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Die Obama-Doktrin und das Totalversagen der deutschen Diplomatie

 

Obama hat gestern abend begründet, warum die USA in Libyen interveniert haben. Zugleich bietet diese Rede so etwas wie den Rahmen der Obama-Doktrin.

Mir hat es einen Stich versetzt, als er die engsten Alliierten der Vereinigten Staaten aufzählte, darunter Dänemark, Norwegen und Italien und die Türkei ! – und eben nicht Deutschland. Er sagte:

„To brush aside America’s responsibility as a leader and -– more profoundly -– our responsibilities to our fellow human beings under such circumstances would have been a betrayal of who we are.  Some nations may be able to turn a blind eye to atrocities in other countries.  The United States of America is different.  And as President, I refused to wait for the images of slaughter and mass graves before taking action.“

Die Deutschen waren bereit, auf diese Bilder zu warten. Turn a blind eye: das war Westerwelles Position trotz seines vorhergehenden Geredes über „wertegebundene Außenpolitik“. Merkel, die einmal als Transatlantikerin galt und in Amerika zig Preise für dieses unbestätigte Gerücht kassiert hat, unterstützt den isolationistisch-radikalpazifistischen Kurs ihres Vize.

Obama sprach parallel zu der Kommandoübernahme durch die Nato über die Operationen in Libyen. Deutschland hat sich letzte Woche aus der Durchsetzung eines Waffenembargos durch Nato-Kräfte zurückgezogen. Unfassliche Konsequenz der Enthaltung im Weltsicherheitsrat: Deutschland hat Schiffe aus Missionen abgezogen, die seit dem 11. September zwecks Antiterror-Kampf im Mittelmeer unterwegs waren. Warum? Weil es nun dazu kommen könnte, dass beim Aufbringen libyscher Schiffe Gewalt angewendet werden muss.

Um diese Schande auszuwetzen, schicken wir nun Awacs-Mannschaften nach Afghanistan (wogegen vor Monaten noch seitens der Regierung agitiert wurde). Ein Tiefpunkt deutscher Außenpolitik.

Obamas Rede zielt daheim gegen Isolationisten und regime-change-Advokaten zugleich. Er macht klar, warum es im Interesse der Vereinigten Staaten war, in Libyen nicht dem Sieg Gadhafis zuzuschauen: Die arabische Freiheitsbewegung darf nicht durch das Signal geschwächt werden, dass brutale Tyrannei nun doch wieder hingenommen wird. Ein Flüchtlingsdrama soll verhindert werden. Am stärksten aber ist der Appell an die amerikanischen Werte: Es wäre ein Betrug an ihnen, sagt Obama, wenn man hier, wo man eingreifen kann, davor zurückschreckt.

Daraus folgt nicht, dass demnächst überall eingegriffen werden müsse, wie die Gegner der Intervention argumentieren. Hier aber gibt es passende Voraussetzungen: Ein legitimer Ruf von innen, ein Beschluss des Sicherheitsrats, willige Alliierte (auch aus der Region), einen Notstand und die Chance, ohne massive eigene Verluste Schlimmes zu verhindern.

Eben um diese Legitimität nicht zu gefährden, folgt daraus nicht, dass man gleich „all the way“ gehen und Gadhafi militärisch stürzen muss. Das sollten die Libyer alleine erreichen, geschützt und gestützt durch die internationalen Truppen, die Gadhafis Chancen, ein Massaker anzurichten, reduzieren. Westliche Bodentruppen würden den legitimen Aufstand in eine weithin abgelehnte Besatzung verwandeln. Es ist falsch zu sagen, meint Obama, wer nicht bereit sei, bis zum Ende zu gehen (wie im Irak?), der solle gleich gar nichts tun.

Es ist klug und richtig, dass Obama die Rolle der Amerikaner darin sieht, eine möglichst breite Koalition zu ermöglichen und sich dann so weit wie möglich aus der militärischen Führung zurückzuziehen. Nordafrika ist vor allem eine Sache der Nachbarn und der Europäer. Einige Europäer scheinen das zu begreifen.
Sollte Gadhafi sich in Tripolis verschanzen, nachdem sein Militär die Möglichkeit eingebüßt hat, die Zivilbevölkerung zu terrorisieren, beschränkt sich die Rolle der Koalition auf die Überwachung des Luftraums und der Bewegungen schweren Geräts am Boden. Durch eine Unterstützung der Rebellen, durch konsequente Embargos und die diplomatische Unterstützung des Wandels könnte dann ein Regimewechsel passieren, ohne dass Libyen besetzt und die Opposition diskreditiert wird – und ohne dass bei den Nachbarn den Argwohn genährt wird, es handele sich um ein neokoloniales Abenteuer.

Die Obama-Doktrin fasst Aaron David Miller in der New York Times so zusammen:

Aaron David Miller, a State Department Middle East peace negotiator during the Clinton administration, said Mr. Obama described a doctrine that, in essence, can be boiled to this: “If we can, if there’s a  moral case, if we have allies, and if we can transition out and not get stuck, we’ll move to help. The Obama doctrine is the ‘hedge your bets and make  sure you have a way out’ doctrine. He learned from  Afghanistan and Iraq.”

Ich halte es für ein Totalversagen der deutschen Diplomatie, dass wir diese begrüssenswerte Wende nicht unterstützen.