen Bewußtsein des Herrn Pfeiffer übrigens, dem es offenbar lieber ist, falsch zitiert zu werden als gar nicht – das ist ein Lehrstück darüber, wie es nicht geht.
Warum ich den Begriff Islamophobie dennoch nicht für geeignet halte zu beschreiben, was sich in unserer Öffentlichkeit abspielt, werde ich später beschreiben.
Noch ein Lehrstück, das hierher passt. Es bildet für mich sozusagen den Widerpart zu dem eben zitierten. Pfeiffers Ergebnisse wurden ungebührlich aufgeblasen, um daraus antimuslimische Ressentiments zu bedienen. Umgekehrt wurde in einem anderen Fall ein Verbrechen marginalisiert – an den Rand der Wahrnehmbarkeit gedrängt.
Der Umgang der deutschen Medien – die ZEIT eingeschlossen – mit dem Fall von Marwa El-Sherbiny ist erklärungsbedürftig. Ich muss Ihnen nicht vor Augen führen, was sich vor einem Jahr in Dresden abgespielt hat. Eine junge Frau wurde vor Gericht ermordet, und ihr Mann dann auch noch von der Polizei angeschossen, und dies alles während eines Prozesses, den diese junge Frau führte, weil sie von jenem Alex W. auf übelste Weise beschimpft worden war: „Islamistin“, „Terroristin“, „Schlampe“. Hier hatte jemand das Richtige getan: auf die deutsche Justiz vertraut, um sich gegen antimuslimische Hetze zur Wehr zu setzen. Und war dann im Schoß eben dieser Justiz einem Mord zum Opfer gefallen.
Und nun kommt das Erstaunliche: Tagelang war dies in den deutsche Medien ein Non-Event! Erst als von den tumultartigen Szenen der Beerdigung in Alexandria berichtet wurde, erst als eine Wiederholung der emotionalen Aufwallung aus den Zeiten der Karikaturen-Affäre drohte. Die Empörung kam also von außen. Es musste erst die Befürchtung hinzukommen, dass Deutschland außenpolitisch Schaden nehmen könnte, damit die führenden Politiker sich äußerten. Merkel verurteilte den Mord, Müntefering nahm an der Trauerfeier teil, wichtige gesellschaftliche Gruppen meldeten sich entsetzt zu Wort – allen voran übrigens die Juden.
Ist es Islamfeindlichkeit, die das verzögerte Reagieren erklärt? Nein. Mir fällt es schwer, Merkel, Müntefering, Schäuble oder anderen Repräsentanten der Berliner Politik Islamfeindlichkeit zu unterstellen. Irritierend ist eher eine gewisse Zögerlichkeit und Ungerührtheit – als hätte das Geschehen nichts mit dem Deutschland zu tun, in dem und für das diese Politiker arbeiten. Das Gleiche gilt allerdings auch für die Medien. Auch sie haben offenbar tagelang erfolgreich den Fall Marwa von sich weggeschoben. In der ZEIT haben einige Kollegen damals eine erschrockene Seite 3 geschrieben, die das eigene Versagen reflektierte. Ich zitiere:
„Wenn man einmal Mutmaßungen über das (west-)deutsche Mehrheitsbewusstsein anstellen darf, dann spielten sich dort nach dieser Tat folgende Gedankengänge ab: 1. Wie furchtbar, die arme Frau, was für ein Unglück. 2. Die Tat geschah nicht wirklich in Deutschland, sondern im Osten. 3. Der Täter ist ein Russlanddeutscher, bekanntermaßen die problematischste Minderheit, die in diesem Land lebt, also keiner von uns. 4. Ein Einzelfall also: Übergang zur Tagesordnung. So wurde die Sache mental mar­ginalisiert, auch die Politik nahm das alles zunächst nur aus dem Augenwinkel wahr.“

Vielleicht gibt es ganz banale Gründe für die schlechte Reaktion der Öffentlichkeit, wie meine Kollegen in dem ZEIT-Beitrag vermuteten:
„Es geht nicht um Islamfeindlichkeit, eher um Islamferne – vielleicht auch um eine in der Ferne gedeihende Kälte und Abneigung. ‘Es war keine böse Absicht, sondern eher Gleichgültigkeit und Ignoranz’ meint Aiman Mazyek vom Zentralrat der Muslime. Noch fehlt uns Sensibilität für die muslimische Gefühlswelt. Noch immer hat man das Gefühl, dass die deutsche Gesellschaft mit dem Rücken zu ihren Migranten lebt, dass sie ihnen zu wenig gibt und zu wenig von ihnen verlangt. Noch immer sind hier ‘wir’ und da ‘sie’ – die Identifikation und die selbstverständliche Solidarität fehlen, und das ist es, was die Muslime in der trägen öffentlichen Reaktion auf die Mordtat von Dresden gespürt haben mögen.“

Muslime und Medien. Das ist heute ein zentrales Feld der Gesellschaftspolitik.
Das ist in den vergangenen Jahren wohl auch dem letzten klar geworden. Als ich vor etwa 10 Jahren anfing, in der ZEIT regelmäßig darüber zu schreiben, war das noch nicht so. Mein Bericht zum Beispiel über eine erregte Kontroverse in der Islamwissenschaft landete im Feuilleton. Ein Chef hatte Bedenken, als ich mich wochenlang in Streitigkeiten über die Übersetzbarkeit bestimmter Passagen des Korans einwühlte. „Sie fehlen mir zu lange für die Hauptthemen“, war die Begründung seiner Sorge.
Nun ist aber der Islam zweifellos eines der Hauptthemen unserer Profession geworden. Und die Chefs haben auch umgedacht.

Es gibt dafür zwei Gründe, über die wir hier nicht viel Worte verlieren müssen: Terrorismus und Einwanderung – anders gesagt: radikale, religiös motivierte poltische Bewegungen einerseits und Immigration und demographischer Wandel andererseits. Ein außenpolitisches Motiv also, und ein innenpolitisches.

Allerdings sprengt das Themenfeld „Islam“ diese fein säuberliche Aufteilung der journalistischen Welt in „Innen“ und „Außen“, auf die wir so viel Wert legen in meinem Beruf.
Nehmen wir mal die Affäre um das Boot, das aus der Türkei nach Gaza aufgebrochen war, um dort die israelische Blockade zu brechen – die Mavi Marmara. Eine türkisch-islamische Hilfsorganisation namens IHH steckte hinter dem Unternehmen. Aber auch deutsche Abgeordnete der Linkspartei waren mit an Bord. Neun Menschen starben bei dem Versuch der isarelischen Armee, das Boot zu stürmen.
Nun ist das für Deutschland ganz klar erst einmal eine außenpolitische Angelegenheit. Aber nicht mehr ausschließlich: Wenn die deutsche Regierung sich hier positioniert, hat das auch Auswirkungen in der Innenpolitik: Wie nimmt der Teil des Publikums, der selber türkische Wurzeln hat, die Einlassungen der deutschen Bundeskanzlerin oder des Außenministers wahr? Es kann sein, dass sich in einem solchen Konflikt die deutsche Kanzlerin im Wettbewerb befindet – im Wettbewerb mit dem türkischen Ministerpräsidenten um die öffentliche Meinung der Deutschtürken zum Thema Israel, Gaza, Blockade. Und wenn bei einer solche Aktion neun türkische Staatsbürger sterben, dann ist das für ein Land wie Deutschland mit einer großen türkischen Minderheit ein Faktum von Bedeutung. In der deutschen Politik – und in den deutschen Medien – wird aber über den aktuellen isarelisch-türkischen Konflikt immer noch geredet und geschrieben, als ginge uns diese Sache nur etwas an im Lichte unseres außenpolitischen Credos, die Existenz Israels sei „Teil der deutschen Staatsräson“. Ich glaube, dass hier in langer Sicht die innenpolitische Lage die außenpolitische Perspektive verändern wird.
Und nun kehrt das Thema in die Kulturpolitik zurück: Tal der Wölfe – Palästina: verbieten?

Der Islam ist ein innenpolitisches Thema, seit sich die Lesart durchgesetzt hat, dass erstens die Muslime nicht wieder weggehen, die durch die Migration hierhergekommen sind. Und zweitens, seit auch dem letzten klar geworden ist, dass diese Muslime ihren Islam nicht irgendwann abstreifen werden. Der Islam als Religion eines wesentlichen Teils der Bevölkerung muss Teil der staatverfassungsrechtlichen Wirklichkeit werden. Und mehr als das, denn damit ist ja nur die institutionelle Seite benannt. Man kann von einer „Einbürgerung des Islams“ sprechen, weil es auch um das Vertrautwerden miteinander geht, das sich aufeinander Einlassen in einem viel umfassenderen Sinn. An unseren Debatten über Kruzifixe in Klassenzimmern, Amtseide mit Gottesformel, Moscheebauten in deutschen Innenstädten und genetisch dümmere Muslime können wir ablesen, wie viel da noch zu tun – und zu schreiben – bleibt.

Der Islam in Europa ist eines der wichtigsten gesellschaftspolitischen Themen. Er ist von einem so genannten „weichen“ zu einem so genannten „harten“ Thema geworden, weil zwei Gruppen ihn in unseren Gesellschaften für ihre Zwecke zu kapern versuchen: Radikale Islamisten auf der einen Seite und radikale Rechtspopulisten auf der anderen. Beide leben gut voneinander, beide fördern und stabilisieren ihre jeweiligen Lager. Beide sind Feinde des europäischen Modells der Moderne als einer offenen – auch für andere Religionen offenen – Gesellschaftsordnung.

Für jede Redaktion wird es in Zukunft unabdingbar sein, Experten zu haben, die sprech- und lesefähig sind in Fragen, die den Islam betreffen.

Die mediale Debatte über den Islam ist ein leidenschaftlicher Diskurs, in dem es um Selbst- und Fremdbilder geht. Zwei extreme Grundannahmen auf beiden Seiten markieren die Grenzen:

„Ihr wollt uns nicht. Darum reduziert ihr den Islam so gerne auf Zwangsehen, Gewalt legitimierende Koranverse, strikte Scharia-Normen, Ehrenmorde, Macho- Gehabe und so weiter.“

Die andere Grundannahme lautet: „Ihr wollt uns am Ende doch islamisieren. Ihr akzeptiert unsere liberale Verfassung und unsere offene Gesellschaft nur so lange, wie sie Euch als Minderheit schützt, um uns dann irgendwann doch eure rigiden Vorstellungen von Moral und Anstand, individueller Freiheit und öffentlichem Glauben aufzunötigen, wie wir sie in den islamischen Ländern sehen.“

Es ist diese unterschwellige Logik des Verdachts, die unsere Debatten strukturiert. Eine faire Berichterstattung wird sich immer gegen diese beiden Extreme abstoßen müssen. Und dabei besteht eine besondere Schwierigkeit darin, dass die Ängste beider Seiten manchmal durchaus berechtigt sind:

Denn es gibt zweifellos Teilnehmer der Debatte, die den Islam hier um keinen Preis akzeptieren wollen, und es gibt ebenso jene, die tatsächlich von einer „Islamisierung“ träumen. Weder kann es verboten sein, Islamfeindlichkeit zu benennen, noch kann es tabu sein, muslimische Feinde der Freiheit auch als solche zu beschreiben.

Was darf man denn in Deutschland noch sagen – wenn es um den Islam und die muslimischen Einwanderer geht? Die erregteste Debatte zu diesem Thema hat Thilo Sarrazin angestoßen. Auch die Reaktionen des Publikums sind hoch interessant.

In vielen Hundert Beiträgen schält sich ein Deutungsmuster heraus, das sich immer weiter vom Ursprung der Debatte löst.
Es lautet etwa so: Einer sagt, was schiefläuft im Land mit den »Türken und Arabern« – und wird dafür bestraft. Man kann einem Mythos beim Entstehen zuschauen: Thilo Sarrazin, einsamer Kämpfer gegen Rede- und Denkverbote.

Ich muss sagen, dass viele dieser Beiträge der Leser mich erschreckt haben.

Es kommen in den Leserbriefen und den Onlinedebatten Annahmen über den Stand der Integration, über die »wahren Ursachen« der Probleme des Einwanderungslandes, über die deutsche Identität und über die Haltung der Migranten zutage, die noch weit über Sarrazins Zuspitzungen hinausgehen. Eine unterdrückte Wut macht sich Luft.

Viele Beiträge sind von einem Gefühl der Befreiung getragen. Endlich kann man mal sagen, was man schon lange über die Einwanderer denkt, aber sich nicht zu sagen getraut hat.
Mit der alten völkisch-rechten Fremdenangst hat dieses Phänomen herzlich wenig zu tun. Der politisch-emotionale Druckausgleich findet diesmal eher auf der liberal-progressiven Seite der Gesellschaft statt. Nicht schon die Andersheit des anderen sei das Anstößige, sondern sein Zurückbleiben im Modernisierungsprozess, wie es sich in religiösen Symbolen, traditionsverhafteten Familiensitten und Machismo äußere. Entsprechend geriert man sich wohlig als Bannerträger der Freiheit. Eine manchmal schwer erträgliche Aura biederer Selbstgerechtigkeit gegenüber den Modernisierungsversagern prägt viele Äußerungen, die zuweilen an einen fortschrittlichen Rassismus grenzen.

Das Gefühl der Befreiung wird interessanterweise dadurch befördert, dass hier nicht etwa ein Mann vom rechten Rand behauptet hat, dass die Mehrzahl der Türken und Araber »keine produktive Funktion« hätten und die Türken Deutschland mit ihrer Geburtenrate eroberten, »genauso wie die Kosovaren das Kosovo« (Sarrazin) – sondern ein SPD-Mann.

Viele Leser geben sich vollkommen sicher, dass die Integration scheitern müsse, weil »die« (Einwanderer) einfach nicht wollten. Woraus folge, dass es infrage stehe, wie einer triumphierend schreibt, dass wir »überhaupt eine Einwanderungspolitik« brauchten. Und es dauert nicht lange, da kommt derselbe Leser mit seiner Erklärung dafür, dass »Menschen eines völlig anderen Kulturkreises« nicht integriert werden könnten: Es folgen aus dem Internet kopierte saftige Koranzitate über die »Ungläubigen«. Wieder ein anderer Leser ist zwar nicht per se gegen Einwanderung, aber wenn schon, dann »nur aus katholischen Ländern«. (Vom schlechten Schulerfolg der italienischen Einwandererkinder hat er offenbar noch nicht gehört.)

Das ist nicht abzutun als das übliche Maß an Ressentiment am Rand der Gesellschaft. Die paar handfesten Neonazis in den Debattenforen und Leserbriefspalten sind kaum der Rede wert.
Es ist vielmehr die wutschäumende Mitte, über die man sich Gedanken machen muss.
Zum Glaubenssatz hat sich bei diesen Lesern verfestigt, der Islam sei das Problem, und Muslime seien nun einmal nicht integrierbar.

Wir sind längst weiter. Wir haben in Deutschland die Scheinalternative von Harmoniesoße oder kaum verhohlener Verachtung hinter uns gelassen, die frühere Debatten über die »Gastarbeiter« kennzeichnete. Die Konservativen haben sich von der infantilen Sehnsucht nach dem Status quo ante verabschiedet und akzeptiert, dass die Arbeitsmigration nicht rückabgewickelt werden kann und mit ihren Folgen politisch umgegangen werden muss. So wie die Rechte akzeptiert hat, dass wir ein Einwanderungsland sind, hat die Linke sich stillschweigend von der naiven Idee verabschiedet, Einwanderung sei automatisch eine Bereicherung und Multikulturalismus ein Selbstläufer. Zwei kostspielige Formen der Wirklichkeitsverleugnung sind vor aller Augen gescheitert, und die Politik hat begonnen, mit einer neuen Integrationspolitik darauf zu reagieren.

Wie sollen wir diese Geisteslage, die sich in der Sarrazin-Debatte äußert, begreifen?
Islamophobie – mit diesem Konzept werden ohne Unterschied irrationale und ratio­nale Ängste im Bezug auf den Islam zu Symptomen einer Art psychischen Krankheit erklärt.

Der Phobiker verhält sich zwanghaft. Er kann anderen zur Gefahr werden und wird zugleich als Opfer einer Krankheit betrachtet, statt als Subjekt mit Überzeugungen und Meinungen, wie fragwürdig diese auch immer sein mögen.

Wollen wir wirklich in solchen Begriffen von der öffentlichen Debatte um den Islam reden, wie sie sich bei uns in den letzten Jahren entfaltet hat? Ich halte das nicht für sinnvoll. Ich kann sehr wohl verstehen, warum sich bei manchen Muslimen der Eindruck einer generellen Islamfeindlichkeit festgesetzt hat. Dies auf eine sich immer weiter verbreitende Islamophobie zurückzuführen, hielte ich dennoch für falsch.

Denn dadurch werden bestimmte Redeweisen und Einstellungen von vornherein in den Bereich der Angst gerückt und somit psychologisiert. Man rückt sie damit aus dem Bereich des Verstehbaren und Widerlegbaren heraus. Mit einem Phobiker kann man nicht debattieren. So einfach können wir es uns aber nicht machen.

Schauen wir uns kurz den ersten Versuch an, Islamophobie zu definieren. Dann wird das Problematische dieses Begriffs deutlich werden.
Der Begriff wurde durch eine Studie des britischen Runnymede Trust 1997 in die Debatte eingeführt. Runnymede Trust ist eine unabhägige Lobbygruppe für eine multi-ethnische, multireligiöse und multikulturelle Gesellschaft.
Eine islamophobe Einstellung kommt nach einer Definition des Trust in folgenden Meinungen zum Ausdruck:
– Der Islam sei ein allein stehender monolithischer Block, statisch und für Veränderung unempfänglich.
– Der Islam sei gesondert und fremd, er habe keine gemeinsamen Ziele und Werte mit anderen Kulturen; weder sei er von ihnen beeinflusst noch beeinflusse er sie.
– Der Islam sei dem Westen unterlegen, barbarisch, irrational, primitiv und sexistisch.
– Der Islam sei gewalttätig, aggressiv, bedrohlich, den Terrorismus unterstützend und in einen Kulturkampf verstrickt.
– Der Islam sei eine politische Ideologie, die für politische oder militärische Vorteile genutzt werde.

Islamophobie und Rassismus werden oft synonym gebraucht. Das ist problematisch: Denn ich kann sehr wohl feindliche Gefühle gegenber dem Islam als Religion hegen, ohne Muslime dabei rassistisch abzulehnen. Sonst wäre Islamkritik und Islamfeindlichkeit vonseiten geborener Muslime ja nicht möglich. Auch dies ist ein Versuch, jede Kritik am Islam von vornherein als rassistisch zu diskreditieren.
Ausserdem bin ich der Meinung, dass alle die vermeintlich islamophoben Ideen, die der Runnymede Trust hier auf den Index gesetzt hat, prinzipiell unter dem Schutz der Meinungsfreiheit stehen.

Der Islam wird von manchen Muslimen als politische Ideologie verstanden. Das bestreiten am allerwenigsten jene Muslime, die sich dagegen verwehren. Ja, der Islam hat ein gewaltätiges, aggressives und bedrohliches Gesicht. Terrorismus und Kulturkampf sind ihm nicht fremd. Die meisten der Opfer des radikalen politischen Islams sind selber Muslime.
Ist der Islam dem Westen unterlegen? Ist er sexistisch? Ist er barbarisch? Letzteres würde ich nicht sagen, aber Barbaren im Namen eines bestimmten Islam gibt es zweifelsohne. Sie bringen mit Vorliebe andere Muslime um, wie wir mit Schrecken im Irak, in Pakistan, in Afghanistan sehen können. Sexismus? Wer hier möchte aufstehen und sagen, dies sei ein völlig absurder Vorwurf? Dass der Islam dem Westen unterlegen sei, ist die große Angst und der ANTRIEB aller muslimischen Reformdenker der letzten 200 Jahre. Die Geschichte der modernen Türkei und ihres strikten Laizimus/Kemalismus läßt sich ohne diese Angst überhaupt nicht verstehen. Warum sollten wir diese Aussage also tabuisieren? Nur weil es nicht in Ordnung ist, wenn Nichtmuslime sagen, was Muslime seit 200 Jahren sagen? Genauso verhält es sich mit der Aussage, der Islam sei ein allein stehender monolithischer Block, statisch und für Veränderung unempfänglich.

Es ist einfach Unsinn, diese Aussage als Indiz für Islamophobie anzusehen. Manche Muslime sehen des Islam genau so, manche Muslime kämpfen wiederum gegen jene, weil sie Veränderungen wollen. Eine Aussage, die Gegenstand eines innermuslimischen Streits ist, zum Symptom für Islamophobie zu erklären, wenn sie aus dem Mund von Nichtmuslimen zu hören ist – das geht einfach nicht.

Der Islamophobie-Begriff, wenn er sich durchsetzen sollte in der Breite, in der ich ihn hier skizziert habe, hätte fürchterliche Folgen für unsere liberale Öffentlichkeit. Er wäre ein Instrument, um jede mißliebige Debatte zu ersticken. Diejenigen muslimischen Gruppen, die ihn in Großbritannien propagieren, sind durch die Salman-Rushdie-Affäre entstanden. Ich halte das nicht für einen Zufall. Die Verwendung des Islamophobie-Begriffs seitens dieser Gruppen ist ein Versuch, den in der Rushdie-Affäre gewonnenen Boden zu verteidigen und zu vergrößern.

Wer aber die Wahrnehmung der Menschen verändern will, ist schlecht berufen, mit Verboten, Tabus und Sprachregelungen zu arbeiten. Besser wäre es, der Öffentlichkeit ein anderes Image des Islam zu präsentieren. Allerdings darf das nicht bloß eine Art beschönigende Gegenpropaganda sein. Es muss ein authentisches Gegenbild sein, dass die problematischen Dinge nicht ausblendet und von echter Auseinandersetzung mit ihnen zeugt.

Viele Muslime hierzulande sehen sich als eine Minderheit, die nicht genügend offen und herzlich  angenommen wird. Für Journalisten ist es wichtig, so etwas zu wissen. Aber am Ende darf es die Berichterstattung nicht entscheidend beeinflussen. Sonst wird der Journalismus (noch mehr) Teil der Identitätspolitik, indem er versucht, das „richtige Bild des Islam“ zu formen.

Ein Journalist darf sich so etwas nicht vornehmen, sonst wird er zum Identitätspolitiker. Er soll – das ist eine Banalität – sein jeweiliges Thema fair und unvoreingenommen angehen.

Das journalistische Ethos läßt sich in einem kleinen Satz zusammenfassen: „Dies alles gibt es also.“ Am Anfang soll das Staunen stehen und der Wunsch, die Leser ins Erstaunen zu versetzen über eine Wirklichkeit, die fast immer ein bisschen anders ist, als man denkt. Pathetischer kann ich es nicht sagen.

Und das bedeutet für das Thema Islam: Wir müssen gleichzeitig auf- und abrüsten. Die Aufmerksamkeit für viele Phänomene, die heute noch am Rande unserer Wahrnehmung liegen, muss aufgebohrt werden. Und der Gestus des kulturellen Endkampfes, mit dem wir über islambezogene Themen reden, muss entschieden runtergedreht werden. Dabei will ich nicht bestreiten, dass wir Zeugen einer dramatischen Entwicklung sind: Von einem Land mit einem Dutzend Moscheen sind wir in weniger als 50 Jahren zu einem Land der zweitausend Moscheen geworden – welch eine großartige Leistung für ein Land, das sich noch vor wenigen Jahrzehnten so schwer getan hat mit Fremden.
Was also sollen wir Journalisten tun?

Wir sollen weiter – und mehr als vorher – über den Islam berichten, aber ohne das Leben der muslimischen Migranten und ihrer Kinder hier darauf zu reduzieren.

Der Islam ist die Lösung, lautet die Parole der Islamisten. Und die Rechtspopulisten stimmen ihnen zu, nur ins Negative gewendet: Der Islam ist das Problem.

Eine reduktionistische Berichterstattung kommt diesen beiden Gruppen gerade recht. Dagegen sollte der Pluralismus des islamischen Lebens hier sichtbar werden. Es gibt viele Weisen, Muslim zu sein in Deutschland – fromm, konservativ, liberal, skeptisch, desinteressiert, ja sogar auf eine spezifisch muslimische Weise atheistisch.

Insofern stimme ich überein mit den Autoren einer großen Studie über das „Islambild bei ARD und ZDF“, Kai Hafez und Carola Richter. Sie fanden vor vier Jahren, „dass das Hauptproblem der Islamberichterstattung von ARD/ZDF nicht so sehr die Darstellung von Konflikten an sich ist, sondern die extrem hohe Konzentration auf dieses Themenspektrum. Nicht die Darstellung des Negativen ist das Problem, sondern die Ausblendung des Normalen, des Alltäglichen und des Positiven. Es entsteht der Eindruck, als ließen sich ARD/ZDF ungeachtet vieler offizieller Bekundungen des Gegenteils von einem simplifizierten Bild des ‘Kampfes der Kulturen’ zwischen dem Islam und dem Westen leiten, das ungeachtet seiner großen Popularität fast keine Unterstützer in der Wissenschaft findet. (…)
Es bedarf keiner an vorgefertigten Kulturmodellen orientierten Nachrichtenroutine, sondern eines lebendigen und dynamischen Journalismus, der nicht mehr über den Islam berichtet, sondern die vorhandenen medialen Räume so pluralistisch konzipiert, dass alle Bereiche des muslimischen Lebens eingeschlossen werden.“

Ein Beispiel dafür, wie man’s nicht macht: Ein islamischer Theologe hat mir erzählt, dass er vor wenigen Jahren einmal zu einer der großen Talksendungen im deutschen Fernsehen eingeladen werden sollte. Es fand ein Vorgespräch statt, das angenehm verlief. Dann wurde er kurz vor der Sendung doch noch ausgeladen. Begründung: Man hätte sich etwas schärfere Kommentare von ihm erhofft. Tja, und in der Sendung bei Sabine Christiansen saß dann der Leipziger Salafist Hassan Dabagh mit seinem malerischen Rauschebart. Er wirkte toll im Fernsehen. Er wirkte wie fürs Fernsehen geschaffen.

Eine Veralltäglichung der Islamberichterstattung, wie von Hafez und Richter gefordert, wäre zweifellos wünschenswert. Aber ich habe Probleme mit der Scheu vor Konflikten. Ich bin nämlich nicht der Meinung der Autoren, dass die Berichterstattung über Konflikte im Zusammenhang mit dem Islam integrationshemmend wirkt. Ganz im Gegenteil glaube ich, dass Integration sich immer im Modus des Konflikts vollzieht.

Zu einer pluraleren Gesellschaft gehört ganz zentral auch das Aushalten von Konflikten. Die schöne Idee, dass man in einer pluralistischeren Gesellschaft rücksichtsvoller zu sein habe, kann nicht von oben her durchgesetzt werden.

Sie wird sich nur aus durchlebten Konflikten ergeben, in denen man einander kennen – und die Sensibilität des anderen respektieren – lernt. Dass es am Ende in einer „bunten Republik Deutschland“ , wie der neue Bundespräsident sagt, netter und höflicher zugeht, darauf würde ich also nicht wetten. Alle Seiten müssen wohl lernen, mit immer mehr Zumutungen zu leben.