Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Alles kann passieren

 

Sorry, die letzten paar Tage herrschte Sendepause. Mein Satellitentelefon hat den Dienst verweigert, Außerdem sitze ich seit zwei Tagen auf den verranzten Flughäfen dieses Landes herum und versuche, aus dem Osten des Landes in die Hauptstadt Kinshasa zu kommen. Gestern Nachmittag hätte es fast geklappt. Doch kurz vor der Landung dreht die Maschine der UN wieder ab und kehrt nach Kisangani zurück. „Flughafen in Kinshasa gesperrt“, lautet die dürre Auskunft des Piloten.
In der Wartehalle von Kisangani schwirren die Gerüchte. In Kinshasa gebe es Schießereien, ein Munitionsdepot sei explodiert, man erwäge die Evakuierung, wir sollten am besten gleich nach Uganda ausfliegen. Wir bleiben in Kisangani, finden ein akzeptables Hotel – sieht man einmal davon ab, dass mein Bett bei der ersten Berührung zusammenbricht, und die Ratten in der Hotelbar an eine Hundeleine gehören. Eine Stunde später meldet sich per Handy Monsieur Vicky, mein bewährter Taxifahrer aus Kinshasa. „Madame, hier ist die Lage wieder ruhig.“ Also alles halb so wild – und doch nicht ungefährlich. Eine Massenkundgebung des Präsidentschaftskandidaten Jean-Pierre Bemba war eskaliert, was womöglich durchaus in dessen Interesse lag. Unter anderem wurde das Gebäude der Unabhängigen Medienkommission angegriffen. Ein Nachtklub ging in Flammen auf – aber erst, nachdem die Biervorräte geplündert waren.
Bemba hat als ehemaliger Warlord in der Übergangsregierung eines der vier Vizepräsidentenämter ergattert. Seinen Milizen werden schlimmste Gräueltaten in Kriegszeiten vorgeworfen. Mehr noch als andere Ex-Kriegsherren gehört er auf die Anklagebank des Internationalen Strafgerichtshofs, nicht auf eine Kandidatenliste. Genau davor hat er womöglich auch Angst, sollte er nach diesen Wahlen ohne Amt und Würden dastehen. Die gestrige Demonstration war offensichtlich auch eine Warnung: ‚Seht her, was passieren kann, wenn meine Anhänger frustriert sind…’
Und hier, per Handy eingeholt, die letzten Neuigkeiten aus Kamituga: Ein sehnlicher Wunsch der Menschen in Kamituga hat sich vorgestern erfüllt. Endlich sind Blauhelm-Truppen in Kamituga eingetroffen. Eine Einheit der pakistanischen Armee soll am Sonntag rund um Kamituga Überfälle von Hutu-Milizen auf Wähler und Wahlbüros verhindern.
Jean-Claude Kibala hat inzwischen auch die Goldgräberstädte im Süden seines Wahlkreises per Motorrad abgeklappert und spürt vor Müdigkeit kaum mehr seine Knochen. Seine Konkurrenten nehmen ihn jetzt offenbar so ernst, dass sie eine Kampagne gegen ihn gestartet haben. Kibala sei kein echter Kongolese, er sei von Deutschland gesteuert, er werde die Interessen der Kongolesen verraten. Bis heute um 24 Uhr darf noch Wahlkampf geführt werden. Kibala wird noch einmal in die Stadt gehen, Hände schütteln, Gerüchte dementieren, Wahlkampf-T-Shirts verteilten. Er hat jetzt immer zwei Soldaten mit Kalaschnikows an seiner Seite. Reine Vorsichtsmaßnahme.
Am Montag wird er sich auf den Weg nach Troisdorf machen. Erstens hat er seit über einem Monat seine Familie nicht mehr gesehen, zweitens erscheint es ihm sicherer, die Bekanntgabe des Ergebnisses im Kongo abzuwarten. Niemand weiß, wie lange das dauern wird. Und niemand weiß, was in der Zwischenzeit alles passieren kann.