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Papa, Papi, Kind und Kind

 

Papi Tobias (links), Papa Georg (rechts) mit Max und Ramona/ © Vera Tammen

Von »Regenbogenfamilien« spricht man, wenn Kinder bei zwei Müttern oder zwei Vätern aufwachsen. Das klingt ungewöhnlich, im Alltag ist es aber ziemlich normal

Von Jenni Roth

Sorgfältig schneidet Max ein Herz aus Papier, malt es mit Buntstiften an und klebt ein Foto von sich in die Mitte. Er bastelt zum Muttertag – für seinen Vater.

Nein, Max* hat nichts verwechselt. Der Siebenjährige hat nicht einen Vater und eine Mutter. Sondern zwei Väter: Papi Tobias und Papa Georg. Außer Max lebt noch die vierjährige Ramona in dieser »Regenbogenfamilie« – das sagt man, wenn zwei Väter oder zwei Mütter zusammen Kinder aufziehen.

Max’ Papierherz hängt nun fast ein Jahr lang an der Terrassentür in Offenbach bei Frankfurt. Es ist Freitagmorgen, in einer halben Stunde fängt die Schule an – und Max sitzt im Schlafanzug auf dem Küchenboden und spielt mit seiner Lego-Garage. »Wir sind gut in der Zeit«, sagt Papa und schält weiter Äpfel fürs Müsli. Da kommt Papi herein.

Papa, Papi, Max, Ramona – eine außergewöhnliche Familie. Max und Ramona sind zwei von vermutlich 1000 Kindern in Deutschland, die mit zwei Vätern aufwachsen. Ungefähr 18000 Kinder leben mit zwei Müttern. Vielleicht sind es aber auch mehr. Denn manche Schwule (so nennt man Männer, die einander lieben) oder Lesben (Frauen, die Frauen lieben) halten geheim, dass sie mit einem gleichgeschlechtlichen Partner zusammenleben – aus Angst, von Nachbarn oder Kollegen abgelehnt zu werden.

Irgendwie schafft Max es, angezogen zu sein, als es 20 Minuten später klingelt. Vor der Tür stehen Lea und Alex. Jeden Morgen holen sie Max ab, um gemeinsam zur Schule zu gehen. Max wirft das Gartentor hinter sich zu, an das Papa ein Klingelschild geschraubt hat, »Staub und Vogel« steht da. Dabei hat die Familie eigentlich vier Nachnamen: Georg Staub und Tobias Vogel sind zwar verheiratet, haben aber ihre alten Namen behalten. Die Kinder tragen die Namen ihrer leiblichen Eltern – auch wenn sie die kaum kennen. »Ich habe keine Mama mehr«, sagt Max. Seine Mutter lebt zwar noch, aber sie war bei der Geburt erst 16 Jahre alt, zu jung, um ihn aufzuziehen. Sein leiblicher Vater ist bei einem Motorradunfall ums Leben gekommen. Papa und Papi sind seine Pflegeeltern. Ramona ist auch nicht mit Max verwandt. Aber für ihn ist sie trotzdem seine Schwester, ganz einfach.

Ganz so einfach war es für die beiden Väter am Anfang allerdings nicht. Vor neun Jahren wurde ihnen klar, dass sie eine Familie gründen wollten. Sie meldeten sich beim Jugendamt. Dort mussten sie viele Formulare ausfüllen, viele Fragen beantworten und viele Seminare besuchen – zwei Jahre lang. Dann endlich kam der Anruf: ob sie Max kennenlernen wollten, 14 Monate alt. Die beiden schlossen das Baby sofort ins Herz. Als auch der Chef des Jugendamtes einverstanden war, konnten sie Max mit nach Hause nehmen.

Drei Jahre später kam Ramona dazu, nur fünf Wochen alt. Kürzlich hat sie ihren vierten Geburtstag gefeiert – ohne Mutter. »Ich hab schon eine Mama«, sagt Ramona, »aber nicht so richtig.« Ihre leibliche Mutter sieht sie alle paar Monate für eine Stunde, ihre Geschwister nie – obwohl sie fünf hat. Aber alle leben bei Pflegefamilien.

»Hast du keine Mutter?«, hat eine Freundin Ramona einmal gefragt. »Doch, aber die wohnt nicht bei uns«, hat Ramona geantwortet. »Fast wie bei uns, mein Vater ist auch nur selten da«, sagte die Freundin. Ramonas Papi dagegen ist eigentlich immer da. Weil Papa Georg oft geschäftlich unterwegs ist, kauft Papi Tobias ein, hilft bei den Hausaufgaben, kocht, putzt, wäscht und bringt Ramona zum Kindergarten.

Heute ist das gar nicht so einfach. Ramona mag plötzlich ihr Lieblingskleid nicht mehr. Ihre Locken sind verknotet. Laufen will sie auch nicht. Papi hebt sie hoch in die Luft und setzt sie auf seine Schultern. Im Kindergarten läuft ihnen Ramonas bester Freund entgegen. Dem ist es egal, dass sie zwei Väter hat. Trotzdem ist Ramona ein bisschen neidisch auf ihre Freunde – deren Mütter haben nämlich »Klackerschuhe«.

Vormittags ist es ruhig im Haus der Regenbogenfamilie. Papi Tobias schüttelt die Betten auf, räumt das Geschirr weg, klappt ein Kochbuch auf. Couscous mit Hähnchen soll es heute geben. Mit dem Fahrrad fährt Papi zum Wochenmarkt, nur frische Sachen kommen auf den Tisch. Den Kindern soll es gut gehen, gerade weil es »nur« Pflegekinder sind. Georg und Tobias würden Ramona und Max gern adoptieren. Aber es gibt ein Problem: Obwohl die Männer verheiratet sind, dürfen sie das nicht. In Spanien oder Schweden wäre es anders. In Deutschland aber ist gleichgeschlechtlichen Paaren eine Adoption nicht erlaubt.

Gleich ist es ein Uhr. Bevor Papi Ramona aus dem Kindergarten und Max von der Schule abholt, schneidet er Paprika, wäscht Salat und deckt den Terrassentisch. Aber als die Kinder nach Hause stürmen, interessiert sie das Essen wenig. »Hey, was macht ihr da?«, ruft Papi in den Garten. Die Kinder haben die Gießkanne vollgefüllt, und Max schüttet sich jetzt das eiskalte Wasser über den Kopf. Sein Fußballshirt klebt klatschnass am Körper.

Fußball ist Max’ neues Hobby. Papi seufzt. Er interessiert sich nicht für Fußball, und: »Dann müssen wir die ganze Zeit die schmutzigen Trikots waschen.« Aber das tun die Eltern der andern Kinder schließlich auch. Was sagen sie überhaupt dazu, dass Max zwei Väter hat? »Nichts«, sagt Max. Papi und Papa wissen, dass das noch kommen kann. »Kinder können ganz schön gemein sein«, sagen sie. Und Schwule sind nicht überall beliebt. Regenbogenfamilien auch nicht. Aber Georg und Tobias bleiben dabei, dass sie eine ganz normale Familie sind: »Für uns ist die Familie da, wo die Kinder sind.«

*Namen der Kinder geändert.