Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Harry Potter und die E-Book-Welt

 

Bei Pottermore treffen sich alle Fans von Harry Potter aus der ganzen Welt

Wie J. K. Rowling mit ihrer Internetplattform Pottermore die Buchbranche durcheinanderwirbelt

Von Kilian Trottier

Bücher, das waren bislang diese gedruckten Papierwerke, die wir uns in der Buchhandlung kauften, die wir nachts mit der Taschenlampe unter der Bettdecke lasen und die für jedes Urlaubstaschen-Packen eine schwerwiegende Katastrophe darstellen konnten. Heute, im Netzzeitalter, können Bücher auch aus Bits und Bytes bestehen und sich auf Geräten wie dem iPad von Apple oder dem Kindle von Amazon lesen lassen.

Diese E-Books sind in den USA schon so erfolgreich, dass dort mit ihnen mehr Geld umgesetzt wird als mit Hardcovern. In Deutschland geht es zwar langsamer, da machen E-Books erst zwei Prozent des Marktes aus, aber überall verkehren sie die Hierarchien der Literaturlandschaft: Kamen die Autoren früher nicht an der Struktur vorbei, die Verlage, Drucker und Buchhandlungen aufgebaut hatten, wenn sie mit dem Bücherschreiben Geld verdienen wollten, können sie heute aus ihrem Manuskript ein E-Book machen, es ins Internet stellen und so jedem auf der Welt zugänglich machen.

Joanne K. Rowling hat ihre Harry Potter- Erfolge noch ganz im Papierbuchzeitalter gefeiert – zur Freude von Buchhandlungen und Verlagen. Mit ihren sieben Bänden hat die Engländerin einen Hype ausgelöst, der die Schlangen in den Buchhandlungen ins Endlose trieb und der ihr als erster Autorin der Welt mehr als eine Milliarde Dollar einbrachte. Der Zauberjunge aus Hogwarts machte sie reich – und füllte gleichzeitig die Kassen ihrer Verlage: Harry Potter und Bloomsbury, das gehörte in England seit 1997 genauso zusammen wie Harry Potter und der Scholastic-Verlag in den USA oder Harry Potter und der Carlsen-Verlag in Deutschland.

Doch nun ist Rowling dabei, ein Geschäftsmodell der Zukunft zu entwickeln: 1997 hatte in den Vertragsverhandlungen mit der damals unbekannten Frau offenbar noch niemand an E-Books gedacht, weshalb Rowling bis heute alle Rechte an der elektronischen Verwertung ihrer Bücher besitzt. Und weil die Engländerin eine tüchtige Geschäftsfrau ist und sie eines der cleversten Marketingteams der Buchwelt berät, hat sie ihre eigene Plattform namens Pottermore geschaffen, auf der sie ihre E-Books exklusiv und direkt an ihre Leser verkauft.

Als Rowling vor einem Jahr ihre Idee vorstellte, erschütterte das die Buchbranche: Die einen jubelten, das sei der Beginn einer neuen Ära, in der endlich die Autoren direkt mit ihren Lesern sprechen und sich aus der Knechtschaft der Verlage befreien können. Kritiker sagten: Ohne das Geld der Bestsellerautoren könnten die Verlage ihr breites Programm an Büchern nicht mehr stemmen – denn bislang haben sie mit den Stars Werke querfinanziert, die ihnen literarisch wichtig waren, sich aber nicht rechneten.

Rowling blieb bei ihrem Konzept. Seit April ist die Pottermore-Website für alle Besucher offen. Es ist eine Spielewelt für alle Potter-Fans: Sie können sich durch Harrys Welt klicken, Freunde hinzufügen, sie zu Zauberduellen herausfordern, neue kleine Exklusivbeiträge der Autorin lesen – und natürlich die E-Books und digitalen Hörbücher kaufen. Das Konzept geht auf: Schon in den ersten Tagen gaben Fans über 1,5 Millionen US-Dollar für die digitalen Bücher und Hörbücher aus.

Pottermore ist ein brillanter Schachzug, weil Rowling so E-Mail-Adressen von Millionen Fans bekommt, mit denen sie ihre Harry Potter- Gemeinschaft aufbauen kann – und sich so weitgehend unabhängig von allen Zwischenhändlern macht. Den Verlagen allerdings gefällt das wenig. »Wir hätten uns gewünscht, dass der Buchhandel die Möglichkeit hätte, an dem Geschäft mit E-Books beteiligt zu sein«, sagt Renate Herre, Verlegerin des Carlsen-Verlags. »Doch J. K. Rowling sucht auf Pottermore den direkten Kontakt zu den Harry Potter-Lesern – und die Inszenierung, die als Umfeld dort auf die Beine gestellt wurde, ist schon sehr eindrucksvoll.«

Und ganz ohne Verlage geht selbst eine J. K. Rowling nicht in die Zukunft. Am 27. September erscheint The Casual Vacancy, auf Deutsch „Ein plötzlicher Todesfall“, ihr erster Roman für Erwachsene. Und statt mit gar keinem arbeitet Rowling hier gleich mit zwei deutschen Verlagen zusammen: Das Hardcover erscheint beim Carlsen-Verlag. Die Taschenbuchausgabe soll zu einem späteren Zeitpunkt von Ullstein publiziert werden. Praktisch für die Autorin, weil so gleich zwei Häuser an der Vermarktung des Buchs und für hohe Verkaufszahlen arbeiten.

Also Ende gut, alles gut? Für Rowling bestimmt. In der Buchbranche allerdings wünschen sich einige, dass Harry Potter sie wieder in die alten Zeiten zurückzaubert, in der Verlage die Machtzentrale waren und Amazon und E-Books noch nicht die Buchhandlungen bedrohten.