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Warum die Modernisierungspartnerschaft mit Russland nicht funktioniert

 

Als Reaktion auf die ZEIT-Debatte über die deutsche Russlandpolitik schicken mir Alexander Stepanyan und Fabian Burckhardt (s. Hinweise unter dem Text) diesen Beitrag, den ich vorzüglich finde. Und hiermit zur Debatte stelle:

In der Debatte über die deutsch-russischen Beziehungen sind die Gräben zwischen den „Russlandverstehern“ und den „Russlandkritikern“ gezogen. Eine verbindende Brücke gibt es dennoch:
Obwohl es politisch kriselt, läuft es wirtschaftlich bestens, der bilaterale Handelsumsatz ist derzeit mit 80.5 Milliarden Euro auf einem historischen Höchststand.
Ein Kernbestandteil von Willy Brandts Neuer Ostpolitik, die meist der zentrale Referenzpunkt für die aktuelle Debatte ist, war der Röhren-für-Erdgas-Deal, „Wandel durch Handel“ erlebte seine Reinkarnation in der Steinmeier’schen „Modernisierungspartnerschaft“. Selbst wenn nun wieder von Deutschland und Russland als „strategischen Partnern“ gesprochen wird, schwingt immer noch mit, dass deutsche Unternehmen Russlands Wirtschaft öffnen und diversifizieren, sprich modernisieren, sollen.
Die Prämisse: Russland strebt eine nachholende Modernisierung an, die deutsche Wirtschaft hält dafür die notwendigen Technologien bereit, die top-down durchgeführte wirtschaftliche Erneuerung Russlands führt zur Öffnung des politischen Systems.

Aus verschiedenen Gründen halten wir diese Perspektive für fragwürdig.

Angenommen Russland wäre auf einem Modernisierungskurs, so muss dieser, wie Wolfgang Eichwede in der Zeitschrift OSTEUROPA an der deutschen und russischen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts deutlich macht, nicht unmittelbar zu demokratischem Wandel führen. Zudem unterwandert internationale Wirtschaftskooperation nicht nur autoritäre Herrschaftspraktiken, sondern legitimiert und perpetuiert diese auch.

Russland ist unter Putin jedoch nicht auf dem Weg zur Modernisierung und Demokratisierung, folglich modernisiert die deutsche Wirtschaft nicht, sondern passt sich aus Kosten-Nutzen-Kalkulation den lokalen Spielregeln an. Eine echte „Modernisierungspartnerschaft“ würde von deutscher Seite auch eine langfristige strategische Vision für ein modernes Russland sowie Engagement oder zumindest öffentliches Eintreten für gute Regierungsführung inklusive Rechtsstaatlichkeit, Eigentumsrechte und Transparenz verlangen. Selbst in den besten Zeiten der „Modernisierungspartnerschaft“ war davon wenig zu merken.

Obwohl viele makroökonomischen Kennzahlen in Russland noch verhältnismäßig gut sind, ist es vor allem die Überregulierung der Wirtschaft gepaart mit selektiver Rechtsvollstreckung, die der Schattenwirtschaft Vorschub leisten. Finanzminister Siluanow teilte mit, dass sich diese derzeit auf 15 – 20% des BIP oder mindestens 250 Milliarden US-Dollar belaufe. Laut der Organisation Global Financial Integrity sind zwischen 1994 – 2011 etwa 211,5 Milliarden US-Dollar an illegalem Kapital aus dem Land geflossen. Im Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International steht Russland 2012 auf Platz 133. Im Doing Business Index der Weltbank strebt Putin bis 2018 den 20. Platz an, 2013 befand sich Russland irgendwo zwischen Pakistan und Uganda auf dem 122. Rang. Laut Economist verlor der Privatsektor zwischen 2008 – 2012 300 000 Jobs, während der Staat 1,1 Millionen mehr beschäftige, insgesamt sind es nun 18 Millionen Staatsangestellte oder 25% aller Beschäftigten. Rosnefts Kauf von TNK-BP verdeutlichte, dass die Zeichen nicht auf Privatisierung, sondern Staatskapitalismus stehen. Kleine und mittelständische Unternehmen darben, ineffiziente staatliche geführte Großunternehmen bilden die Flaggschiffe der aus Rohstoffexporten betankten Wirtschaft. Informelle Zahlungsleistungen, vor allem die sogenannten otkaty, die meist für Staatsaufträge bezahlt werden, können sich je nach Wirtschaftssektor zwischen 5% und 80%der Auftragssumme belaufen. In den 1990ern waren es noch einstellige Werte, heute sind otkaty jenseits der 50% keine Seltenheit, bei Megaveranstaltungen wie dem APEC-Gipfel in Wladiwostok oder Sotschi 2014 werden hier Rekorde aufgestellt.

Aufgrund der Wirkmechanismen des russischen Staatskapitalismus stellt sich eine einfache Frage, der in der aktuellen Debatte jedoch ausgewichen wird:
Warum sollte das russische System für die deutschen Unternehmen eine Ausnahme machen? Wir wollen hier keinen Generalverdacht aussprechen, es gilt die Unschuldsvermutung. Vielmehr wollen wir hier eine Kritik des normativ untermauerten Modernisierungsauftrags vornehmen.

Erstens gibt es deutliche Anzeichen, dass viele deutsche Unternehmen nolens-volens lokale Praktiken übernehmen. In US-amerikanischen Gerichtsverfahren kam ans Licht, dass Daimler zwischen 2000 und 2005 $ 4 Millionen und Siemens in einem besonders prominenten Fall $55 Millionen an Beamte und Vermittler gezahlt hatten. Die LBBW geriet durch einen Immobilienkauf in Moskau 2008 in die Schlagzeilen, etwa 30 Millionen Euro flossen über die British Virgin Islands an eine dubiose zypriotische Firma. Bei der Immobilie handelt es sich um das German Center Moscow, ein Anlaufpunkt für die deutsche Wirtschaft. Die ENBW musste wegen des Vermittlers Andrej Bykow 130 Millionen Euro abschreiben, für die wohl keine Gegenleistung erfolgt ist. Angeblich ging es um Nukleargeschäfte, wahrscheinlich stand eher der Zugang zu russischem Gas im Mittelpunkt.

Neben überbordender Korruption gehören zweitens selektive Justiz und feindliche Übernahmen zum russischen System. Wenig Beachtung bei der Zerschlagung des Jukos-Konzerns fand die Rolle von Putins Stasi-Kumpel und späteren Nord-Stream CEO Matthias Warnig, der mit der Dresdner Kleinwort Wasserstein 2004 die Bewertung von Juganskneftegas übernahm. Unlängst berichtete der SPIEGEL über die „feindliche Übernahme“ von Vkontakte durch den „Kreml-Strohmann“ Ilja Scherbowitsch, infolgedessen Pawel Durow, der Gründer des russischen Facebooks, bis auf Weiteres das Land verließ. Erwähnt wurde dabei nicht, dass dieses umstrittene Aktiengeschäft von Deutsche Bank Russia beratend begleitet wurde. Viel beachtet in den letzten Wochen war auch die Flucht von Sergej Gurijew, einem der renommiertesten Ökonomen Russlands. Nicht nur war er an einem Expertengutachten über das Jukosverfahren beteiligt, er sitzt zudem im Vorstand von EON Russia. Forbes Russia, vom Axel-Springer-Verlag herausgegeben, wurde vor kurzem von russischen staatsnahen Medien der Käuflichkeit bezichtigt, nachdem investigative Artikel über Oligarchen der Putin-Ära veröffentlicht worden waren.
Allein diese vier Beispiele zeigen: An scheinbar zutiefst innerrussischen Angelegenheiten sind deutsche Unternehmen entweder beteiligt oder zumindest von diesen betroffen.

Das dritte Phänomen, das dem Modernisierungsparadigma widerspricht, ist die Kooptation von deutschen Eliten. Zielkonflikte zwischen langfristigen nationalen und kurzfristigen persönlichen und korporativen Interessen sind hier nicht zu vermeiden. Die Causa Gerhard Schröder ist hinreichend bekannt, sein Parteikollege Henning Voscherau ist seit 2012 ebenfalls für Gazprom tätig. Klaus Mangold wurde nach seinem Ausscheiden als Vorsitzender des Ostausschusses russischer Honorarkonsul in Baden-Württemberg, während Franz Beckenbauer als Sportbotschafter für Russland wirbt. Die steilste Karriere legte der schon oben erwähnte Matthias Warnig hin, inzwischen wird er von Forbes Russia zu den zehn wichtigsten Personen in Putins Machtvertikale gezählt.

Könnten wir uns Willy Brandt als Angestellten des sowjetischen Ministeriums für Gasindustrie vorstellen? Wohl eher nicht. Die sowjetischen Apparatschiks fuhren Wolga, es gab damals gar keine Anreizstruktur, einen Tribut von deutschen Autobauern zu verlangen.
Insofern sollten wir unser Denken den neuen Realitäten anpassen. Die missionarisch angehauchte Modernisierungspartnerschaft war zeitweise eine gute Marketingstrategie, solange unter Medwedjew ein modernes Russland gepredigt wurde, in dem gelten sollte: „Freiheit ist besser als Unfreiheit“. Medwedjew ist nun marginalisiert, Modernisierung und Freiheitsrechte out. Zeit für Deutschland Konsequenzen zu ziehen, zumindest für die PR-Strategen. Die von Bundeskanzlerin Merkel angestrebte 100-Milliarden-Euro-Marke im bilateralen Handelsumsatz wird wohl bald geknackt werden.

Alexander Stepanjan ist Politologe am Zentrum für empirische Politikforschung der Staatlichen Universität St. Petersburg. Außerdem ist er Exekutivdirektor der Galina-Starowoitowa-Stiftung. Er arbeitet an einer Dissertation über den Deutschen Bundestag, studiert hat er an den Universitäten Greifswald und Potsdam. Er schreibt regelmäßig für internationale Medien, Texte von ihm sind in der «Neue Zürcher Zeitung» und «Le Temps» (Schweiz), Wiener Zeitung (Österreich), «RÆSON» (Dänemark), Tribuna und Echo Moskvy (Russland) und Radio France Internationale erschienen.

Fabian Burkhardt absolvierte den Masterstudiengang Russian Studies an der School of Slavonic and East European Studies am University College London und ist derzeit wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsnetzwerk „Institutionen und institutioneller Wandel im Postsozialismus“ an der LMU München. Seine Artikel erschienen unter anderem auf Radio Free Europe / Radio Liberty, Deutsche Welle, neweasterneurope.eu, Goethe.de, vice.com, reason.com