Bankdirektoren-Nachfolger Helge deckt mit Unterstützung von Ratte Dante einen großen Geldraub auf – und findet nebenbei den Sinn des Lebens
Von Susanne Gaschke
Wie lebt eigentlich ein Pensionär? Bisher, sagt der alte Bankdirektor Lusidor, habe er immer geglaubt, ein Pensionär müsse eine fusselige Strickjacke tragen; gelegentlich zum Fluss hinuntergehen, um die Enten mit Brotkrumen zu füttern; Gutscheine aus der Zeitung ausschneiden, um sich vakuumverpackte Sülze leisten zu können. Doch dann, erklärt Lusidor, sei ihm klar geworden, dass man als Pensionär auch ein braun gebrannter, famoser Typ mit knallbunten Shorts sein könne. Einer, der Kaviar esse, im Privatjet um die Welt düse und ab und zu an den Fluss schlendere, um den Enten Gebäck und Champagner anzubieten.
Natürlich entscheidet sich Lusidor für die zweite Variante des Pensionärsdaseins. Unglücklicherweise muss er dafür die Bank, der er viele Jahre treu gedient hat, ausrauben. Und noch unglücklichererweise fällt der Verdacht, diese schandbare Tat begangen zu haben, auf seinen Direktoren-Nachfolger Helge. Der hat sein Amt gerade erst angetreten, ist noch ganz atemlos vor Stolz – und muss nun seinen Arbeitsplatz, der ihm alles bedeutet, Hals über Kopf verlassen. In wilder Flucht vor der Polizei stürzt er davon, landet irgendwann in einer Mülltonne und wird schließlich auf der städtischen Müllkippe abgeladen: »Ich ließ mich auf einen kaputten Nachttopf sinken und vergrub mein Gesicht in den Händen. Was soll man machen, wenn man eines Millionendiebstahls bezichtigt wird? Wenn man seinen Job verloren hat und nicht mehr in die eigene Wohnung nach Hause kann?«
Von hier an wird es ein wenig surreal. Bevor die Verzweiflung ihn übermannt, bemerkt Helge die größte und schmutzigste Ratte, die er je gesehen hat. Sie hat auch die schlechtesten Zähne, die ihm je untergekommen sind. Und sie versucht sofort, ihm ein Gespräch aufzuzwingen. Da er sie furchtbar unsympathisch findet, ignoriert er sie zunächst demonstrativ. Doch mit Ignorieren kommt man bei Ratte Dante nicht weit, und schließlich zieht Helge (er kann es selbst kaum fassen) in deren Müllbehausung ein. Wo soll er auch sonst hin?
Das Zusammenleben gestaltet sich schwierig, weil Dante einerseits ungeheuer geldgierig und unhöflich ist, andererseits aber wahnsinnig sensibel und verletzlich. Mit der Zeit gewöhnt sich Helge an Schmutz, Gestank, fragwürdige Nahrungsmittel und die Launen seines Gastgebers. Es gelingt ihm, seinem neuen Leben positive Seiten abzugewinnen: Er, für den Thor Björklung, der »geniale Erfinder des Käsehobels«, zeitlebens ein Idol war, kümmert sich nicht länger um Börsenkurse und Bilanzen, sondern macht selbst Erfindungen. Praktische Müllschuhe zum Beispiel, die verhindern sollen, dass Dante mit seinen Schmutzpfoten Keime in die Hütte trägt. Oder Fallen, um den geheimnisvollen Hund einzufangen, der in schlechter Tarnung die Hütte observiert. Irgendwann wird Helge klar, dass er noch nie zuvor so glücklich war und dass er Dante inzwischen sehr mag: »Dante und ich sind die besten Freunde … man könnte sogar sagen Seelenverwandte.« Deshalb will Helge auch nicht in seine alten Verhältnisse zurückkehren, selbst als der schlecht getarnte Hund sich als Detektiv entpuppt, der ihn rehabilitieren und den wahren Schuldigen entlarven könnte.
Frida Nilssons Roman für Kinder überschreitet die Grenzen des klassischen Krimis, auch wenn es darin gilt, einen Bankraub aufzuklären. Doch wichtiger ist Nilsson (die im Begriff ist, eine der wichtigsten zeitgenössischen Kinderbuchautorinnen Schwedens zu werden) eine ganz andere Nachforschung: Helges Suche nach Sinn, nach der Antwort auf die Frage, wer er eigentlich sein will. Die Arbeit in der Bank hielt er zwar für sein Leben, aber oft fühlte er sich angesichts des ganzen Geldes auch »klein und grau«. War es wirklich so toll, aus den Spargroschen armer Schlucker MILLIONEN für die Bank zu machen? Nach und nach beschleicht Helge (und den Leser) das Gefühl, dass ein Bankraub vielleicht doch die kleinere Verfehlung ist – verglichen mit dem, was Banken mit Menschen, Kunden wie Angestellten, machen.
Der gesellschaftskritische Unterton ist typisch für Nilsson, ohne dass sie dabei moralisierend oder belehrungswütig wirkt. Sie zwinkert eher. Ihre Helden müssen – wie Helge – oft erst erkennen, dass Schein und Sein zwei unterschiedliche Dinge sind. Oder sie sind selbst absolut schräge Typen – sprechende Ratten zum Beispiel, die sich nichts sehnlicher wünschen als ein Gebiss nur aus Goldzähnen. Auch bei diesen Gestalten erst einmal herauszufinden, wer sie wirklich sind, statt zu sagen: Es gibt doch gar keine sprechenden Ratten!, das gibt Nilsson dem Leser auf, und darin liegt das Geheimnis ihrer Erzählkunst.
Der spannende Krimi „Ich, Dante und die Millionen“ von Frida Nilsson ist der zweite Band der 15-teiligen neuen Krimiedition für Kinder von der ZEIT. Hier erfährst Du mehr darüber.