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Freundin oder Frauchen?

 

Ein Border Collie im Sprung/ © AFP
Ein Border Collie im Sprung/ © AFP

Manche Menschen behandeln Tiere wie Sklaven, andere verhätscheln sie. Die berühmte Tierforscherin Jane Goodall erklärt im Interview, wie wir gerecht mit Tieren umgehen können. Für die KinderZEIT sprach Silke Fokken mit ihr.


KinderZEIT:
Können Menschen und Tiere echte Freunde sein?
Jane Goodall: Das kommt darauf an, was man unter Freundschaft versteht.Tiere und Menschen können sich gegenseitig sehr lieb haben. Sie können sich gut Gesellschaft leisten und für­ einander da sein. Mir ging das mit meinem Hund Rusty so, den ich als Kind hatte.

KinderZEIT: Es gibt aber auch Menschen, die sich ihren Tieren überlegen fühlen. Wie sehr darf man über sein Haustier bestimmen?
Jane Goodall: Natürlich musst Du für das Tier, mit dem Du zusammenlebst, Entscheidungen treffen. Wenn zum Beispiel Dein Hund draußen im Winter friert, musst Du für ihn entscheiden, dass er einen Hundemantel tragen muss. So sorgst Du dafür, dass ihm nicht kalt ist. Aber man kann auch versuchen, das Tier mitbestimmen zu lassen. Wenn Ihr einen Spaziergang macht, kannst Du zum Beispiel den Hund entscheiden lassen, welchen Weg Ihr nehmt.

KinderZEIT: Haben die Menschen denn immer das Sagen? Es gibt doch auch Hunde, die nur auf eine bestimmte Person hören und anderen auf der Nase herumtanzen.
Jane Goodall:Jedes Tier hat genauso wie ein Mensch seine eigene Persönlichkeit, einen gewissen Verstand zum Denken und eine ganze Palette von Gefühlen. Schimpansen zum Beispiel können fröhlich, traurig, wütend, ängstlich oder auch eifersüchtig sein. Ich habe einmal einen Schimpansen beobachtet, der sich genauso verhielt wie ein Kind, das eifersüchtig war auf ein Geschwisterkind. Tiere können sehr eigensinnig sein.

KinderZEIT: Dann sind Tiere uns also sehr ähnlich. Sie selbst haben viele Jahre mit Schimpansen im Urwald ge lebt. Welche Ähnlichkeit hat Sie am meisten überrascht?
Jane Goodall: Ich weiß noch, wie ich einen Schimpansen zum ersten Mal dabei beobachtete, wie er mit einem Ast nach Termiten angelte. Er benutzte also ein Werkzeug, um sich etwas zu essen zu besorgen. Aber es kam noch besser: Er pflückte die Blätter von dem Ast, damit daraus eine bessere Angel wurde. Das heißt, er stellte das Werkzeug selbst her. Das war damals eine Sensa­tion. Denn früher dachte man, dass nur Menschen Werkzeuge herstellen würden. Inzwischen wissen wir, dass eine ganze Reihe von Tieren das auch macht.

KinderZEIT: Wenn sie Werkzeuge bauen, heißt das, dass Tiere denken?
Jane Goodall: Die so­ genannten höher ent­wickelten Tiere wie Affen, Papageien und auch Krähen können selbst verständlich den­ken. Verhaltensforscher von der Oxford Universität haben zum Beispiel Krähen in London beobachtet. Die Tiere benutzten einen Draht, der vorne einen Haken hatte, um besser an Futter heranzukommen. Als der Haken ab brach, fanden sie heraus, wie sie einen neuen Haken aus dem Draht biegen konnten. Die Tiere schafften es also, für ein neues Problem eine Lösung zu finden.

KinderZEIT: Und was unterscheidet uns Menschen von den Tieren?
Jane Goodall: Zwischen manchen Tieren, etwa den Schimpansen, und uns Menschen gibt es keine scharfe Trennlinie. Sie benutzen Werkzeuge und haben Gesten, Zeichen und Geräusche, um sich untereinander zu verständigen. Der größte Unterschied liegt in der Sprache.

KinderZEIT: Was können wir denn, was Tiere nicht können?
Jane Goodall: Wir haben ein Sprachsystem entwickelt, das extrem ausgeklügelt ist. Wir können zum Beispiel über bestimmte Ideen diskutieren. Wir können über Dinge oder Gegenstände sprechen, die gerade gar nicht bei uns im Raum sind. Wir können Pläne schmieden und über die Zukunft reden. Wir können unsere Sprache aufschreiben. All dies hat dazu geführt, dass sich die menschliche Intelligenz so explo­sionsartig entwickelt hat. Es ist diese Art von Gehirn, die es Menschen ermöglicht, auf den Mond zu fliegen.

KinderZEIT: Dürfen wir auch über Tiere herrschen, weil unser Gehirn höher entwickelt ist?
Jane Goodall: Nein. Viele Menschen behandeln Tiere, als ob sie gar nicht denken könnten. Sie tun so, als hätten Tiere keine Gefühle. Besonders ärgert es mich, wenn Menschen auf die Jagd gehen und Tiere töten, um Sport zu treiben. Mich macht es wütend, wenn Tiere mit Gewalt gefüttert, also ge mästet werden, nur damit wir zum Beispiel Gänseleberpastete essen können. Oder wenn unter schlimmen Bedingungen massenweise kleine Hundewelpen gezüchtet werden.

KinderZEIT: Darf man Tiere denn nicht töten, um sie zu essen?
Jane Goodall: Wenn Menschen Tiere essen wollen, sollen sie das tun. Aber sie sollten darauf bestehen, dass die Tiere ausreichend Auslauf haben und nicht in engen, überfüllten Käfigen gehalten werden. Schlimm ist, dass viele Bauernhöfe richtige Fabriken für Hühner, Schweine, Kühe und andere Tiere geworden sind. Das geht mit einer schrecklichen Grausamkeit gegen Tiere einher.

KinderZEIT: Wie kann man das ändern?
Jane Goodall: Wer ein Stück Rindfleisch essen will, sollte daran denken, dass das einmal ein Teil von einer jungen Kuh war. Ein Schinken war einmal das Fleisch, das einem Schwein gehörte. Wir sollten uns fragen, ob diese Tiere mit Respekt behandelt wurden oder ob sie leiden mussten. Erst dann sollten wir das Stück Fleisch kaufen.

KinderZEIT: Wir selbst wollen in Freiheit leben. Haben auch Tiere ein Recht darauf?
Jane Goodall: Ich wünsche mir vor allem eine Welt ohne Grausamkeit. Das gilt für Menschen wie für Tiere. Für die Natur bedeutet das, dass wir ihr Platz lassen, damit wilde Tiere in Freiheit leben können und nicht gefangen, erschossen oder vergiftet werden. Und wir sollten nicht vergessen, dass auch der Mensch ein Tier ist.

Jane Goodall
Jane Goodall

Jane Goodall erfüllte sich als junge Frau einen Traum. Im Alter von 26 Jahren reiste sie von ihrer Heimat Großbritannien nach Tansania in Afrika. Mit nicht viel mehr als einem Zelt und einem Fernglas lebte sie mehr als 20 Jahre im Urwald, um das Verhalten von Schimpansen zu erforschen. Heute ist Jane Goodall 79 Jahre alt und reist quer durch die Welt, um sich für den Schutz von Affen stark zu machen und für den Respekt von Menschen allen
Tieren gegenüber.