Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Die „Zäsur“ von Fukushima

 

Es ist lustig, dass nun überall – angesichts der Situation in Japan – von einer „Zäsur“ die Rede ist. Vor allem von seiten derjenigen, die eben noch die Laufzeit der Atomkraftwerke verlängert haben und eigentlich den Ausstieg aus dem Ausstieg einläuten wollten.

Mit den Ereignissen von Fukushima soll nun alles anders sein. Warum eigentlich? So ein Erdbeben werden wir hier nicht erleben, und einen Tsunami wohl auch nicht.

Was also ist geeignet, an den japanischen Ereignissen auch Deutsche zu beeindrucken? Die Tatsache, dass auch doppelte und dreifache Kühlsysteme durch eine Verkettung von Umständen ausfallen können?

Das konnte man auch vorher wissen. Vor ein paar Jahren war ich im schwedischen Forsmark, als dort die Notsysteme versagt hatten. Man hatte nur kurz vor einem schweren Unfall gestanden. Forsmark – betrieben von Vattenfall – war übrigens der Reaktor, dessen Crew als erstes die Strahlung von Tschernobyl gemessen hatte.
Die Folgen dieses Beinahe-Unglücks mitten in Europa für die deutsche Debatte: Null.

Die schwarzgelbe Regierung hat stattdessen den Atomausstieg vertagt, um gegen Rotgrün ein Zeichen zu setzen. Man wollte signalisieren, dass Deutschland keine „Dagegen-Republik“ wird, was die Atomkraft angeht. Westerwelle hat immer wieder darauf hingewiesen, dass die ganze Welt das nicht so eng sieht mit dem Restrisiko und auf Atomstrom setzt. Atomkraftwerke in Hochtechnologieländern sind sicher, das war die Botschaft. Wir wollen mitverdienen an der „Renaissance“ der Kernernergie. Tschernobyl war über die Jahre zu einem Freak-Ereignis herabgestuft worden, das bedauernswerte Stolpern eines todgeweihten Systems – letztlich irrelevant für uns.

Das Spiel ist mit Fukushima vorbei, und insofern gibt es tatsächlich eine Zäsur. Aber die Rede von der Zeitenwende hat für die regierende Koalition die durchsichtige Funktion, diejenigen ins Unrecht zu setzen, die schon seit Jahrzehnten sagen, dass die Atomenergie keine Zukunft hat, weil sie nicht beherrschbar ist. Alles soll sich nun erst durch die Ereignisse in Japan gewendet haben. Dieselben Politiker, die eben noch stolz auf die Verlängerung waren, die sie im „Herbst der Entscheidungen“ durchgeboxt hatten, sind nun im Wettkampf darum, wer am schnellsten ausschaltet: Neckarwestheim ist schon geopfert, Biblis wird folgen, und ich kann schon vor meinem geistigen Auge  sehen, wie Horst Seehofer Isar abschaltet.

Geschieht ihnen recht. Ich finde es bizarr, wenn nun gesagt wird, dies sei keine Zeit für Parteipolitik. Wann denn, bitte schön, wenn nicht jetzt?

Es ist richtig, dass den Politikern, die jahrzehntelange informierte Bedenken als dumpfes Dagegen-Sein abtun wollten, ihre eigenen Entscheidungen auf die Füße fallen. Wir leben in einer Demokratie, in der nicht durchsetzungsfähige Technologien mit so hohen (politischen) Kosten verbunden sind, dass sie dann eben nicht weiter durchgedrückt werden können.

Rotgrün musste unter Schmerzen und gegen die Instinkte seiner Wähler zwei Dinge tun: Einen Krieg führen und den Sozialstaat reformieren.

Schwarzgelb hat noch nicht eine einzige Sache gemacht, die bei den eigenen Leuten etwas kostet (nicht einmal die Abschaffung der Wehrpflicht ist ein kontroverses Thema). Der Atomausstieg und die entschlossene Förderung der Erneuerbaren könnte diese Herausforderung werden.

p.s. Sicher hat sich schon mancher gefragt, ob das hier nicht völlig o T ist. Nein. Alexander Dobrindt, der Vordenker der Christsozialen, hat auf geniale Weise den Zusammenhang von Integration- und Atomdebatte aufgezeigt: