Gert Prokops Detektiv-Pinky-Geschichten sind spannend, voller Witz und eine Anleitung zum Mutigsein
Von Evelyn Finger
Wer die Wahrheit nicht erkennt, der ist ein Dummkopf. Aber wer die Wahrheit kennt, schreibt Bertolt Brecht, und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher. Wer im großen Stil lügt, hat vielleicht auch das Zeug zum Banditen. Wer aber zur Wahrheitsliebe neigt, wird vielleicht ein guter Detektiv.
So jemand ist Detektiv Pinky. Als Teenager in Potters Waisenhaus in Kittsburgh verkörpert er das ärmliche Kleinstadt-Amerika des späten 20. Jahrhunderts: Pinkys Jeans sind secondhand, und seine Turnschuhe haben Löcher, nie hat er genügend Geld für Cola, und an heißen Sommerferientagen sehnt er sich entsetzlich nach einem Ausflug ans Meer. Weil er den Mangel kennt, kennt er auch die Versuchung. Weil er nichts besitzt, kann er sich vorstellen, wie Diebe ticken. Das ist sein Vorteil.
»Pinky saß auf seiner Mülltonne und träumte«, so beginnt das legendäre Kinderbuch von Gert Prokop, das nicht nur von amerikanischen Kleinstadtgangstern, sondern auch von der großen Sehnsucht nach einer besseren Welt handelt. Die Mülltonne steht auf dem Dach des Waisenhauses, sechs Stockwerke über der Stadt, und auf der Tonne hockt ein Held, der uns sofort sympathisch ist: verträumt und frech, gewitzt und mutig, humorbegabt und bei aller Bescheidenheit auch ein bisschen größenwahnsinnig.
Denn Pinky, der mit bürgerlichem Namen Absolon W. Beaver heißt, hat seinen Spitznamen in Anlehnung an die berühmteste Detektei aller Zeiten. Pinkerton’s National Detective Agency wurde 1850 in Chicago gegründet, von harten Jungs, die einen Mordanschlag auf den US-Präsidenten Abraham Lincoln verhinderten.
Pinkys erster Klient ist zwar nicht Präsident, aber immerhin der mächtigste Mann von Kittsburgh. Der Warenhausbesitzer Jonathan W. Morgan fürchtet, dass seine beiden Söhne sich nach seinem Tod befehden. Von Pinky bekommt Morgan den Rat: Lass den einen Sohn das Erbe teilen und den anderen Sohn seinen Teil zuerst aussuchen. Das ist Kantsche Moralphilosophie im Kinderbuchformat: Handle anständig und selbstlos, denn das macht am meisten Spaß.
Pinky ist darin von Anfang an ein Meister: Als Belohnung für seinen Rat erbittet er von Morgan freien Eintritt in den Zirkus, auch für seinen besten Freund Monster. Außerdem wünscht er sich einen Affen für den Zoo, beim nächsten Fall dann einen Elefanten, und als der erstaunte Klient ihn fragt, was er denn davon habe, antwortet Pinky: »Mein Vergnügen. Und jeder andere auch, der in den Zoo kommt. Sie gehen wohl nie in den Zoo?«
Dieser Detektiv ist ein Weltveränderer. Er hat Illusionen, die Erwachsene nicht haben. Gleichzeitig besitzt er schon die Unerschrockenheit des klassischen Selbsthelfers, auf Amerikanisch: des Selfmademans, der sich im Notfall auf sich selbst verlässt. Tatsächlich wird es für Pinky von Fall zu Fall gefährlicher. Erst entlarvt er einen Erbschleicher, dann fängt er einen Kaufhausräuber und macht einen Rummelplatzmörder dingfest, wobei er selber beinahe eingebuchtet wird. Während die Polizei ihn verhört, grübelt Pinky: »Kamen zwölfjährige Kinder eigentlich ins Gefängnis? Zumindest in ein geschlossenes Heim. Jetzt schien ihm Potters Waisenhaus wie ein Gefängnis, aus dem er vertrieben werden sollte.«
Gert Prokops Detektivgeschichten sind mindestens so gut wie die von Arthur Conan Doyle, weil der Thrill nicht aus der verbrecherischen Tat, sondern aus der Hartnäckigkeit und Klugheit des Detektivs entspringt. Pinky ist im Grunde eine kindliche Version von Sherlock Holmes: Er überrascht immer wieder mit Geistesblitzen und sieht genauer als die Polizei.
Pinkys Geschichte ist eine Parabel auf die Wahrheit, die man mit Herz und Verstand erlangt. Seine Menschenkenntnis und seine Frechheit werden nur durch seine Großherzigkeit übertroffen. Ihretwegen schafft Pinky es nie, wirklichen Gewinn zu machen. Entweder wird er übervorteilt oder verschenkt sein Honorar. Bei allem behält er sehr menschliche Wünsche, etwa ein Jahresabonnement auf Softeis. Dafür liebt man ihn als Leser. Doch der Autor will kein unrealistisches Happy End. Im Leben zahlt sich Klugheit auch nicht unbedingt in Dollars aus. Das ist die pädagogisch wertvolle Botschaft dieses Krimis, der keine Benimmbibel ist, sondern eine Anleitung zum Mutigsein: Betrachte das Leben als Abenteuer! Sehne dich nicht nach Reichtum, sondern schenke dem Zoo ein spektakuläres Tier!
Pinky wäre nicht Pinky, wenn er am Ende keine Träume mehr hätte. Deshalb sind wir ganz froh, dass auch der letzte Satz des Buches lautet: Pinky saß auf seiner Mülltonne und träumte.
Der spannende Krimi „Detektiv Pinky““ von Gert Prokop ist der dritte Band der 15-teiligen neuen Krimiedition für Kinder von der ZEIT. Hier erfährst Du mehr darüber.