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Was Putins Hecht mit der Schwulenverfolgung in Russland zu tun hat

 

Dies ist ein Artikel über die Unterdrückung von Schwulen in Russland, über die Olympiade in Sotschi und den drohenden Boykott. Aber erst muss ich etwas zu dem Hecht sagen, zu Putins tollem Hecht.

Also, die Sache mit dem Hecht scheint nun doch ziemlich nach hinten loszugehen. Der russische Präsident hatte bei einem Sibirien-Trip nach Kreml-Angaben einen 21-Kilo-Hecht aus dem Wasser gezogen. Es gibt ein YouTube-Video vom Drill und von Putins eher ungeschickten Landungsversuchen. Der Mann hat nicht viel Ahnung vom Angeln. Immerhin, er hat diesen Fisch gefangen.

Ich fühle mich berufen, ihm diesmal zur Seite zu springen. Hechtangeln ist die eine Sache, die uns verbindet. Es ist absoluter Blödsinn, zu behaupten, Taucher hätten diesen Hecht am Haken befestigt. So wahnsinnig schwer ist es nicht,  an den richtigen Stellen, mit einem kundigen Guide, einen Hecht zu erwischen. Blödsinn auch die Behauptung, ein 21 Kilogramm schwerer Hecht könne gar nicht schwimmen, er würde zum Grund sinken. Es sind durchaus schon Hechte von 25 Kilo und mehr gefangen worden, wahre Monster.

Unfug sind allerdings in diesem Fall die angeblichen 21 Kilo.

putin hecht

 

Dieser Hecht hier maß 84 Zentimeter und hatte ca. 7 Kilo. Ich würde, von meiner eigenen Erfahrung ausgehend, Putins Fang freundlich auf etwa 14-16 Kilo schätzen. Tolle Sache. Warum muss er das übertreiben?

Foto-1

Es fällt doch eh auf! Denn so sieht ein echter 21-Kilo-Fisch aus, gefangen von Günther Aman in Salzburg:

 

21 Kilo Hecht

Schön, dass wir das geklärt haben. Warum ist das für Nicht-Angler von Belang?

Die (völlig unnötigen) Übertreibungen der Putinschen Fänge sind Teil des präsidentiellen Körperkults. Halbnacktes Reiten, Jagen, ein Flug mit Kranichen, Tauchen, Judo – die Kreml-Bildmaschine produziert dauernd neue virile Bilder.

Und damit sind wir bei der Hatz gegen Homosexuelle in Russland. Sie hat ein bedrohliches Ausmaß angenommen und ist gerade dabei, zum internationalen Politikum zu werden. In zahlreichen Regionen Russlands sind Gesetze in Kraft getreten, die „homosexuelle Propaganda“ unter Strafe stellen. Darunter werden bereits das offene Bekenntnis zur Homosexualität verstanden, und auch die Aufklärung über schwules oder lesbisches Leben. Deutschland hat vor Kurzem die Reisehinweise zu Russland modifiziert und darauf hingewiesen, dass ausländischen Besuchern Geldstrafen, Haft und Ausweisung drohen. Das ist ein empfindlicher Schritt. Und es wird damit nicht zu Ende sein.

Russland wird in exakt sechs Monaten die Winterspiele in Sotschi ausrichten. Mit den Prinzipien des Olympismus (sic) ist nicht vereinbar, dass Menschen „aufgrund von Rasse, Religion, Politik, Geschlecht oder aus sonstigen Gründen“ diskriminiert werden. So wird offen und hinter den Kulissen der Druck auf Russland erhöht, die schwulenfeindlichen Gesetze zurückzunehmen. Das IOC hat kürzlich behauptet, während der Spiele sollten die Gesetze nicht gelten. Das wurde umgehend von der russischen Regierung dementiert. Die Gesetze blieben in Kraft.

In den Vereinigten Staaten hat eine Debatte über einen Olympia-Boykott begonnen. Manche Organisationen und Einzelpersonen haben dazu aufgerufen. In Schwulenbars wird Wodka russischer Herkunft nicht mehr ausgeschenkt, besonders der populäre Stolitschnaja ist betroffen. (Allerdings zeigt das die Fallen der Boykott-Politik: Nur die Ingredienzien kommen aus Russland, gebrannt wird er in Litauen und vermarktet von einer amerikanischen Firma.)

In Deutschland sind die Stimmen der Boykottfreunde bisher verhalten, nur Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ruft bisher Sportler dazu auf.

Ich habe mich mit Renate Rampf vom Lesben- und Schwulenverband Deutschland darüber unterhalten. Sie sagte mir, die deutschen LGBT-Aktivisten seien in Absprache mit den russischen Freunden gegen einen Boykott. Es sei wichtig, die Debatte zu führen, aber ein Boykott könnte der bedrängten russischen Lesben- und Schwulenbewegung schaden. Es gelte Homophobie zu boykottieren, nicht die Olympischen Spiele und die betroffenen Sportler. Auch ein Wodka- oder gar Gasboykott sei nicht das Mittel der Wahl. Die russischen Freunde fänden das kontraproduktiv. Viel besser wäre es, während der Spiele für die Sichtbarkeit homosexueller Sportler und ihrer Unterstützer zu sorgen. Symbolische Aktionen könnten klar machen, dass das Gesetz nicht nur gegen europäische und olympische Werte, sondern auch gegen Werte geht, zu denen Russland selbst sich als Mitglied des Europarats bekannt hat, als es die Europäische Menschenrechtskonvention unterschrieben habe. Noch nie sei in Russland so viel über das Thema gesprochen worden wie jetzt, darin liege auch eine Chance.

Der Kampf für die Rechte der Schwulen und Lesben in Russland müsse als Teil des allgemeinen Kampfes der Zivilgesellschaft gegen den Rückfall in den Autoritarismus gesehen werden. Putin habe sich die besonders verwundbare Minderheit der Homosexuellen ausgesucht, um seine Einschüchterungspolitik gegen alle abweichenden Meinungen und Lebensweisen an ihnen durchzuexerzieren.

Ich finde das eine sehr zutreffende und vernünftige Sicht. Kein Boykott, aber auch kein Nachgeben. Nicht hereinfallen auf den Vorwand, Homosexualität passe nicht zur russischen Identität. Eintreten für Homo-Rechte ist keine Einmischung in innere Angelegenheiten. Das Gesetz macht sichtbar und unbestreitbar, dass es Schwule und Lesben überall in Russland gibt. Die staatliche Unterdrückung homosexueller Lebensäußerungen ist die Reaktion eines Regimes in Angst vor der eigenen Gesellschaft.

Eine Gruppe wird darum in einem Akt symbolischer Reinigung als krank und schädlich aus dem Volkskörper ausgegrenzt. Der Präsident inszeniert seinen eigenen virilen Körper als Garanten staatlichen Zusammenhalts. Ein toller Hecht, bietet er sich fischend, schießend, reitend als Symbol der russischen Einheit an. Dabei sind erotische Signale durchaus erwünscht. (Unglücke nicht ausgeschlossen. Nicht immer ist klar, in welche Richtung sie deuten. Es gibt recht plausible Listen mit den 16 schwulsten Putin-Fotos.)

Aber das Sexleben des Präsidenten ist hier nicht von Interesse: Es geht um ein Machtspiel, um eine symbolische Ordnung, um die „beiden Körper des Königs“ (The Kings Two Bodies). Das ist eigentlich eine mittelalterliche Idee von Legitimität, und es ist ja kein Zufall, dass Putin die Kirche kooptiert hat, um seine Macht zu begründen.

Putins Körper soll seinen Machtanspruch evident machen, eine höhere Legitimität, die durch Wahlen (per Akklamation) nur bestätigt, aber nicht bestritten werden kann. Ein göttliches Recht, zu herrschen kommt ihm zu, weil nur er mit seinem divine body die Einheit des Volkes repräsentieren kann. Wehe, wenn der Körper mal nicht mehr mitspielt, wenn der Hecht nicht beißt oder zu klein ausfällt!

Vielleicht liegt ja darin das Rätsel des Riesenhechtes: Er ist eigentlich eine Art Zepter, und das kann bei einem wie Putin nicht groß genug sein.