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Abbas: „Nie wieder bewaffneter Kampf!“

 

Am letzten Donnerstag konnte ich (zusammen mit meiner Kollegin Alice Bota) in Berlin den Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas, interviewen. Abbas drängte auf eine Fortsetzung der Sondierungsgespräche mit Israel. Heute sieht es so aus, als seien diese gescheitert.

Das war, offen gestanden, zu erwarten gewesen. Unser Interview konzentriert sich denn auch auf Abbas‘ Einschätzung der Wirkung des arabischen Frühlings auf die Palästinenser, die Chancen des politischen Islams, auf seine UN-Initiative, seine Bilanz des „bewaffenten Kampfes“ und die Frage von Heimatgefühlen und Rückkehrrecht. Abbas wirkt aufgeräumt an diesem Donnerstag, aber auch ein wenig melancholisch.

Aus der ZEIT von heute, Nr. 5, S. 8

DIE ZEIT: Herr Präsident, wir haben 2011 ein Umbruchjahr für die arabischen Länder erlebt. Verstehen Sie, dass Ihr israelischer Nachbar mit Angst auf die neue Lage blickt?
Mahmud Abbas: Ich verstehe die Angst der Israelis sehr gut, es ist eine sehr schwierige Situation für ihr Land. Aber was heute in den arabischen Ländern passiert, sollte Israel zur Eile drängen, mit uns Frieden zu schließen. Keiner weiß, was später kommt. Keiner weiß, was der Arabische Frühling bringen wird.
ZEIT: Für die Palästinenser hat der Arabische Frühling zunächst nur Hoffnung gebracht. Was ist daraus geworden?
Abbas: Was die palästinensische Sache angeht, hat das revolutionäre Jahr keine Veränderung gebracht. Aber bitte verstehen Sie, dass ich mich nicht in die inneren Angelegenheiten unserer Nachbarländer einmischen kann, weil dort viele palästinensische Flüchtlinge leben. Ich will deren Wohl nicht gefährden.
ZEIT: Sind die Palästinenser am Ende die großen Verlierer des Arabischen Frühlings?
Abbas: Wenn die Menschen auch bei uns einen Regimewechsel wollen, können sie den jederzeit haben, denn wir glauben an Demokratie. Ich würde mich mit Vergnügen dem Volkswillen beugen. Bei den Demonstrationen im Westjordanland und in Gaza gab es aber nur drei Slogans: »Nieder mit der Besatzung«, »Nein zur nationalen Teilung« und »Ja zur Versöhnung zwischen den palästinensischen Fraktionen Fatah und Hamas«.
ZEIT: Im Mai soll es Wahlen geben. Sie stehen nicht für eine weitere Amtszeit zur Verfügung?
Abbas: So habe ich es gesagt, und ich stehe dazu. Ich hoffe sehr, dass wir am 4. Mai unsere Wahlen abhalten können. Dann werde ich abtreten.
ZEIT: Voraussetzung dafür ist die Versöhnung zwischen Ihrer Fatah und Hamas in Gaza, und die kommt nicht voran.
Abbas: Die Versöhnung kommt sehr wohl voran. Es gibt zwischen dem Westjordanland und Gaza keine Auseinandersetzungen mehr. In Gaza sind noch militante Gruppen jenseits von Hamas aktiv, die manchmal Raketen auf Israel schießen. Hamas versucht, sie unter Kontrolle zu bringen. Wir alle wollen Wahlen als Abschluss der Versöhnung. Wer danach regiert, das ist allein Sache des palästinensischen Volkes.
ZEIT: In der arabischen Welt erleben wir Wahlsiege des politischen Islams. Droht das auch Palästina?
Abbas: Hamas ist wichtig, aber ich glaube nicht, dass die Palästinenser mehrheitlich für islamische Parteien stimmen werden. Wir sind sehr viel säkularer als unsere Nachbarn.
ZEIT: Das ist die Weltsicht Ihrer Generation, der säkularen Nationalisten, die jetzt bald abtreten wird.
Abbas: Die Gesprächsbereitschaft der Palästinenser hängt nicht an meiner Person. Der Friedensprozess ist nicht die private Politik von Mahmud Abbas. Er ist in der Fatah tief verwurzelt. Unsere gesamte Führung ist moderat und säkular.
ZEIT: In der Hamas sind die Moderaten auf dem Rückzug. Der eher pragmatische Chef Chaled Meschal, Ihr Partner bei den Versöhnungsgesprächen, will nicht wieder antreten. Sie befürchten nicht, dass auch in Palästina eine neue, radikalere Generation die Macht übernimmt?
Abbas: Ich hoffe, dass es nicht so kommt.
ZEIT: Im Herbst haben Sie bei den Vereinten Nationen die Aufnahme Palästinas als Vollmitglied beantragt. Warum dieser Schritt?
Abbas: Ein Jahr zuvor hatten wir versucht, die Verhandlungen wiederzubeleben. Das scheiterte trotz der Bemühungen des Quartetts, bestehend aus den USA, der EU, Russland und den Vereinten Nationen. Wir hatten angekündigt, uns in diesem Fall an die UN zu wenden. An wen auch sonst? Aber das bedeutet doch nicht, dass wir nicht mehr verhandeln wollen! Alle Kernprobleme eines Friedensschlusses – Grenzverlauf, Sicherheitsfragen, der Status Jerusalems und die Flüchtlingsfrage – müssen natürlich zwischen uns und den Israelis direkt besprochen werden. Nur so wird es Frieden geben. Aber wir mussten Bewegung in den Prozess bringen, denn der war seit dem Amtsantritt von Benjamin Netanjahu blockiert.
ZEIT: Die Israelis betrachten Ihren Gang zu den UN als einseitigen Schritt.
Abbas: Wieso? Israel verletzt durch seine Siedlungspolitik internationale Verpflichtungen, die es selbst unterschrieben hat. Israel stellt sich damit gegen die gesamte internationale Gemeinschaft. Wir aber suchen internationale Unterstützung für unsere Anerkennung.
ZEIT: Die israelischen Behörden haben Ihnen kürzlich ein Visum ausgestellt, mit dem Sie das Westjordanland verlassen können und das nur noch zwei Monate gültig ist. Ist das die Strafe für den Gang zu den UN?
Abbas: Ich sehe darin eine Demütigung. Ich hatte früher einen VIP-Pass. Jetzt bekomme ich einen vorläufigen Erlaubnisschein mit dem Vermerk, er sei »trotz Sicherheitsbedenken« ausgestellt worden. Man sagt, ich führe einen »terroristischen, diplomatischen und juristischen Krieg« gegen ­Israel. Was soll ich machen? Ich lebe unter der Besatzung. Ich hoffe, dass die Israelis ihre Einstellung ändern, denn ein Scheitern unserer Gespräche wäre ein Desaster für die ganze Region.
ZEIT: Ist ihr UN-Projekt gescheitert? Ihr Antrag hatte im Sicherheitsrat keinen Erfolg, und das Verhältnis zu Israel ist noch schwieriger ­geworden.
Abbas: Das ist noch nicht vom Tisch. Wir forcieren unser Anliegen derzeit nur deshalb nicht, weil wir neuen Gesprächen eine Chance geben wollen. Aber wir werden bei den UN weiter­machen, wenn es keine ernsthafte Gespräche mit Israel gibt.
ZEIT: Was sind Ihre Forderungen?
Abbas: Die Israelis müssen endlich Vorschläge bezüglich der Grenzen und der Sicherheit auf den Tisch legen, und sie müssen während der Verhandlungen den Siedlungsbau beenden. Das sind keine einseitigen Forderungen der Palästinenser. Das Nahostquartett verlangt das Gleiche. Wenn es dazu nicht kommt, werden sich am 29. Januar unter der Führung von Katar die Außenminister von 18 arabischen Staaten treffen, um die nächsten Schritte zu besprechen.
ZEIT: Hat die Zweistaatenlösung überhaupt noch eine Chance?
Abbas: Ich fürchte, sie wird seit Netanjahus Amts­antritt vor zwei Jahren zu­sehends unwahrschein­licher. Wir haben den historischen Fehler gemacht, dem Teilungsplan von 1947 nicht zuzustimmen. Darauf folgten Krieg und Vertreibung, und das paläs­tinensische Gebiet schrumpf­te weiter. Der Krieg 1967 brachte die Besatzung. Seither wachsen die Siedlungen und machen einen funktio­nierenden, zusammenhän­gen­den Staat zunehmend unmöglich. Es wird immer schwerer, zu unterscheiden, was unser Land ist und was ihres. Wenn es so weitergeht, werden sie eines Tages in meinem Büro in Ramallah einen Vorposten errichten.
ZEIT: Was spricht für Sie gegen die Einstaaten­lösung, also ein Israel, in dem die Palästinenser eines Tages die Mehrheit stellen würden?
Abbas: Wir wollen das nicht. Wir streben zwei Staaten an, Seite an Seite, in Stabilität und ­Sicherheit. Und wir beanspruchen nicht mehr als 22 Prozent des historischen Palästinas. In dem Moment, wo wir eine Einigung mit den Israelis verkünden, werden 57 islamische und arabische Staaten Israel anerkennen. So steht es in der arabischen Friedensinitiative. Israel kann dabei so viel gewinnen! Aber die Führung in Jerusalem sieht das nicht. Wir sind sogar bereit, die Nato auf unserem Territorium stationieren zu lassen! Ich bin mir bewusst, dass die Sicherheit in der Region für Israel eine hoch sensible Frage ist, und ich wollte mit dem Nato-Vorschlag ein Zeichen setzen. Ehud Olmert, der frühere israelische Premier, hat diesen Vorschlag akzeptiert. Netanjahu hat Nein dazu gesagt. Ich habe ihm ent­gegengehalten, dass die Nato seine Alliierte ist, nicht unsere.
ZEIT: Die Israelis sind skeptisch, weil aus Gaza immer noch Raketen auf Israel fliegen.
Abbas: Wenn wir die Versöhnung mit Hamas abschließen, wird es an dieser Front ruhig werden.
ZEIT: Können Sie das garantieren?
Abbas: Ich garantiere dafür. Ich habe in meiner Amtszeit bewiesen, dass ich Wort halte. In den letzten fünf Jahren hat es im Westjordanland keinen einzigen Vorfall gegeben, der Israels Sicherheit betrifft. Die israelischen Politiker verleugnen das. Aber die israelischen Generäle und Geheimdienstler werden Ihnen sagen: Hut ab vor Abu Masen, er macht einen exzellenten Job!
ZEIT: Vor drei Jahren hatten Sie mit Ehud ­Olmert alles bis ins Kleinste verhandelt. War es ein Fehler, dass kein Friedensvertrag abgeschlossen wurde?
Abbas: Ich stimme Ihnen zu: Wir hatten alle Kernprobleme besprochen. Wir gingen sogar weiter: Ein Vertrag hätte das Ende des Konflikts bedeutet. Wir waren einem Abschluss sehr nahe, doch dann musste Olmert aus innenpolitischen Gründen zurücktreten. Es folgten Wahlen, und Netanjahu kam ins Amt. So haben beide Seiten eine große Chance verpasst. Wir haben uns geschworen, nie wieder eine Gelegenheit verstreichen zu lassen.
ZEIT: Sie sagen, die Regierung Netanjahu zeige kein Interesse an Gesprächen. Warum dann überhaupt weiterverhandeln?
Abbas: Wir haben keine andere Wahl. Wir werden nie wieder zum bewaffneten Kampf zurückkehren! Niemals, niemals! Es wird nur fried­lichen Widerstand gegen die Besatzung geben.
ZEIT: Ist das Ihre Folgerung aus der blutigen »zweiten Intifada« mit etlichen Selbstmordattentaten zwischen 2000 und 2005?
Abbas: Das darf sich nie wiederholen. Wir wollen Frieden. Wir übernehmen deshalb Ver­antwortung für die Sicherheit Israels: Fünf Jahre ohne jeden Zwischenfall! Warum versteht die andere Seite nicht, was es bedeutet, dass wir ­Palästinenser de facto die israelischen Grenzen bewachen?
ZEIT: Sie schließen also eine neue Welle der Gewalt aus?
Abbas: Ich sehe sie derzeit nicht, aber wenn die Menschen verzweifelt sind, kann die Lage sehr schwierig werden.
ZEIT: Es scheint, als beendeten Sie Ihre politische Karriere mit einem pessimistischen Gefühl.
Abbas: Unglücklicherweise ist das wohl so. Ich habe fünfzig Jahre diesem Kampf um eine Heimat gewidmet. Nun bin ich ein alter Mann.
ZEIT: Wo ist für Sie Heimat?
Abbas: Heute ist Ramallah meine Heimat. Aber ich habe noch Erinnerungen an Safed, die Stadt im Norden Israels, aus der wir wegen des Krieges 1948 fliehen mussten. Danach war ich nur einmal wieder da. Das war 1995. Ich hatte zehn Minuten, es war sehr emotional. Schließlich war es meine Stadt, dort stand das Haus meiner Familie. Ich habe gelernt, die Geschichte zu akzeptieren, aber es ist schwierig. Ich war 13, als wir weggingen. Ich kann mich an alles erinnern, Häuser, Geräusche, Gerüche, an jeden Stein.
ZEIT: Werden die palästinensischen Flüchtlinge in den Lagern Ihre Sicht teilen und verzichten?
Abbas: Ich spreche nur für mich, nicht für die fünf Millionen Flüchtlinge. Aber ich weiß, dass viele von ihnen auf ihr Rückkehrrecht verzichten würden. In dem arabischen Friedensplan haben wir festgeschrieben, dass wir eine einvernehmliche Lösung des Flüchtlingsproblems wol­len. Kann ich den Israelis denn etwas aufzwingen? Natürlich nicht! Wir hatten mit Olmert ein Übereinkommen erzielt. Mancher fürchtet immer noch, die Palästinenser würden nach einem Friedensabkommen weitere Ansprüche stellen. Darum habe ich das Ende des Konflikts und damit das Ende jeglicher Forderungen in die Verhandlungen aufgenommen. Niemand hat dann noch das Recht, weitere Ansprüche zu stellen. Ich will nicht zurück nach Safed!

Die Fragen stellten Alice Bota und Jörg Lau