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Warum nur Muslime den Salafismus besiegen können

 

Im folgenden dokumentiere ich einen beeindruckenden Beitrag von Ahmad Mansour, seit Herbst 2010 wissenschaftlicher Mitarbeiter bei dem Projekt „Astiu“ (Auseinandersetzung mit Islamismus und Ultranationalismus) beim „Zentrum demokratische Kultur“.  Voher hat er sich bereits als Gruppenleiter bei dem Projekt „Heroes“ engagiert, das sich gegen „die Unterdrückung im Namen der Ehre und für Gleichberechtigung“ einsetzt.

Ahmad Mansour ist Palästinenser und studierte in Tel Aviv Psychologie, Soziologie und Anthropologie. Seit 8 Jahren lebt er in Berlin und beendete sein Studium 2009 an der HU als Diplom-Psychologe. Mansour ist Mitbegründer des 2010 entstandenen Netzwerkes europäischer liberaler Muslime für Demokratie und Menschenrechte.

Hier sein Aufruf:

 

„Vorab möchte ich etwas klar stellen: Ich bin Muslim, aber Salafisten sind nicht meine Brüder, und ich bin auch kein Teil von irgendeiner imaginären, weltweit unterdrückten muslimischen Gemeinde, der so genannten Umma. Salafismus repräsentiert mich als Individuum und als Menschen nicht. Sie repräsentieren den Islam nicht – nicht wie ich ihn verstehe! Im Gegensatz zu ihnen sind für mich Meinungsfreiheit, Demokratie, Menschenrechte und Toleranz keine Einbahnstraße und kein Instrument, um hierzulande Hass frei zu verbreiten!

 

Es wurde viel über den Salafismus geschrieben und berichtet. Leider habe ich in dieser aktuellen Debatte die muslimischen Stimmen vermisst! Vereine und Verbände erkennen die Gefahren des Salafismus nicht und handeln aus sehr eingeschränkter Sicht. Manche versuchen das Problem zu verharmlosen. Manche stehen sogar mit Salafisten auf einer Bühne – wie der Rat der Muslime in Bonn – während Polizisten angegriffen und schwer verletzt werden und wundern sich, dass es ihnen nicht gelingt, diese Gewalt zu stoppen. Und für manche sind Salafisten Brüder und Schwestern im Islam!

 

Das ist keine Überraschung: Denn Salafismus ist letztendlich nur die Zuspitzung von Inhalten, die für viele muslimischen Vereine, Verbände und Mitbürger Teil ihres Glaubens sind.

 

Auch wenn die salafistische Szene sehr gespalten ist, und auch wenn die so genannten Dschihadisten, die zum bewaffneten Kampf aufrufen und ihn legitimieren, die Minderheit bei den Salafisten ausmacht, bin ich der festen Überzeugung, dass der Salafismus als Ideologie im Widerspruch zu unserem Rechtsstaat steht. Gewalt fängt nicht erst da an, wo Menschen im Namen der Religion auf andere schießen. Für mich sind Polygamie, Geschlechtertrennung, Exklusivitätsanspruch, die Ablehnung der Demokratie und des demokratischen Rechtssystems, sowie der Glaube, Menschen vor ihrem gotteslosen und elenden Leben retten zu müssen, schon eine Form der Gewalt, welcher Einhalt geboten werden muss.

 

Um dem Salafismus Einhalt gebieten zu können, müssen wir die Gründe für die rasante Verbreitung solchen Gedankenguts und der Gewaltexzesse der letzten Wochen verstehen. In den letzten Jahren haben sich immer mehr gewaltbereite und gewaltverherrlichende Menschen dieser Strömung angeschlossen. Der Salafismus bot ihnen eine Bühne, auf der sie ihre Aggressionen politisch und religiös ausleben können. Jene Anhänger, die sich immer gern als Beleidigte und Entrechtete darstellen, haben sich über die Provokation der Pro NRW gefreut. Für sie war dies die große Chance, ihre vom Opferstatus geprägte Weltanschauung zu bestätigen und sich und ihren Anhängern noch einen Grund zu liefern, gegen diese Gesellschaft zu rebellieren.

 

Wir müssen begreifen, wieso das salafistische Gedankengut insbesondere auf manche Jugendliche eine magnetische Anziehungskraft ausübt. Es liegt nicht nur an der gescheiterten Integration, wie manche gerne behaupten, um die Schuld von der eigenen Community weg zu schieben. Wir Muslime müssen vielmehr die Gründe in unseren eigenen Reihen suchen. Der Salafismus hat schließlich nichts Neues erfunden, sondern ein weit verbreitetes Islamverständnis in eine extreme Form gegossen.

 

Ausgrenzung, Entfremdung, die Pflege der Opferrolle, Aufwertung der eigenen Anhänger und Abwertung aller anderen, die Behauptung, die absolute und einzige Wahrheit zu besitzen, das Verbot, Aussagen zu hinterfragen, die Ablehnung neuer zeitgemäßer oder wissenschaftlicher Islaminterpretationen, die Tabuisierung der Sexualität, eine einschüchternde Pädagogik, die die Angst vor der Hölle über alles setzt, der Anspruch, auf alles eine Antwort zu haben und das Leben des Propheten buchstäblich nachahmen zu müssen – das alles sind Aspekte, die bei den Jugendlichen sehr gut ankommen. Der Salafismus bietet ihnen den Schein der Sicherheit durch eine glasklare Unterscheidung zwischen richtig und falsch. Was die Sache schwierig und zugleich dringlich macht: Es geht hier um Aspekte, die auch zentrale Bestandteile des Islamverständnisses eines „Mustafa-Normal-Muslims“ sind. Kontroll-orientierte Erziehungsmethoden, die auf Kollektivität und Respekt vor Autorität abzielen, wirken hier als Verstärker und begründen die Anfälligkeit von Jugendlichen für die Argumentationen der Salafisten. Mit ihren klaren Verhaltensvorgaben geben sie Halt und erleichtern scheinbar das Leben.

 

Um solchem Gedankengut Einhalt zu gebieten, brauchen wir starke und überzeugende islamische Vorbilder, die in der Lage sind, die Debatte über islamische Werte jenseits von Opferrolle und Diskriminierung zu führen. Wir brauchen eine mutige und zeitgemäße Islaminterpretation mit klaren Positionen im Hinblick auf unsere demokratischen Werte und unser Grundgesetz. Wir brauchen eine Islaminterpretation, die kritikfähig und in der Lage ist, einen demokratiefähigen Islam theologisch zu begründen!

Wo sind diese Vorbilder?“