Was geschieht, wenn Kinder ihre Eltern verlieren? Das Jugendamt kümmert sich darum, dass sie getröstet werden – und dass sie nicht auf der Straße landen
Der Roten Zora ist klar, dass sie selbst für sich und ihre Bandenfreunde sorgen muss, weil es ganz sicher kein anderer tun wird: Das ist normal in dem armen Land Kroatien vor 80 Jahren, zu der Zeit also, in der der Roman von Kurt Held und auch der Film spielen. Aber was geschieht eigentlich heute, bei uns, wenn ein Kind wie Branko die Mutter verliert und der Vater nicht auffindbar ist oder auch schon gestorben?
Immerhin 1000 Kinder erleiden in Deutschland jährlich dieses Schicksal. Das ist natürlich erst einmal ganz furchtbar, und diese Kinder sind verängstigt, verwirrt und tieftraurig. Aber wenigstens müssen sie nach einem so schrecklichen Ereignis nicht auch noch ihr Essen selbst zusammenstehlen oder auf der Straße schlafen: Es gibt Menschen, die für sie da sind.
Weil Deutschland ein sogenannter Sozialstaat ist, kümmert sich dieser Staat um Menschen in Notlagen. Und als Kind seine Eltern zu verlieren ist nun ganz bestimmt eine Notlage. Wenn also zum Beispiel die Polizei davon erfährt, dass eine Autofahrerin auf der Autobahn tödlich verunglückt ist, kann sie ziemlich schnell feststellen, ob diese Person eine Familie hatte. Im Normalfall würden die Beamten dann den Mann oder Freund der Verunglückten über den Unfall informieren, der müsste es den Kindern sagen – und würde selbstverständlich weiter für sie sorgen.
Aber vielleicht gibt es keinen Mann, vielleicht leben die Eltern getrennt und haben schon seit Jahren nichts mehr miteinander zu tun. In solchen Fällen benachrichtigt die Polizei das Jugendamt in der Stadt, in der die Kinder wohnen. Beim Jugendamt arbeiten Menschen, die sich sehr gut mit Kindern und Jugendlichen auskennen. Und die versuchen dann erst einmal herauszubekommen, wo sich die Kinder eigentlich gerade aufhalten: Sind sie in der Schule, im Hort, im Kindergarten, bei Freunden, allein zu Hause? Die Mitarbeiter des Jugendamtes suchen auch nach anderen Verwandten: nach Großeltern zum Beispiel, nach Onkeln und Tanten. Sie überlegen sehr genau, wer den Kindern die schreckliche Nachricht überbringen soll und wo sie in den ersten Tagen nach dem Schock am besten aufgehoben sind. Häufig wird das bei den Großeltern sein, oft auch bei Paten, manchmal bei Freunden oder Nachbarn.
Danach geht es um die Frage, wo die Kinder dauerhaft wohnen können – und wollen. Oft bleiben verwaiste Kinder bei ihren Großeltern, aber manchmal fühlen die sich auch schon zu alt, um so viel Verantwortung zu übernehmen. Eltern sollten sich deshalb immer überlegen, wen sie gern bitten würden, für ihre Kinder zu sorgen, wenn ihnen etwas zustoßen sollte. Sie sollten das auch mit ihren Kindern besprechen und es auf jeden Fall aufschreiben – mit Datum und Unterschrift!
Wenn sich kein naher Verwandter findet, der die Waisenkinder aufnimmt, behält das Jugendamt die Vormundschaft für sie, das heißt, es kümmert sich um alle ihre Angelegenheiten. Mitarbeiter des Jugendamtes prüfen, ob die Kinder eine Waisenrente bekommen können oder andere finanzielle Unterstützung brauchen; sie überprüfen auch, was die Kinder vielleicht von ihren Eltern erben.
Und sie suchen ein neues Zuhause für die Kinder: Das kann eine Pflegefamilie sein oder eine Wohngruppe. Große, zugige Waisenhäuser, wie man sie aus alten Romanen kennt, gibt es heute nicht mehr. In einer Wohngruppe leben in der Regel acht bis zwölf Kinder mit Erziehern zusammen, und das Leben dort soll dem Leben in einer richtigen Familie möglichst ähnlich sein – denn irgendwann muss dieses Leben ja weitergehen, auch nach dem größten Kummer.
Susanne Gaschke