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KrimiZeit für Kinder: Fluch oder Verschwörung

 

Illustration: Ulf K. für DIE ZEIT/www.ulf-k.blogspot.com

Ohne die Hilfe von Sherlock Holmes hätte der junge Sir Henry Baskerville sein Erbe vergessen können

Von Jenny Gaschke

So viel steht fest: Sir Charles Baskerville ist tot. Mit vor Entsetzen verzerrtem Gesicht liegt er auf der Eibenallee hinter seinem Landsitz Baskerville Hall, den das einsame Dartmoor umgibt. Die Umstände seines Todes sind mehr als unheimlich. Ist der wohltätige, verwitwete Adlige Opfer des Fluches geworden, den sein Vorfahr Sir Hugo vor Jahrhunderten über die Familie gebracht hat? Einiges deutet darauf hin, denn die Leiche ist umgeben von den Pfotenspuren eines riesigen Hundes. Ist jenes dämonische Tier, das schon Hugo zur Strafe für sein sündhaftes Leben ins Verderben trieb, jetzt, im Jahr 1889, zurückgekehrt? Und ist Sir Charles’ Erbe, der junge Henry Baskerville, nun ebenfalls in Gefahr?

Dr. Mortimer, ein Freund der Familie Baskerville, sucht Hilfe in der Baker Street 221B in London – bei Sherlock Holmes, dem berühmtesten aller Detektive. Holmes und Dr. Watson (Holmes’ treuer Gefährte in allen Abenteuern) erfahren, wie sehr der alte Sir Charles den Familienfluch gefürchtet hatte. Und dass er trotzdem in der Nacht seines Ablebens ganz allein am Rande des Moors auf jemanden wartete. Seine Fußspuren zeigen, dass er von seinem Standort aus plötzlich um sein Leben gerannt sein muss – etwa auf der Flucht vor der Bestie?

Sherlock Holmes ist scharfsinnig, ein Mann der kompromisslosen Logik, der strikt wissenschaftlichen Beobachtung und Analyse. In aller Regel findet er sehr reale Erklärungen für die Rätsel, mit denen er sich auseinandersetzt – was hält er also von Flüchen, von übernatürlichen Ungereimtheiten? Auf jeden Fall wecken sie sein Interesse – und sein Misstrauen. Zumal nun auch noch der junge Sir Henry Baskerville bedroht wird. Er hat einen anonymen Brief erhalten, zusammengefügt aus Wörtern, die ein Unbekannter aus der Times ausgeschnitten hat: Wenn ihm sein Leben lieb sei, solle er dem Moor (und dem Stammsitz seiner Familie) fernbleiben. Die Ereignisse werden immer bizarrer: Sir Henry wird in seinem Londoner Hotel erst ein neuer, dann ein alter Schuh entwendet. Eine mysteriöse Person, die sich frecherweise auch noch als Sherlock Holmes ausgibt, beschattet ihn. Was erwartet ihn unter diesen Bedingungen erst auf Baskerville Hall?

Eigentlich wollte der Schotte Sir Arthur Conan Doyle (1859 bis 1930), der ursprünglich Medizin studiert hatte, ernst zu nehmende historische Romane schreiben. Den Hund der Baskervilles veröffentlichte er 1901 und 1902 als Fortsetzungsroman im berühmten Strand Magazine. Da waren ihm sein stets erfolgreicher, genialer, aber auch übermäßig selbstbewusster Detektiv (und der Hunger seiner Fans nach immer neuen Geschichten über Sherlocks Kunst, auch die schwierigsten Fälle zu lösen) längst zur Last geworden. Schon 1893 hatte er versucht, Holmes sterben zu lassen: In der Kurzgeschichte Sein letzter Fall stürzt der Detektiv während eines Kampfes mit seinem Erzfeind Professor Moriarty in den Reichenbachfall. Doch der Protest der Leser war überwältigend, Scharen von Abonnenten kündigten den Bezug des Strand Magazine . Nach acht Jahren gab der Autor dem Druck schließlich nach: Der Hund der Baskervilles erschien und wurde nicht nur der berühmteste Fall von Sherlock Holmes, sondern zählt heute zu den wichtigsten Detektivromanen überhaupt – ein absoluter Klassiker.

Besonders bemerkenswert ist die Fähigkeit zur Ferndiagnose, mit der Doyle seinen Helden ausstattet: Holmes fährt nämlich zunächst keineswegs selbst ins Dartmoor, um zweifelhaften Hundeerscheinungen nachzuspüren. Er beauftragt Dr. Watson, Sir Henry zu begleiten. Watson soll dem jungen Erben zur Seite stehen und regelmäßig per Telegramm über alle Ereignisse berichten.

Kaum haben die Reisenden ihr Ziel erreicht, erfahren sie, dass ein entlaufener Mörder sich im Moor versteckt hält. Watson and Sir Henry verbringen ihre erste Nacht im düsteren Familienschloss. Dort macht das Dienerehepaar einen verdächtigen Eindruck auf Watson. Auf einem Spaziergang durch die wilde Moorlandschaft trifft der Doktor dann Nachbarn des verstorbenen Sir Charles: den Naturforscher Jack Stapleton und dessen so attraktive wie undurchsichtige Schwester Beryl. Für Letztere beginnt sich, wie könnte es anders sein, auch der junge Sir Henry zu interessieren.

Ein schwer durchschaubares Beziehungsgeflecht und dunkle Motive verbinden die Personen, die rund um Baskerville Hall anzutreffen sind. Und das Moor selbst gibt Watson weitere Rätsel auf – unheimliche Laute sind dort zu hören, weitere Unbekannte treiben sich in der Gegend herum. Inzwischen hat sich auch Sherlock Holmes an den Ort des Geschehens begeben und unerkannt ermittelt. Doch Holmes und Watson können selbst mit vereinten Kräften nicht verhindern, dass ein weiterer Mensch gewaltsam zu Tode kommt.

Es bedarf Holmes’ ganzer Genialität, um die Verschwörung aufzudecken, die den jungen Sir Henry um sein Erbe bringen soll. Ein Hund spielt dabei tatsächlich eine Rolle, aber es ist keine Geistererscheinung, sondern ein echtes Tier, das auf den Geruch seiner Opfer abgerichtet wurde. Auf ihrem Höhepunkt entwickelt die Geschichte ein enormes Tempo: Holmes entlarvt den Schuldigen – und den ereilt seine gerechte Strafe. Auf der Flucht verirrt sich der Bösewicht und versinkt im Moor.

Conan Doyles Kunst besteht (wie in allen Sherlock-Holmes-Geschichten) darin, dass alle Details der Handlung am Ende wie ein Puzzlespiel zusammenpassen und dass Ruhe und Ordnung wiederhergestellt werden. »Die Welt ist voll von offensichtlichen Dingen, die zufällig nie jemand bemerkt«, sagt der Meister. Für jedes Detail gibt es eine logische Erklärung.

Wer den Hund der Baskervilles heute liest, wird sich mit manchem, was die Figuren über die sogenannte Rassenkunde, über gesellschaftliche Klassen und das britische Empire sagen, schwertun. Andere Aspekte aber, wie Holmes’ Verwendung moderner Technik (etwa des Telegramms) und naturwissenschaftlicher Methoden zur Verbrechensbekämpfung, zeigen, woher heutige TV-Formate wie zum Beispiel CSI (Crime Scene Investigation) ihre Vorbilder nehmen. Obwohl die Handlung zum größten Teil im ländlichen Devon spielt, wird offenbar, wie vergleichbar die Wirkung der Innovationen zur viktorianischen Zeit auf die damalige Gesellschaft den technischen Fortschritten von heute sind. Der Hund der Baskervilles ist ein Kriminalroman, der jungen Lesern einen perfekten Übergang von der Jugend- in die Erwachsenenliteratur bietet.

Der spannende Krimi „Der Hund von Baskervilles“ von Arthur Conan Doyle ist der dreizehnte Band der 15-teiligen neuen Krimiedition für Kinder von der ZEIT. Hier erfährst Du mehr darüber.