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Die ZEIT Edition „Kinderfilme aus aller Welt“ – Teil 2: Mein griechischer Papa

 

Tobias erweist sich als würdiger Sohn und großartiger Taucher/ © ARSENAL Filmverleih GmbH 2012

Im kalten Schweden träumt der achtjährige Tobias von seinem Vater, dem Tintenfischjäger

Es gibt Träume, die sind so groß und so übermächtig, dass man alles dafür tun würde, sie zu verwirklichen. Der achtjährige Tobias Johansson aus Schweden hat einen solchen Traum: Er will unbedingt seinen leiblichen Vater, einen griechischen Fischer, kennenlernen. Für dieses Ziel nimmt er alles in Kauf. Da sein Vater, soweit er weiß, beruflich nach Tintenfischen taucht, schleicht sich Tobias ins Schwimmbad, um unbeaufsichtigt zu trainieren.

Mit Hanteln in beiden Händen springt er ins Wasser, um möglichst lange unter der Oberfläche bleiben zu können. Der Polizist Göran, der die Situation falsch deutet, rettet den vermeintlich Ertrinkenden. Wenig begeistert über das abrupte Ende des Tauchgangs, aber ganz im Einklang mit seiner Sehnsucht, kommentiert Tobias: »42 Sekunden, das ist ein neuer Rekord.« Um die unnötige Rettung irgendwie zu vervollständigen, fährt Göran den Jungen nach Hause und übergibt den Achtjährigen dessen ahnungsloser Mutter Tina. Liebe auf den ersten Blick: Die Alleinerziehende verdreht dem Retter sofort den Kopf. Wie praktisch, dass gerade ein Zimmer für einen Untermieter frei ist.

In dieser Szene der Begegnung ist – wie in einer Nussschale – die Handlung des schwedischen Kinderfilms Tsatsiki – Tintenfische und erste Küsse aufgehoben. Während Tobias, der wegen seiner griechischen Wurzeln von allen nur Tsatsiki genannt wird, vollkommen darauf fixiert ist, seinen leiblichen Vater kennenzulernen, entwickelt sich zwischen ihm, seiner Mutter und seinem »Retter« Göran eine familiäre Beziehung. In dieser Doppelhandlung liegt eine der großen Stärken des Films. Denn die Geschichte verläuft nicht gradlinig, sondern immer wieder unerwartet, schlängelt sich und wird damit realistischer und nachvollziehbarer.

Nach seinem Einzug entwickelt sich Göran Stück für Stück zu einem Ersatzvater, ohne dass Tobias das will oder auch nur bemerkt. Er betrachtet Göran als seinen erwachsenen Freund. Dennoch lernt der Junge von dem neuen Mitbewohner wie von einem richtigen Vater. Zusammen reparieren sie Görans Motorrad, Tobias übt Tanzen oder Polizei-Kampfsportgriffe. Gleichzeitig bringt der ordnungsliebende Polizist etwas Systematik in das chaotische Leben der Kleinfamilie. Tina, die sich normalerweise in schwierigen Situationen durchaus gut um ihren Sohn kümmert, ist zuweilen doch mit der alltäglichen Verantwortung als Erziehungsberechtigte überfordert. Das Haus wirkt wüst, im Kühlschrank liegen verdorbene Lebensmittel, gegessen wird Fast Food. Tina lebt mit dem für viele alleinerziehende Mütter typischen Konflikt, einerseits ihre eigenen beruflichen Ambitionen zu verwirklichen und gleichzeitig für ein minderjähriges Kind zu sorgen.

Göran zeigt Tsatsiki zum ersten Mal eine andere Art zu leben. Plötzlich steht ihm jemand zur Seite; bisher war er es gewohnt, seinen Alltag schlecht und recht selbst zu organisieren – vom Einkaufen bis hin zu Ordnunghalten im Haus.

Die Besonderheit dieses Films, der im Jahr 2000 auf der Berlinale als bester Kinderfilm ausgezeichnet wurde, sind seine unterschiedlichen Ebenen. Er präsentiert nicht zu Beginn ein Problem, das am Ende gelöst wird: Tobias’ doppelte Suche macht seinen Ausgang unberechenbar. Diese Suche, die übrigens erfolgreich endet, wird ausschließlich aus der Sicht des Kindes erzählt. Tobias treibt die Ereignisse auf eigene Faust voran und bemüht sich selbst, seinen Traum wahr werden zu lassen. Dadurch ist die Geschichte für Kinder nachzuvollziehen, sie können sich mit Tsatsiki, der von Samuel Haus absolut überzeugend gespielt wird, identifizieren, sie können ihn verstehen.

In dem Versuch, keinen eindimensionalen Kinderfilm zu machen, liegt aber auch eine Schwäche von Tsatsiki. An einigen Stellen wirkt der Film überfrachtet. So wird Tsatsikis Suche nach seinem Vater ergänzt durch die Geschichte des Schulhofschlägers Marten. Aus Angst davor, dass jemand etwas Schlechtes über seinen alkoholkranken Vater sagen könnte, verprügelt Marten schwächere Mitschüler. Der Versuch, eine Parallelität zu Tobias’ Situation zu konstruieren, wird nicht durchgehalten, sondern bleibt, im Gegensatz zur Haupthandlung des Films, verschwommen. Gleichzeitig deutet das Drehbuch bei Tsatsiki eine erste Liebesgeschichte mit seiner Mitschülerin Maria an. In diesen Szenen, insbesondere bei Marias Geburtstagsparty, wirkt Tobias wie ein Kinderwachsener. Probleme mit der ersten Liebe bei einem Achtjährigen sind nicht besonders glaubwürdig. Beide Handlungsstränge fügen der realistischen und liebevollen Erzählung nichts Wesentliches hinzu. Zudem verlängern sie den Film unnötig, der mit einer Länge von 91 Minuten ohnehin schon Durchhaltevermögen von Kindern verlangt.

Auch die Ausstattung stört an der einen oder anderen Stelle, denn sie wirkt wie aus der Zeit gefallen. Offenbar in dem Versuch, die Tristesse der familiären Situation darzustellen, zitiert die Einrichtung den Geschmack der siebziger Jahre – Tapeten mit großen Mustern, Schrankwände im »Gelsenkirchener Barock«. Gerade die hippe Tina wirkt wie willkürlich in diese Kulisse gesetzt.

Diese Kleinigkeiten mindern aber nicht die großen Stärken des Films. Das Thema, die Suche eines achtjährigen Jungen nach seinem Vater, ist angesichts zunehmend unübersichtlich werdender Familienverhältnisse aktueller denn je. Die Zielstrebigkeit und Eigenständigkeit, mit der Tsatsiki seinen Traum verfolgt, lässt Kinder mitfühlen. Das schwierige Thema, die Sehnsüchte und die Unwägbarkeiten in unvollständigen Familien, wird für Kinder verständlich – ohne dass Alleinerziehende verurteilt werden oder die Normalfamilie als Ideal stilisiert wird. Damit setzt der Film die lange Tradition der großen skandinavischen Kinderfilme fort. Wir empfehlen diesen Fim für Kinder ab 8 Jahren.

Die neue ZEIT Edition „Kinderfilme aus aller Welt“ umfasst zehn preisgekrönte Spielfilme, die zeigen, wie Kinder in verschiedenen Ländern leben, wovon sie träumen, wofür sie kämpfen. Für Mädchen und Jungen von 6 bis 12 Jahren. Alle Filmen zusammen kosten 89,95 Euro und können hier bestellt werden. Der Reinerlös geht an das Kinderhilfswerk terre des hommes.

1. Whale Rider
2. Tsatsiki – Tintenfisch und erste Küsse
3. Wintertochter
4. Ein Pferd für Winky
5. Die Stimme des Adlers
6. Billy Elliot – I will dance
7. Zaïna – Königin der Pferde
8. Soul Boy
9. Lippels Traum
10. Kinder des Himmels