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An oder aus?

 

Illustration: Claudia Boldt

Sollen Atomkraftwerke so schnell wie möglich abgeschaltet werden? Darüber streiten Wissenschaftler, Politiker und Umweltschützer seit Jahren. Argumente gibt es dafür und dagegen. ZEIT-Autor Jens Uehlecke ist für die Abschaltung der AKWs, ZEIT-Autor Gero von Randow dagegen

Stell Dir vor, es gäbe keine Müllkippen, auch keine Müllverbrennungsanlagen und keine Recyclinghöfe. Essensreste, Safttüten, Katzenfutterdosen würden sich vor den Häusern stapeln und bald furchtbar stinken. Eine fiese Vorstellung? So ähnlich ist es leider mit dem Abfall aus Atomkraftwerken. Niemand weiß, wohin damit. Zwar stinkt er nicht, dafür ist er radioaktiv – und das ist gefährlich. Aus radioaktivem Abfall fliegen permanent winzige Teilchen in die Umwelt, man sagt auch, dieser Müll strahlt. Und wenn diese Strahlung auf den Körper eines Menschen oder Tieres trifft, kann sie schweren Schaden anrichten – zum Beispiel Krebs auslösen.
Es gibt zwar sichere Behälter für Atommüll, die diese Strahlung weitgehend abschirmen. Da der Müll aber jahrzehnte-, manchmal sogar jahrtausendelang radioaktiv ist, besteht die Gefahr, dass die Behälter nicht lange genug halten. Der gefährliche Müll könnte dann nach außen dringen und etwa das Grundwasser verseuchen. Kein Wunder, dass niemand eine Atommüllkippe in seiner Nähe haben will – die Menschen haben Angst um sich und ihre Familien. Was würde ein vernünftiger Mensch tun, wenn er nicht weiß, wohin mit seinem Abfall? Er würde versuchen, ihn zu vermeiden. Auch deswegen haben Politiker vor zehn Jahren beschlossen, die deutschen Atomkraftwerke so bald wie möglich abzuschalten. Leider will die jetzige Bundesregierung das rückgängig machen und die Atomkraftwerke längerl aufen lassen als geplant. Denn dieser »Atomstrom« ist billig.
Gern behaupten die Fachleute, die für diese Technik sind, irgendwann werde man schon die perfekte Müllkippe finden – bisher haben sie aber noch keine Lösung. Sie sagen auch, wir brauchten die Atomkraft als »Brückentechnologie«, bis wir unseren Strom eines Tages viel umweltfreundlicher aus Wind und Sonnenenergie gewinnen können. Zwar haben sie recht, wenn sie sagen, dass Kohle- und Gaskraftwerke auch nicht gut sind, weil deren Abgase das Klima verändern. Das Bild mit der Brücke ist aber trotzdem falsch! Ist nicht der Zweck einer Brücke, dass man schneller von einem Ufer zum anderen gelangt? Wirtschaftsexperten haben ausgerechnet, dass es mit Atomkraftwerken genau andersherum ist: Werden sie nicht wie geplant abgeschaltet, verunsichert das die Menschen und Firmen, die sich für erneuerbare Energien einsetzen – also bauen sie weniger Windräder und Solarzellen. 16 Jahre länger wird es deshalb wohl dauern, bis umweltfreundlicher Strom endlich so billig ist, dass ihn sich alle leisten können. Die »Brückentechnologie « bringt uns dem Ziel, dass sauberer und klimafreundlicher Strom aus der Steckdose kommt, also nicht näher, sondern rückt es in weite Ferne. Deshalb sollte man Atomkraftwerke so schnell wie möglich abschalten.

Strom wird in Kraftwerken erzeugt. Die meisten von ihnen verbrennen Kohle, Öl oder Gas. Jahr für Jahr sterben Menschen bei der Arbeit in Bergwerken, auf Ölplattformen oder in Gasfeldern. Die Verbrennungstechnik verschmutzt unsere Umwelt, verursacht Atemkrankheiten und hinterlässt gefährlichen Abfall – ein Gas namens Kohlendioxid, das dazu beiträgt, dass die Gefahr von Klimakatastrophen wächst.
Atomkraftwerke funktionieren anders. Man kann bestimmte Metalle so aufbereiten, dass sie große Hitze entwickeln, und mit dieser Hitze lässt sich dann Strom erzeugen. Auch bei dieser Technik sind Unfälle möglich, sogar sehr gefährliche. Aber insgesamt kommen weniger Menschen zu Schaden als durch Kohle, Gas oder Öl. Außerdem entsteht in Atomkraftwerken fast kein Kohlendioxid. Das alles sind Gründe, warum es schlecht wäre, sie einfach abzuschalten. Ideal sind sie allerdings auch nicht. Atomkraftwerke werden noch immer fast genauso gebaut wie vor 60 Jahren: Ihr Innerstes muss pausenlos gekühlt werden. Wenn die Kühlung versagt, frisst sich das heiße Metall durch Stahl und Beton, und das ist schlimm, denn das Material ist radioaktiv: Es sendet eine unsichtbare Strahlung aus, die tödlich sein kann.
Techniker haben mit den Kraftwerken aber viel Erfahrung gesammelt. Deshalb ist das Risiko eines gefährlichen Unfalls sehr gering. Es wären sogar Atomkraftwerke denkbar, auf die man nicht dauernd aufpassen muss. Solch unfallsichere Technik ist aber neuartig und würde in den ersten Jahrzehnten viel Geld kosten. Billiger ist es, die alten Kraftwerke weiterlaufen zu lassen. Billiger – aber nicht klüger. Denn auch in Zukunft wird es wohl Atomkraftwerke geben, sogar mehr als heute. Auf der ganzen Welt wächst die Nachfrage nach Strom. Besonders in den Ländern, die dabei sind, ihre Armut zu überwinden. Wir Deutschen könnten es uns vielleicht leisten, auf Atomkraftwerke zu verzichten, die Chinesen etwa können es nicht. Deshalb wäre es am besten, die Technik so weiterzuentwickeln, dass sie keinen schweren Schaden anrichten kann.
Es gibt allerdings noch ein Problem. Jede Stromtechnik erzeugt Abfall. Kohlekraftwerke etwa pusten ihren Gasmüll in die Luft. Atomtechnik erzeugt zwar wenig Abfall, aber der ist radioaktiv – also gefährlich. Bisher können wir ihn noch nicht vollständig recyceln. Man muss ihn gut wegschließen, möglichst so, dass man später wieder heran kann. Denn es wird bereits an Techniken gearbeitet, mit denen sich der Müll wiederverwenden lässt.

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