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KrimiZeit für Kinder: Oberschichtjunge trifft Punkermädchen

 

Illustrationen: Ulf K. für DIE ZEIT/ www.ulf-k.blogspot.com

Der reiche Milo verliebt sich in die arme Iro. Gemeinsam ziehen sie in den Kampf gegen Männer in kleinkarierten Anzügen

Von Anna Marohn

Jeder kennt diesen Punkt, der ein gutes Buch von einem schlechten unterscheidet: die letzte Seite, der letzte Absatz, der letzte Satz. Und Schluss. Man blättert trotzdem weiter, ob vielleicht nicht doch irgendwo noch etwas passiert. Abschied zu nehmen fällt schwer, wenn die Figuren einem so vertraut geworden sind wie gute Freunde. So ergeht es einem mit Milo, Iro, Gulli, Görli und den anderen Kindern aus der Jagd nach dem grünhaari- gen Mädchen, mit denen man viel erlebt und durchlitten hat.

Dabei mutet Rudolf Herfurtner seinen Lesern durchaus etwas zu. Schon der erste Satz hat es in sich: »Cholera ist tot.« Eine Ratte mit dem Namen einer todbringenden Krankheit und ein Mädchen mit grünen Haaren, das sein Haustier verliert, wo es doch nicht einmal ein richtiges Zuhause hat. Dann der abrupte Szenenwechsel in Milos schickes Villenleben, das vielleicht von außen heil, aber innen auch ziemlich kaputt ist. Vielleicht fremdelt der Leser am Anfang bei den schnellen Perspektivwechseln, aber erst daraus formt sich die komplexe Welt, in der Milos und Iros Geschichte spielt.

Es ist ein Kinderkrimi im besten Sinne: spannend, fantasievoll, aber auch ganz nah an der Realität, wenn es um die wichtigen Dinge im Leben geht. Milo, das gehätschelte Oberschichtkind, hat eine Mutter, die keine Zeit für ihn hat; einen Stiefvater (»Onkel Klaus«), der sich nur für die Spielzeugfirma und nicht für ihn interessiert − und einen Vater, der ihn früh verlassen hat. Warum, das weiß er nicht.

Milo trainiert Minigolf, jeden Tag. Er übt am liebsten an der Bahn, die einem Vulkan ähnelt. »Für den Vulkan braucht man alles: Schwung und Zurückhaltung, Anspannung und Lockerheit, mit einem Wort: Haltung«, erläutert der Erzähler. Im Leben hat Milo die richtige Haltung schon gefunden. Er ist neugierig, voller Mitgefühl und mutig genug, ein großes Abenteuer zu bestehen.

Das erste Mal kreuzt sein Weg den des grünhaarigen Mädchens Iro, als er zu einer Spielzeugpräsentation gefahren wird, bei der er die Milo-Safari-Serie vorstellen soll: Er ist nämlich die lebendige Vorbildfigur und gleichzeitig das Model für die Kinderkleider-Kollektion seiner Mutter.

Männer in kleinkarierten Anzügen wollen die junge Punkerin entführen − und Milo kann sie nicht retten, weil er im Auto sitzt, eingeschlossen, wie so oft. So kann er nur zusehen, wie der stadtbekannte Straßenjunge Gulli auf seinem Skateboard-Einkaufswagen-Gefährt das Mädchen in letzter Sekunde den Häschern wegschnappt. Milo weiß zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass dies ihre Rettung ist.

Die Sorge um das Mädchen mit dem irren Haarschnitt lässt ihn nicht los. Er ist so beunruhigt, dass er aus seinem behüteten – man könnte auch sagen: gefängnisartigen – Heim flieht. »Draußen« trifft er Straßenkinder, die sich ebenfalls um Iro sorgen. Das wird nicht leicht für Milo: Gulli, der seinen kleinen Bruder an die Kleinkarierten verloren hat, traut ihm nicht über den Weg und nimmt ihn bei einem »Weichei-Test« hart ran – mithilfe der kleinen, wilden »Ketchupbomber«, die ihren Namen zu Recht tragen. Dann gibt es auch noch den mysteriösen Merklin, der von Milo offenbar mehr weiß, als er erkennen lässt.

Was machen die Kleinkarierten mit den Kindern, die sie auf der Straße fangen? Und was genau macht Onkel Klaus im zweiten Stock der Spielzeugfirma, in den man nur mit einem Spezialschlüssel kommt? Was hat es schließlich mit der merkwürdigen Sprechpuppe im Zimmer des Polizeipräsidiums auf sich?

Milo muss viel verstehen und durchstehen, bevor er alles zusammenbringt. Er ist zum Glück viel stärker, als ihm alle zutrauen. Sein Antrieb und seine Kraft rühren dabei von einem starken Gefühl: Ein kurzer Moment hat ihm gereicht, um sich in Iro zu vergucken, auch wenn sie scheinbar in einer ganz anderen Welt lebt – wie das manchmal eben so ist.

Milo weiß, dass seine Mutter Dorabella, die ehemalige Opernsängerin, ihn liebt, aber zu schwach ist, um zu ihm zu stehen. Für sie zählt nur die schöne Fassade, ihr Milo soll einfach immer nur »PÖRFEKT« sein. Sie flüchtet in ihre Vergangenheit, die sie in einem Geheimzimmer mit all ihren alten Kostümen untergebracht hat. Milo kann sie dort von seinem Zimmer aus manchmal singen hören, so wie früher. Auch er hängt an der Vergangenheit, vor allem an der Erinnerung, die er noch an seinen Vater hat. Aber er nutzt die Vergangenheit, um daraus Kraft zu schöpfen.

Den Schmeichelstein, den ihm sein Vater zum Abschied hinterließ, trägt Milo immer bei sich. »So weich und fest, wie meine Liebe«, stand auf dem Zettel, in den der Stein eingewickelt war. Milo hat eine weitere Stütze in Ludmilla; sie ist Köchin und Ersatzmutter in einem und scheint mehr zu wissen als alle anderen. Mit einem Augenzwinkern gibt sie ihm zu verstehen: Ich bin auf deiner Seite.

So ziehen am Ende die geheimnisvollen kleinkarierten Männer gegen Milo, Iro, Gulli und Merklin den Kürzeren. Und zwar ganz einfach, weil Freundschaft und Liebe stark machen. Weil ganz viele Kinder mehr bewegen können als wenige bösartige Erwachsene. Das ist die Wahrheit, die hinter der Geschichte steht. Wenn sie so aufgeschrieben ist wie in diesem Buch, ist sie besonders schön.

Doch zum Glück hat Herfurtner kein kitschiges Happy End verfasst. Das hätte zu seiner vielschichtigen Erzählung nicht gepasst. Die Kinder, aus denen Puppen wurden, werden wieder Kinder. Vater und Sohn finden wieder zusammen. Warum der Vater aber überhaupt gegangen war, diese Frage steht noch zwischen ihnen. Liebe hilft viel, aber sie kann auch nichts ungeschehen machen.

Der spannende Krimi „Milo und die Jagd nach dem grünhaarigen Mädchen“ von Rudolf Herfurtner ist der zwölfte Band der 15-teiligen neuen Krimiedition für Kinder von der ZEIT. Hier erfährst Du mehr darüber.