Wölfe leben im Rudel und helfen sich gegenseitig, zum Beispiel bei der Jagd. Von uns Menschen halten sich die Tiere aber lieber fern
Dass Wölfe Großmütter verschlingen, ist extrem unwahrscheinlich. Menschen greifen sie nur an, wenn sie sich in die Enge getrieben fühlen und Angst haben. Dass Wölfe mit Menschen Freundschaft schließen, wie die Wolfsmutter in dem Film mit Misa oder das Wolfsrudel in Rudyard Kiplings Dschungelbuch mit dem Waisenkind Mogli, ist aber auch nicht üblich. Wölfe sind scheu und brauchen lange, um sich an die Gegenwart von Menschen zu gewöhnen – Forscher, die sie beobachten wollen, dulden sie irgendwann in der Nähe des Rudels, aber begeistert sind die Tiere von ihnen nicht. In diesem Punkt ist der Film über die Freundschaft zwischen Misa und ihrer Wölfin ein wenig märchenhaft.
Dass die Wolfsmutter mit ihren zwei Welpen allein im Wald lebt, ist auch eher ungewöhnlich, kann aber vorkommen. Normalerweise hausen Wölfe in Rudeln zusammen, weil sie sich bei der Jagd auf großes Wild (zum Beispiel auf Elche oder Hirsche) gegenseitig helfen müssen. Außerdem mögen sie die Gesellschaft der anderen Tiere und verbringen viel Zeit damit, sich anzustupsen und einander die Schnauzen abzulecken – so zeigen sie ihren Mitwölfen, dass sie sie gern haben. Mehrmals täglich stimmt das Rudel auch ein gemeinsames Geheul an, das so viel bedeutet wie „Wir gehören zusammen!“ oder „Hier wohnen wir!“. Es gibt inzwischen Wolf-Forschungszentren, zum Beispiel in Minnesota in den USA, wo auch Menschen lernen können, wie Wölfe zu heulen. Leider antworten die Wölfe nicht immer, aber den Teilnehmern, die von solchen Kursen berichten, scheint das Geheul trotzdem großen Spaß zu machen.
Schafe reißen die Wölfe tatsächlich, und weil die sich weder wehren noch davonlaufen, werden oft viel mehr Tiere getötet, als das Rudel zum Fressen braucht. Der Ärger der Bauern in „Misa Mi – Freundin der Wölfe“ ist also durchaus verständlich, denn die Wölfin stellt eine echte Bedrohung für ihre Schafherden dar. Das Tier zu erschießen ist allerdings nicht die einzig mögliche Lösung – man könnte auch die Schafweiden mit starken Elektrozäunen sichern und besondere „Herdenschutzhunde“ einsetzen, die die Schafe bewachen.
Aber den lappländischen Bauern wäre das vermutlich zu aufwendig und zu teuer.
Jäger sind immer recht unduldsam gegen Wölfe, weil sie finden, dass sie selbst, also die Menschen, Rehe, Hirsche und Hasen jagen sollten – und nicht irgendein tierischer Räuber. Naturschützer stehen häufig eher auf der Seite der Wölfe, weil diese eine bedeutsame Funktion für die Umwelt haben können: Sie lauern auf ihre Beute gern in dicht und niedrig bewachsenen Tälern. Beutetiere wie die Rehe fangen deshalb an, solche unübersichtlichen Täler zu meiden. Das hat die gute Folge, dass die Rehe die jungen Bäumchen auf diesen Flächen nicht länger abknabbern. Und so sprießen dort Bäume empor, die sonst keine Chance gehabt hätten, zu wachsen; im günstigen Fall kehren Biber in die neu entstandenen Waldgebiete zurück, bauen ihre Dämme, stauen Wasser auf – und in den so entstandenen Tümpeln breiten sich Fische und Wasserpflanzen aus. „Wo der Wolf heult, ist der Wald gesund“, lautet ein russisches Sprichwort.
Auch in Deutschland gibt es seit einigen Jahren wieder Wölfe. Zwischen 30 und 40 Tiere leben heute in der sächsischen Lausitz. Menschen haben sie bisher nicht angegriffen, aber ihre Freundschaft haben sie auch nicht gerade gesucht: Eine Biologin, die die Wölfe im Auftrag der sächsischen Landesregierung beobachten sollte, musste eineinhalb Jahre warten, bis sie das erste Tier auch nur zu Gesicht bekam.
Susanne Gaschke