Kamituga, 20.7.2006
„Instandsetzung des Krankenhauses von Kamituga“ steht als Priorität in Jean Claude Kibalas Wahlprogramm. Also habe ich mir heute das Krankenhaus angesehen. „Fragen Sie nach den fünfzehn Müttern, die sie dort eingesperrt haben“, hatte Maman Leonie gesagt. Maman Leonie hat in Kamituga die erste Frauenberatungsstelle eröffnet: „Regroupement des Mamans de Kamituga“, kurz REMAK, einen winzigen Laden in der Hauptgeschäftsstraße von Kamituga, eingekeilt zwischen Abwasserkanälen, den verrußten Schuppen der Holzkohlehändlerinnen und den Brettertheken der Goldankäufer. Maman Leonie organisiert zusammen mit den anderen Mamans Saatgut und Verhütungsmittel verteilen, schlichtet bei Familienstreitigkeiten, stellt prügelnde Ehemänner zur Rede, betreut „femmes violees“, vergewaltigte Frauen und streitet sich mit Doktor Amisi, dem Krankenhausdirektor, um besagte fünfzehn junge Mütter, die angeblich mitsamt ihren Babys seit Wochen im „Hopital General“ eingesperrt sind, weil sie die 80 Dollar für ihre Kaiserschnittentbindung nicht bezahlen können. 80 Dollar für einen Kaiserschnitt ist für europäische Verhältnisse lächerlich wenig, für eine Kongolesin sind es drei bis vier Monatseinkommen, für eine Frau aus den Slums in Kamituga ist eine schier unvorstellbare Summe.
Zahlungsunfähige Patienten festzuhalten, bis ihre Verwandten sie mit Geld oder Naturalien auslösen, ist in kongolesischen Krankenhäusern durchaus üblich, aber im Fall junger Mütter doch etwas hartleibig. Radio Okapi, das landesweite UN-Radio, hat schon über die Angelegenheit berichtet.
Das Krankenhaus besteht aus einer Ansammlung von Backsteinhäusern, erbaut irgendwann Anfang der 50er Jahre von den belgischen Kolonialherren, die hier schamlos die Erz- und Goldvorkommen ausbeuteten, den schwarzen Arbeitern aber auch ein gewisses Maß an sozialer Versorgung boten. Der Pförtner öffnet das Holztor und warnt vor den knöcheltiefen Löchern auf dem Hof. Es hat zu regnen begonnen, alle Wege in Kamituga verwandeln sich in Sekundenschnelle in rote, glitschige Schlammbahnen. Patienten in verwaschenen Kitteln tasten sich zurück auf ihre Station – so vorsichtig, als liefen sie ihm Dunkeln.
Doktor Amisi, der kugelrunde Chef, ist zunächst nicht erbaut über meinen unangemeldeten und zweifellos dreisten Besuch. Ich sage kein Wort von den fünfzehn Frauen, bitte ihn nur, mir sein Krankenhaus zu zeigen. Er tuschelt mit seinem Verwaltungschef, wägt ab, ob ich eher eine Bedrohung oder Chance darstelle. Seit Jahren hat sich kein Bleichgesicht hier mehr blicken lassen, keine internationale Hilfsorganisation ist in Kamituga präsent, einer Stadt mit immerhin 120.000 Einwohnern. „Kommen Sie“, sagt der Doktor. „Ich zeige Ihnen, wie es hier aussieht.“
Erster Stop: Vorbei an den eingeschlagenen Fenstern der Röntgenabteilung, wo schon seit Jahren kein Apparat mehr funktioniert, vorbei an der Apotheke, die aussieht wie nach einem Räumungsverkauf, zur Entbindungsstation. Eine Reihe Holzbetten mit blauen Moskitonetzen und durchgelegenen, fleckigen Matratzen. Darin liegen 35 Frauen mit ihren Neugeborenen, es ist feucht, die Decke des Saals schimmelt. Im Nebenraum glüht ein rostiges Drahtgeflecht und verbreitet stickige Wärme. Hier liegen in den Armen ihrer Mütter die Frühgeburten. Überlebenschance? Maman Furaha, die Hebamme, zuckt müde mit den Schultern. Sie bräuchte ein Thermostat für den Heizlüfter, außerdem einen neuen gynäkologischen Stuhl anstelle des rostigen Eisenmonsters im Entbindungssaal. Sie hat keine Medikamente, keine Transfusionen, und ihr Gehalt von 20 Dollar kommt auch nur alle paar Monate. Ultraschallgerät? Maman Furaha sieht mich an, als wäre ich nicht mehr ganz bei Sinnen.
Nächster Stopp: die Interne. Das gleiche Bild, nur kommt der Tod hier auf andere Weise. An der Wand kauert Majosi Musiko, eine magere Frau mit schiefem Gesicht. „Taxoplasmose cerebrale“, diktiert Dr. Amisi auf französisch, „mit teilweiser Lähmung des Gesichts. Den Rest erkläre ich Ihnen draussen.“ Auf ihrem Bett liegt eine Tüte mit Foufou, dem gummiartigen Maniokbrei und Hauptnahrungsmittel im Kongo. Ihre Kinder haben es vorbeigebracht. Das Krankenhaus bietet kein Essen, die Patienten müssen sich von ihren Familien versorgen lassen. „Auto-financement“, nennt man das. „Selbstfinanzierung.“ „Die Patientin hat AIDS“, sagt Amisi später, aber „wenn ich ihr das jetzt sage, bricht sie in Panik aus.“ Die Frage nach AIDS-Medikamenten erübrigt sich. Es gibt keine.
„Und jetzt zeige ich Ihnen noch den OP.“ Amisi ist jetzt in seinem Element, teilt mir Kopfhaube und Mundschutz aus, schiebt mich durch die Tür mitten hinein in eine Kaiserschnittoperation. Doktor Bernard Bulambo verbindet gerade den Schnitt der Patientin, die stöhnend auf einem OP-Tisch liegt, die Arme mit bräunlichen Mullbinden fixiert. Die Narkose wird hier knapp bemessen. Man muss sparen. Der Tisch ist ein eisernes Ungetüm aus den fünfziger Jahren – eines der wenigen Ausrüstungsteile, die im Krieg nicht geplündert worden sind.
„Dritter Kaiserschnitt, dritte Fehlgeburt“, murmelt der Chirurg in seinen Mundschutz. Seine Patientinnen sind oft erst fünfzehn oder sechzehn, jung und zu klein für eine normale Entbindung. Wieviele durch eine Vergewaltigung schwanger geworden sind, weiß er nicht. Jedenfalls hat das Krankenhaus allein im letzten Jahr 500 Vergewaltigungsopfer behandelt. Vergewaltigung war Kriegsstrategie aller Kampfparteien, jetzt findet man die Täter meist in der Baracke der kongolesischen Armee, die zum Schutz der Bevölkerung in Kamituga stationiert ist.
Zum Schluß also doch noch die heikle Frage: „Man sagt, Sie würden Patientinnen hier festhalten, die ihre Rechnung nicht bezahlen können.“ „Aber nicht doch“, antworten Amisi und der Verwaltungschef im Chor. „Das war eine Falschmeldung. Diese Frauen sind längst nicht mehr hier.“
„Lüge“, sagen später die Frauen im REMAK-Büro. „Sie haben sie versteckt.“