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„Ich will Fußball-Profi werden“

 

Linus ist 16 Jahre alt und will Fußball-Profi werden

Training, Training, Training: Linus besucht das Fußballinternat auf Schalke und arbeitet hart für seinen Traum. ZEIT LEO hat ihn einen Tag lang begleitet.

Von Alex Westhoff mit Fotos von Dominik Asbach

Wenn Linus morgens um 6.15 Uhr aufsteht, fällt sein Blick zuerst auf einen Schal des Fußballvereins Real Madrid. Der hängt in seinem Zimmer an der Wand. Der 16-Jährige hat ihn bei einem Jugendturnier in Spanien geschenkt bekommen. Meist steht in seinem Zimmer ein Wäschekorb mit frischen Trainingsklamotten. Auf fast jedem Teil prangt das Wappen des Fußballvereins Schalke 04. Es sind die gleichen Klamotten, die auch die Bundesligaprofis des Klubs tragen.

Bevor Linus das Haus verlässt, packt er für einen langen Tag – Schulsachen und Fußballsachen kommen in die Tasche. Dann schlurft er noch etwas müde die Treppe hinunter zum Frühstück. Er kommt an einem Zettel vorbei, auf dem »Fußballspielen im Haus verboten« steht. Daneben hängt der »Strafenkatalog«: Wer im Flur seine Schuhe herumliegen lässt, muss drei Euro Strafe zahlen; unentschuldigt beim Essen fehlen kostet fünf Euro. Linus sagt, dass er häufig kleine Strafen zahlen muss. Besonders zu ärgern scheint ihn das nicht, jedenfalls schmunzelt er, als er es erzählt.

Und ohne klare Regeln würde es wahrscheinlich reichlich wild zugehen in diesem Haus. Denn Linus lebt hier zusammen mit sieben anderen Jungen. Sie sind alle zwischen 15 und 17 Jahre alt und haben einen gemeinsamen Traum: Sie wollen Fußballprofis werden. Alle sind sehr talentierte Spieler, die in den Nachwuchsteams von Schalke 04 kicken, einem großen Profiverein in Gelsenkirchen, im Ruhrgebiet. Weil die Familien der Jungen aber nicht in der Nähe leben – Linus zum Beispiel kommt aus Kiel –, wohnen sie bei Gasteltern, dem Ehepaar Krüger, in einem großen weißen Haus. Die Jungs nennen ihr neues Zuhause nur: »die Villa«.

Schon morgens ist es trubelig, ein bisschen wie in einer Jugendherberge. Rund um den Frühstückstisch sitzen die acht Jugendlichen mit Herrn und Frau Krüger, alle reden und lachen wild durcheinander. Natürlich geht es meistens um Fußball. Im Schalker Verein werden die jungen Spieler sehr gefördert. Auch Mesut Özil und Manuel Neuer haben hier ihre Karrieren begonnen – und sie sind heute berühmte deutsche Nationalspieler.

Um ihnen nachzueifern, investieren Linus und die anderen Jungen viel. Linus zum Beispiel sieht seine Familie nur etwa einmal im Monat. Und dafür muss er dann 450 Kilometer bis nach Hause fahren »Zu Anfang war es ziemlich schwer«, sagt Linus. An die Trennung von Eltern und Freunden und an die neue Umgebung habe er sich erst gewöhnen müssen. Und manchmal habe er ein bisschen Heimweh. »Aber wenn man Fußball spielt, vergisst man vieles«, sagt er.

Bei einem Spiel mit der Landesauswahl Schleswig-Holsteins in seiner Heimat ist Linus Talentsuchern aufgefallen: Er ist zentraler defensiver Mittelfeldspieler, kopfballstark, er überzeugt in Zweikämpfen und hat eine gute Spielübersicht. Damit hat er das Interesse von mehreren großen Vereinen geweckt. Linus hätte zum Beispiel zum Hamburger SV gehen können. Hamburg liegt viel näher an Kiel, dennoch entschieden er und seine Eltern sich für Schalke 04 im weiter entfernten Gelsenkirchen – das Angebot war einfach das beste.

Das ist jetzt anderthalb Jahre her. Heute ist Linus Kapitän der Schalker Mannschaft in der U-17-Bundesliga und Schüler der Gesamtschule Berger Feld. Das ist eine sogenannte »Eliteschule des Fußballs«, die mit Schalke 04 zusammenarbeitet. Das Schulgebäude liegt direkt neben den Trainingsplätzen des Vereins. Das Stadion, die riesige Schalker Arena, sieht aus wie ein neben dem Schulhof geparktes Raumschiff.

Eines Tages will Linus dort selbst spielen – als Profi und vor mehr als 61 000 Zuschauern. Dafür trainiert er hart, jeden Tag. Nach dem Frühstück steigt Linus aufs Fahrrad und fährt von der »Villa« zur Schule. Er braucht nur ein paar Minuten. Schalke hat ihm das Rad in den Vereinsfarben Blau und Weiß zur Verfügung gestellt. »Damit mache ich jeden Weg«, erzählt Linus und zieht, vor der Schule angekommen, seine Handschuhe aus. Auch sie tragen das Schalke Wappen.

Zunächst steht normaler Unterricht auf dem Stundenplan. Aber für die dritte und vierte Stunde verlässt Linus das Klassenzimmer. Er hat Fußballschultraining – wie an jedem Dienstag, Donnerstag und Freitag. Während seine Mitschüler, die nicht bei Schalke spielen, in den nächsten Klassenraum gehen, radelt Linus rüber zu den Trainingsplätzen. Neidisch auf seinen Sonderstundenplan sind die Klassenkameraden nicht mehr, seitdem sie einmal zuschauen durften, wie die Fußballer 45 Minuten lang nur Koordinationsübungen gemacht haben – ohne dass ein Ball ins Spiel kam. Auch sie wissen inzwischen, dass Fußballprofi-werden-Wollen harte Arbeit ist:

Linus hat in der Woche drei Übungseinheiten am Vormittag. An vier Abenden in der Woche kommt das Vereinstraining hinzu. Das macht sieben Trainingseinheiten in der Woche, plus ein Meisterschaftsspiel am Wochenende. Damit trainiert Linus fast so viel wie die Profis. Allerdings müssen die nur auf dem Fußballplatz gut sein und nicht auch noch in der Schule. Durch das viele Training, durch Turniere oder durch Verletzungen verpasst Linus immer wieder Schulstoff . Den muss er natürlich nachholen. »Das ist ein straffes Programm. Manchmal ist es ganz schön stressig«, sagt Linus.

Wie anstrengend es für die jungen Spieler ist, immer Höchstleistungen bringen zu wollen, weiß zum Beispiel Tomasz Waldoch. Er ist Trainer der U17 Mannschaft, in derLinus spielt. »Die Jungs machen sich am meisten Druck«, sagt der Trainer. Er ist selbst mehr als hundert Mal für Schalke in der Bundesliga aufgelaufen, seine Erfahrung sagt ihm: »Nicht alle werden es bis ganz nach oben schaffen.«

Zur fünften Stunde sitzt Linus frisch geduscht im ItalienischUnterricht. Durch das Fenster kann er die Schalker Arena sehen. »Cinque anni«, sagt der Lehrer zu Linus. Das bedeutet: fünf Jahre. Das solle Linus sich schön merken. Das könne er gebrauchen, wenn er später mal mit einem italienischen Fußballverein über dieLaufzeit eines Vertrags verhandele. Nach der sechsten Stunde radelt Linus zurück zur »Villa«, zieht die Schuhe aus und lässt sich auf das Sofa im Wohnzimmer plumpsen. Ein paar Minuten kann er sich entspannen, bevor es um 13.30 Uhr Mittagessen gibt.

Danach geht es aber direkt weiter: Bis 15.50 Uhr hat Linus noch zwei Stunden Unterricht, im Anschluss muss er Hausaufgaben machen oder versäumte Unterrichtsstunden nacharbeiten. Wenn das erledigt ist, steigt er auch schon wieder in seine Fußballklamotten. Denn um 17.45 Uhr beginnt das reguläre Mannschaftstraining bei Schalke 04. Dann sind auch die Spieler dabei, die nicht auf die »Eliteschule des Fußballs« gehen. Wenn Linus um 19.30 Uhr wieder zu Hause ist, sei er meist richtig platt, erzählt er. Um 21.30 Uhr knipst er häufig schon das Licht aus. Dann träumt er davon, dass er eines Tages der
neue Özil sein wird.

Der Artikel stammt aus dem aktuellen ZEIT LEO. Hier könnt Ihr nachsehen, welche spannenden Artikel noch in der aktuellen Ausgabe stehen.