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Frühstück für alle!

 

© Anne Schönharting/ Ostkreuz
© Anne Schönharting/ Ostkreuz

Bevor es zur Schule geht, schmieren Mama oder Papa ein Pausenbrot. So ist es leider nicht in allen Familien. In Berlin hilft ein Verein aus und bringt Essen in Schulen.

Von Ulrike Linzer

Wer hat heute noch nicht gefrühstückt?«, fragt die Lehrerin die Klasse 3b einer Berliner Grundschule. Acht Kinder sitzen vor ihr, fünf heben ihre Arme. Das bedeutet: nichts gegessen. Es ist kurz nach 9 Uhr, bald klingelt es zur Pause. Die Lehrerin, Frau Timmermann, greift in den bunten Plastikkorb vor sich und holt belegte Brote, Mandarinen und Trinkpäckchen heraus. Drei Kinder haben ein eigenes Frühstück dabei, die anderen bekommen das Essen aus dem Plastikkorb. Es kommt von der Berliner Tafel. Das ist ein Verein, der Lebensmittel einsammelt und an bedürftige Menschen verteilt. Das Essen spenden Supermärkte und Bäcker, die es sonst wegschmeißen würden – zum Beispiel, weil es nur noch kurz haltbar ist. Seit fünf Jahren bringt die Berliner Tafel auch Frühstück an Schulen, denn auch hier ist Hilfe nötig.

Sieben von zehn Schülern an dieser Grundschule sind arm, erzählt die Direktorin Marion Thiel-Blankenburg. »Sie kommen aus Familien, in denen kein Erwachsener morgens aufsteht, wo die Kinder nicht vernünftig gekleidet sind und mit leerem Magen zur Schule kommen.« Obwohl Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern wohlhabend ist, sind fast drei Millionen Kinder arm, schätzen Experten. Besonders in Haushalten, wo es nur einen Elternteil gibt, wo also nur Mama oder Papa für die Kinder sorgen, ist das Geld oft knapp.

Zurück an den Frühstückstisch der Klasse 3b: Steven hat heute Kekse dabei und einen süßen Pudding. »Meine Mutter macht mir kein Frühstück«, sagt der Neunjährige, »ich soll das selbst machen.« Auch sein Freund Philip kümmert sich selbst ums Essen. Meist schmiert er sich ein Nutella-Brot. Heute bekommen die Kinder das Frühstück der Tafel . Philip möchte sein Schwarzbrot mit dem Weißbrot von Insa tauschen. »Vollkorn und Obst sind gesünder!«, ruft Insa. Sie sitzt neben der Lehrerin und springt beim Reden immer auf. Frau Timmermann bittet sie, sich hinzusetzen. Alle sollen in Ruhe essen und nicht herumturnen. Nicht selbstverständlich, wenn man keine gemeinsamen Mahlzeiten gewohnt ist.

Damit die Kinder überhaupt zusammen frühstücken können, muss jemand die Brote schmieren. Um 7 Uhr ist dafür Susanne Zelinski in die Küche der Gelben Villa gekommen. Dort treffen sich die freiwilligen Helfer der Berliner Tafel. »So, jetzt aber flott«, sagt Susanne Zelinski zu ihrem Mithelfer Michael Trinks, der Margarine auf Schwarzbrotscheiben schmiert. Susanne Zelinski hält schon Käse und Wurstscheiben in der Hand, die sie auf die Brote legt. Dazu ein Salatblatt und obendrauf eine zweite Brotscheibe. Peter Ziegner, der dritte Helfer, packt die fertigen Brote erst in Tüten und dann in gelbe Plastikkisten, zusammen mit Mandarinen und Trinkpäckchen. »80 Brote schmieren wir hier in einer halben Stunde«, erzählt er. Jede Woche beliefert die Tafel so zehn verschiedene Schulen in Berlin mit Frühstück. Jeden Morgen mit einem anderen Team: Alte und Junge, Rechtsanwälte, Architekten, Studenten, Rentner oder Arbeitslose sind dabei.

Solche Tafeln gibt es seit 15 Jahren, inzwischen in 800 Städten in Deutschland. Tausende Helfer sammeln Lebensmittel ein, schmieren Brote und teilen Essen aus. Sie machen das, ohne Geld dafür zu bekommen. Susanne Zelinski zum Beispiel arbeitet eigentlich in einer Werbeagentur. Gerade hat sie das letzte Tablett mit Broten gebracht. Es ist kurz vor acht Uhr. Sie hängt die Schürze weg und bringt die Frühstückskisten ins Auto. »Bis nächste Woche!«, ruft sie und düst los in Richtung Schule.

In der 3b haben Insa und Philip inzwischen ihre Weiß- und Schwarzbrote getauscht und aufgegessen. Jetzt schälen sie die Mandarinen. »Ich mag Äpfel und Erdbeeren am liebsten«, erzählt Insa, und die Lehrerin fragt die anderen Kinder, welche Obstsorten sie mögen. »Erbsen«, »Birnen«, »Kartoffeln«, »Kirschen« – ein wildes Durcheinander klingt durch den Klassenraum.

»Was Obst und was Gemüse ist, bringen manche Kinder noch durcheinander«, sagt Lehrerin Timmermann. »Aber dazu haben wir ja auch ein gemeinsames Frühstück, um über Ernährung zu reden.« Denn einmal in der Woche, wenn das Essen von der Berliner Tafel kommt, sitzt die Klasse um den großen Tisch. »Wir erzählen, wie es uns geht und was wir erlebt haben«, sagt Steven. So ein Essen kennt er von zu Hause nicht.

Egal, ob arm oder reich: Kinder, die viel allein sind, essen oft ungesunde Sachen wie Pommes, Hamburger und Süßigkeiten. Oder sie essen zu wenig. »Unsere Schulprojekte sind für alle«, sagt Sabine Werth von der Berliner Tafel. »Wir sagen nicht: Du bist ein armes Kind, und du bist ein reiches Kind.« Das Frühstück von der Tafel kostet 20 Cent für jeden, niemand fragt, was die Eltern verdienen.

Damit Kinder auch nach der Schule nicht allein vor dem Fernseher essen müssen, hat die Tafel ein Kinderrestaurant eröffnet. Hier können Jungen und Mädchen ab sechs Jahren zu Mittag essen. Jeden Tag kocht Dieter Müller ein anderes Menü, mit Vorspeise, Hauptgericht und Nachtisch. Es gibt viel frisches Gemüse, manchmal auch mit Fisch oder Fleisch. Dafür zahlen die Kinder einen Euro, viel weniger als Pizza, Döner oder Hamburger kosten. »Hier ist jeder willkommen«, sagt der Koch, »aber Erwachsene nur in Begleitung von Kindern.«