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Shahin Najafis falsche Freunde

 

Ich schätze den Kollegen Daniel Bax von der taz. Was er im Interview mit dem bedrohten iranischen Rapper Shahin Najafi getan hat, ist ein journalistischer Totalausfall.

Zur Erinnerung: Die taz hat sich vor 23 Jahren Ruhm erworben durch ihre Pionierleistung im Fall Salman Rushdies. Gemeinsam mit anderen internationalen Medien organisierte die taz die Solidaritätskampagne für den vom Ajatollah Khomeini mit dem Tod bedrohten Schriftsteller. Während große Verlage Angst vor den Konsequenzen hatten und vor einer Publikation der „Satanischen Verse“ zurückschreckten, ging die taz voran und organisierte die Solidarität mit dem Autor. Thierry Chervel, heute beim Internetmagazin „Perlentaucher“, war damals die treibende Kraft.

Najafi lehnt es selbst ab, sich mit Rushdie zu vergleichen. Allerdings sind die möglichen Parallelen allzu augenfällig. Und ihn könnte es, wie er im Interview mit Bax sagt, noch ärger treffen, denn als Musiker, der auf öffentliche Auftritte angewiesen ist, könnte seine Karriere durch die Drohungen beendet sein.

Daniel Bax fragt ihn in seinem Interview drei Mal, ob er denn nicht mit der Konsequenz habe rechnen müssen:

„Der Song ist ja recht provokant formuliert. War Ihnen nicht klar, dass er im Iran harsche Reaktionen provozieren würde?“

(…)

„Schon das Bild, das den Song im Internet illustriert, ist provokant: Es zeigt eine Moscheekuppel, die einer weiblichen Brust gleicht, und darauf ist die Regenbogenfahne der Homosexuellenbewegung gehisst. Was haben Sie sich dabei gedacht?“

(…)

„Auch normale Muslime könnten das als Provokation empfinden. Musste das denn sein?“

Vier Mal in einem kurzen Interview durch die Terminologie der Provokation zu suggerieren, der Künstler habe keine andere Reaktion erwarten können, das ist ein starkes Stück. Man muss an zum Glück vergangene Zeiten denken, in denen Vergewaltigte sich Hinweise auf zu kurze Röcke gefallen lassen mussten.

Zur Klärung: Ich finde, es ist in Ordnung zu fragen, ob der Künstler die Reaktion des Regimes nicht hätte erwarten müssen. Schließlich leben wir post Rushdie und post Westergaard. Ein Mal hätte allerdings gereicht, und auf den Ton kommt es an. Indem Bax vier Mal von Provokation spricht, entsteht der Eindruck, hier identifiziere sich ein Interviewer doch recht weitgehend mit der Perspektive des iranischen Zwangssystems und seiner Anmaßung, im Namen des Islams und der Muslime zu sprechen und zu urteilen. Übrig bleibt ein genervtes: „Musste das denn sein!“

Diese Tendenz wird auf die Spitze getrieben, wenn die Systemperspektive in der letzten oben zitierten Frage auch noch mit derjenigen der „normalen Muslimen“ ineins gesetzt wird.

Kein „normaler Muslim“ hatte irgendetwas gegen diesen Song geäußert, bis die Revolutionsgarden eine widerwärtige Kampagne inklusive Kopfgeld für den Künstler gestartet haben. Und nun liefert ein deutscher Journalist dazu durch Suggestivfragen eine ex post Legitimation? Ätzend.

Es gibt eine Art, den Islam verstehen zu wollen, die von Islamfeindlichkeit kaum zu unterscheiden ist – weil sie nämlich die vermeintlichen Reflexe „normaler Muslime“ mit den niedersten, dumpfesten Ressentiments gegen die Freiheit identifiziert.

Muslime können gar nicht anders, als sich durch ein solches Lied „provoziert“ fühlen (provoziert natürlich zu Mord und Todschlag)? Zigtausende iranische Facebook-Freunde von Shahin Najafi sehen es anders.