Zwei Kinder zeigen auf beeindruckende Weise, dass der Alltag im Slum nicht hoffnungslos sein muss
Weltweit leben mehr als 300 Millionen Kinder in Slums. Zwei dieser Kinder lernen wir in Soul Boy kennen. Es sind Kinder aus einem Elendsviertel, die in einer Geschichte über Elendsviertel spielen – und den Zuschauer damit in eine doppelt fremde Welt führen: ins ferne Kenia. Und in die Hütten der Ärmsten.
Auf den ersten Blick aber erzählt Soul Boy vor allem eine spannende und märchenhafte Geschichte. Alles beginnt damit, dass der Junge Abila, kurz Abi, seinen Vater eines Morgens leidend im Bett vorfindet. Die Seele sei ihm geraubt worden, stöhnt der Vater. Abis Mutter nimmt das wirre Gerede ihres Mannes nicht ernst. Der habe wohl mal wieder zu viel getrunken, sagt sie. Abi ist dennoch beunruhigt. Was, wenn seinem Vater tatsächlich die Seele gestohlen wurde? Auf der Straße hört er von der Nyawawa, einer Geisterfrau, die dunkle Kräfte besitzen soll. Er wagt sich in ihre Hütte und begegnet dort einer bedrohlichen Gestalt, die durchs Halbdunkel humpelt. Zunächst verspottet sie den Jungen. Doch schließlich erkennt sie seinen Mut an und lässt sich auf einen Handel ein – Abi kann die Seele seines Vaters retten, wenn er sieben rätselhafte Aufgaben löst: »1. Schlüpfe vor Publikum in die Haut eines anderen. 2. Hilf einem Sünder aus der Patsche, ohne ihn zu verurteilen. 3. Begleiche die Schuld eines anderen, ohne von jemandem zu stehlen. 4. Erkunde eine neue Welt. 5. Nutze Deinen Verstand, um einem anderen das Leben zu retten. 6. Entdecke etwas Unbekanntes, und erkenne den Unterschied. 7. Stelle Dich der riesigen Schlange, die Du am meisten fürchtest.«
Viel Zeit bleibt nicht, denn bis zum nächsten Morgen muss Abi die sieben Aufgaben erfüllt haben. Dafür braucht er Mut, Klugheit, ein bisschen Glück – und eine gute Freundin. Denn Unterstützung bekommt Abi durch das Mädchen Shiku. Sie begleitet ihn, weist ihm den Weg und spricht ihm Mut zu. Sie redet ihm aber auch ins Gewissen und lässt den Jungen in einigen Situationen ziemlich dumm dastehen, weil sie ihm in moralischen Fragen schlicht überlegen ist. Einen Teil der Aufgaben muss Abi dann auch allein meistern, weil es zwischen den Kindern zu einem Streit kommt. Am Schluss aber, als Abi mit der Schlange kämpft, die er am meisten fürchtet, ist Shiku da – und rettet ihn.
Was genau bedeutet es, im Slum zu leben? Fast jedes siebte Kind auf der Welt weiß das aus eigenem Erleben. Mangelernährung, Wellblechhütten, unhygienische Verhältnisse, Kriminalität, keine Chance auf Bildung – solche Schlagworte fallen uns im reichen Europa zwar schnell ein. Dennoch können sich die meisten wohl nur schwer etwas Konkretes vorstellen. Und weil die Welt eines Armutsviertels so fern ist, verliert man schnell aus dem Blick, dass sie für viele, viele Menschen schlicht ihr Zuhause ist. Ihre Heimat, in der es neben Mangel, Krankheit und Gewalt auch einen ganz normalen Alltag gibt. Diesen Alltag zeigt der Film.
Soul Boy ist ei- ne Art Film-Entwicklungshilfeprojekt. Der deutsche Regisseur und Produzent Tom Tykwer (The International, Das Parfum, Lola rennt) ging 2008 mit einem kleinen Team in den riesigen Slum Kibera. Dieses Armenviertel liegt im Südwesten der kenianischen Hauptstadt Nairobi, dort wollte er mit jungen Filmemachern aus Kenia einen Kinofilm realisieren. Kameraleute, Cutter, Beleuchter und Produktionshelfer stammten aus dem Land – oder sogar dem Slum, in dem diese Geschichte spielt. Die Regisseurin Hawa Essuman hat kenianische und ghanaische Wurzeln. Während des Drehs wurde das Team von deutschen Profis unterstützt. Die Schauspieler kommen aus Kibera und zwei weiteren Hüttensiedlungen. Die beiden Hauptdarsteller hatten nie vorher auf einer Bühne gestanden, sie sind »ganz normale Slumkinder«, wie es in den Produktionsnotizen des Films heißt.
Das verleiht dem Film Authentizität. In einigen Szenen hat Soul Boy sogar etwas stark Dokumentarisches, denn die Bewohner von Kibera, die plötzlich ein Filmset vor ihrer Tür fanden, griffen manchmal einfach ein: Bei einer Verfolgungsjagd etwa stürmten unzählige Menschen auf den Straßen mit.
Soul Boy ist kein Film über Afrika, sondern ein afrikanischer Film. Das Drehbuch schrieb der kenianische Autor Billy Kahora. Die Regisseurin zeigt das Land und den Slum nicht als bloße Kulisse. Trotzdem verleugnet Soul Boy keineswegs die Armut, die Gewalt und die sozialen Probleme, die in den Elendsvierteln herrschen. Wichtiger aber ist, dass sich mitten in dieser Armut eine spannende Geschichte entfaltet. So wirkt Kibera nicht erdrückend und das Leben der Menschen dort nicht hoffnungslos.
Kann ein Film etwas an der Situation der Kinder ändern, die in Slums leben? »Leute aus Kibera sind zu nichts zu gebrauchen« – das sei ein weitverbreitetes Vorurteil, erzählt der kenianische Casting-Direktor des Films. Dass diese Nichtsnutze bei einem Film mitgewirkt haben, dass sogar ein Junge aus dem Slum die Hauptrolle spielt, bedeute deshalb viel für die Menschen hier. Es mache sie stolz, gebe ihnen Mut und Selbstbewusstsein. »Die Arbeit an diesem Film«, sagt Leila Dayan Opou, die Darstellerin der Shiku, »gibt einem ein Gefühl von Hoffnung für die Zukunft.«
Ist nach den Dreharbeiten für die Beteiligten etwas anders als vorher? Hauptdarsteller Samson Odhiambo jedenfalls sagt: »Es fühlt sich an, als würde Gott doch nicht schlafen.« KinderZEIT empfiehlt den Film ab 9 Jahren.
Die neue ZEIT Edition „Kinderfilme aus aller Welt“ umfasst zehn preisgekrönte Spielfilme, die zeigen, wie Kinder in verschiedenen Ländern leben, wovon sie träumen, wofür sie kämpfen. Für Mädchen und Jungen von 6 bis 12 Jahren. Alle Filmen zusammen kosten 89,95 Euro und können hier bestellt werden. Der Reinerlös geht an das Kinderhilfswerk terre des hommes.
1. Whale Rider
2. Tsatsiki – Tintenfisch und erste Küsse
3. Wintertochter
4. Ein Pferd für Winky
5. Die Stimme des Adlers
6. Billy Elliot – I will dance
7. Zaïna – Königin der Pferde
8. Soul Boy
9. Lippels Traum
10. Kinder des Himmels