Paula und ihr Mitschüler Tobi sind grundverschieden. Im Kampf gegen eine diebische Kinderbande aber halten sie zusammen
Von Susanne Gaschke
„Das Hotel ist wunderschön, Mama“, sagt Paula. „Es, äh, sieht aus wie im Prospekt.“ Während sie diese beruhigenden Worte in ihr Handy spricht, wandert Paulas Blick über zerschlissene Matratzen, überquellende Müllcontainer und trostlose Hochhausfassaden. Paula ist nämlich mitnichten in dem teuren Ferienclub auf Sylt, wo ihre Architekten-Mutter sie vermutet. Sie ist immer noch in Hamburg und zusammen mit ihrem Beinahefreund Tobi gerade dabei, eine rumänische Diebesbande zu verfolgen. Sie erlebt also nicht ganz die Ferien, die sich die reichen Steinmanns für ihr Töchterchen wünschen.
Wie das passieren konnte? Darüber wundert Paula sich auch. In der Schule hat sie ihren Klassenkameraden Tobi immer für ziemlich blöd, total unerzogen, zu dick und möglicherweise eklig gehalten. Jetzt wohnt sie bei ihm. Warum nur? Erstens, weil Tobi ein ziemlich anständiger Kerl ist, trotz seines nervtötenden Gerülpses und seiner Daueresserei. Zweitens, weil er Paula wirklich gern hat, trotz ihres vielen Geldes und ihrer herablassenden Art. Vor allem aber, weil er ihr versprochen hat, das Wichtigste in ihrem Leben zu retten: ihr Tagebuch, in das sie geheime Träume von strahlenden Prinzen schreibt. Ihr Tagebuch, das zwei Kinder in der U-Bahn geklaut haben. Als Gegenleistung für seine Hilfe hat Paula Tobi versprochen, ihm beim Lernen für die Englischnachprüfung zu helfen. Tolle Ferien: Vokabeln pauken und Kindergangster beobachten.
Geplant war für die Sommerwochen natürlich etwas anderes: Paulas Eltern, die nie Zeit haben (und nie zuhören), wollten Paula nach Sylt verfrachten, in ein Sommercamp. Tobis Eltern planten eine Autotour mit der ganzen Familie nach Italien – bis es Tobis Hausmeister-Vater mit den „nervenden Gören“ zu viel wurde und Tobi und seine Schwester Jenny allein zu Hause bleiben mussten.
Jenny ist über den Urlaubsentzug entsetzt, aber Tobi kann dem gleich etwas abgewinnen: Was, wenn nun Jenny nach Sylt zu den reichen Tussis führe? Dann hätten er und Paula freie Bahn für ihre Nachforschungen. So steigt Jenny an Paulas Stelle in den Zug nach Sylt, und stößt im Camp auf lauter Mädels, die segeln, Golf spielen, oder behaupten, sich für Philosophie zu interessieren. Mädchen, die korrekt und leise sprechen, während Jenny viel zu laut lacht und viel zu oft „geil“ sagt. Mädchen, die, trotz ihrer guten Manieren, überhaupt keine netten Menschen sind, die Jenny wegen ihrer Klamotten hänseln und sie bei den Betreuerinnen anschwärzen.
Unterdessen haben Tobi und Paula die Kinderbande aufgespürt, deren Mitglieder überall in Hamburg als Taschendiebe arbeiten müssen – und sie haben Ioanna und Radu, die beiden Tagebuchdiebe, sogar dazu bewegen können, Paulas Eigentum zurückzugeben. Doch damit hört das Abenteuer nicht auf, denn die beiden deutschen Kinder erkennen, dass sie Ioanna und Radu aus den Händen ihrer grausamen Sklaventreiber befreien müssen. Sklaventreiber ist das richtige Wort: Wenn die Kinder nicht genug stehlen, wenn sie sich wehren oder wegzulaufen versuchen, werden sie von ihren „Besitzern“ geschlagen und verletzt.
Tobi und Paula, deren Elternhäuser so unterschiedlich scheinen, tun beide einen Blick in eine Welt, in der es mehr Armut und Gewalt gibt, als sie sich je hätten vorstellen können. Sie beweisen beide, dass sie zu Mitgefühl und großem Mut fähig sind. Und noch eines wird klar: Was für komische Begriffe „Armut“ und „Reichtum“ sind. Tobi, der in einer kleinen Hochhauswohnung lebt, hat stets geglaubt, Paula mit ihrem großen Haus sei reich. Doch als Radu und Ioanna in Tobis Wohnung kommen, in der es alles gibt – Betten, Sofas, fließendes Wasser, einen Fernsehapparat –, da ruft Radu voll Staunen: „Du bist sehr reich, oder?“ So hat Tobi es noch nie gesehen.
Paula schenkt ihrem Freund zum Schluss noch etwas, das man für Geld sowieso nicht kaufen kann: Selbstvertrauen. Bisher hat niemand geglaubt, dass Tobi schlau genug ist, um später Astronaut zu werden. Paula glaubt es. Und weil sie in Tobi nun einen echten Freund gefunden hat, kann sie endlich auch den kitschigen Tagebuchprinzen aus ihrem Leben verabschieden.
Paulas Geheimnis
Deutschland, 2006
96 Minuten
empfohlen ab
8 Jahren