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Schüsse auf den Kandidaten

 

Freitagabend habe ich es endlich mit einem Flugzeug der UN von Kisangani nach Kinshasa geschafft. Nach den Unruhen vom Vortag mit mindestens vier Toten ist die Stadt ruhig – soll heißen: es herrscht das totale Verkehrschaos auf dem Boulevard Lumumba, links und rechts der Strasse in den Slums flackern die Öllampen der Händler, in der Luft hängen die Rauchschwaden offener Feuerstellen, aus den Sammeltaxis baumeln die Arme und Beine der zusammengepferchten Passagiere, kleine Pulks von Kabila-Anhängern feiern jetzt schon, was sie für den sicheren, grandiosen Sieg ihres Kandidaten halten. Hütten, Laternenpfahle, Zäune; Brücken sind gepflastert mit Wahlplakaten der Kandidaten. In der Dunkelheit erscheint der Irrsinn dieser Megastadt irgendwie unwirklich. Ich sitze im Bus im Stau, mein Handy klingelt, Jean Claude Kibala ist dran: „Jemand hat auf mich geschossen. Ich stehe vor dem Camp der UN-Soldaten in Kamituga, aber die sagen, sie sind fuer den Schutz von Kandidaten nicht zuständig.“

„Wie bitte? Was ist passiert?“

Vor drei Tagen hatten die Wahlkampfhelfer seines Konkurrenten Paul Musafiri, ehemals ein kleiner Rebellenkommandant, dann Minister und jetzt Parlamentskandidat des „Mouvement de la libération du Congo“ (MLC) begonnen, Kibala als „Blanc“, als „falschen Kongolesen“ und „Marionette Deutschlands“ zu bezeichnen. Das MLC ist die von einer Plünderarmee zur Partei mutierte Truppe des ehemaligen Warlords Jean-Pierre Bemba, der in diesem Wahlkampf immer wieder xenophobische und rassistische Töne angeschlagen hat. Er habe die Gerüchteküche seines Gegners etwas auslüften wollen, sagt Kibala, und habe gestern Nachmittag noch einmal ein paar hundert Menschen auf dem Platz vor der Stadtverwaltung versammelt. Er habe gerade zu einer Rede ansetzen wollen, da habe jemand das Feuer eröffnet. Vier Schüsse, niemand verletzt, aber die Menge sei in Panik auseinander gestoben. Und jetzt stehe er hier vor dem Camp der Blauhelme, die gerade erst zum Schutz der Wahlen nach Kamituga entsandt worden sind, und der Befehlshabende Offizier habe bedauernd erklärt, dass für solche Vorfalle die kongolesische Polizei zuständig sei. Die aber habe ihm am Telefon erklärt, dass sie derzeit keine Streife frei habe, um ihn sicher nach Hause zu geleiten.

Es ist im Osten des Landes bald Mitternacht. Ich küsse vor meinem geistigen Auge den Erfinder des Handys und klingele jemanden vom regionalen Hauptquartier der MONUC, der UN-Mission im Kongo, in Bukavu aus dem Bett. Der erstattet dem General der dort stationierten Blauhelm-Brigade Bericht. Der wiederum lässt halbe Stunde später ausrichten, der Schutz politischer Kandidaten sei wirklich nicht Aufgabe der MONUC, er sei aber über das Verhalten der Polizei in Kamituga empört.

„Das ist schön“, sage ich, 2000 Kilometer entfernt zwischen stinkenden Sammeltaxis eingekeilt und innerlich fluchend, „aber Herr Kibala braucht jetzt gleich Hilfe.“ Inzwischen hat auch das Blauhelm-Camp in Kamituga Bericht im Hauptquartier erstattet und macht sich offenbar ernsthaft Sorgen um den Mann, der da sichtbar geschockt vor ihrem Tor steht. Zwanzig Minuten vergehen, das Telefon bleibt still. Kibala ist plötzlich nicht mehr zu erreichen. Dann ruft er endlich wieder an. Ein kongolesischer Soldat ist zu seiner Bewachung aufgetaucht, außerdem ein Freund samt Motorrad, der ihn über Schleichwege abseits des Stadtzentrums nach Hause gebracht hat. Dort hätten sie jetzt Türen und Fenster verrammelt. „Ich gehe jetzt schlafen“, sagt er, und klingt wie jemand, der heute Nacht kein Auge zutun wird.

Heute Morgen habe ich ihn wieder angerufen. In der Nacht ist alles ruhig geblieben in Kamituga. In Kinshasa äußern sich Vertreter der MONUC überrascht, dass es im Vorfeld der Wahlen so wenig Gewalt gegeben habe. Das stimmt – für kongolesische Verhältnisse ist es bislang erstaunlich friedlich zugegangen. Bloß tröstet das den Kandidaten Kibala nicht. Er wird trotz allem noch zwei Tage in Kamituga bleiben. Er muss. Das nächste Flugzeug aus Bukavu landet erst wieder am Montag.