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Bemba, Kabila und Jesus

 

Es ist nicht klar, wie viele Parlamente es in Kinshasa gibt. Da ist natürlich das offizielle Parlamant, in dem, wenn alles gut geht, demnächst 500 gewählte Abgeordnete Platz nehmen werden. Aber noch wird gezählt und gerechnet und bis dahin tagen umso lauter die „parlements debouts“, die „Parlamente ohne Sitze“. Das sind Debattier- und Streitclubs unter freiem Himmel, wo die Kinois zwischen Schlammpfützen und kokelnden Abfallhaufen in dichten Menschentrauben die neusten politischen Ereignisse diskutieren. Wie zum Beispiel im Stadtteil Matonge am Place de la Victoire, gleich neben einer schrottreifen Tankstelle.
Genauer gesagt: die Männer diskutieren. Sie beschwören mit theatralischen Gesten und anschwellenden Halsadern abwechselnd Untergang und Auferstehung ihres Landes, beschimpfen mal den kongolesischen Präsidenten, mal die Vereinten Nationen, mal die Stadtverwaltung, weil diese weder etwas gegen den Straßenmüll unternehme noch gegen die nigerianischen Immigranten, die in Matonge den Handel mit Autoreifen monopolisiert haben. „Wir sind die Stimme des Volkes“ sagen die „Parlamentarier ohne Sitze“.
„Wo sind dann die Frauen“, möchte ich wissen und ernte verblüffte Blicke. Welch dumme Frage. Wo sollen sie schon sein:
„Auf dem Markt, Maniok verkaufen.“
„Daheim mit den Kindern. Sie näht für die Nachbarn.“
„Auf dem Feld, Essen organisieren“ (Es gibt auf dem Brachland der Stadt kommunale Gärten, in denen Obst und Gemüse angebaut wird)
„Ihre Frauen verdienen also Geld und Sie reden den ganzen Tag über Politik?“
Jetzt werden die Blicke empört. „Aber Madame, es gibt doch keine Arbeit in dieser Stadt…“ Und schon sind sie mitten in der nächsten Tirade gegen die korrupte Regierung, die satten, faulen internationalen Helfer, den unfähigen Bürgermeister.
Das „parlement debout“ in Matonge am Place de la Victoire ist fest in der Hand von Anhängern des Präsidentschaftskandidaten Jean-Pierre Bemba. Sympathisanten von Etienne Tshisekedi, dem ewigen Oppositionellen der kongolesischen Politik, sind ebenfalls willkommen. Anhänger des amtierenden Präsidenten Kabila sollten sich besser nicht blicken lassen. Was ausländische Journalisten betrifft, so schätzt die „Stimme des Volkes“ in Matonge weder Belgier noch Franzosen, deren Regierungen als Kabila-freundlich verschrieen sind. Die Auskunft, aus Deutschland zu kommen, wirkt hingegen deeskalierend. „Kein Problem, Madame, wir haben ja nichts gegen Weiße. Aber Sie müssen folgendes schreiben: Wir wissen längst, dass Bemba gesiegt hat“, sagt ihr Wortführer und reicht mir einen Zettel mit den handgeschriebenen Ergebnissen aus den Wahllokalen von Matonge, in denen Bemba angeblich mit zwei Dritteln aller Stimmen gewonnen hat. Nur besteht der Kongo eben nicht nur aus Matonge. „Und wenn Kabila die Wahl stiehlt und Europa ihm dabei hilft, dann erobern wir die Straße, dann gibt es wieder Gewalt. Und Europa ist dann schuld. Das müssen Sie schreiben, Madame. Und dann dürfen Sie es zuhause nicht wegwerfen, sondern müssen es auch veröffentlichen.“ Was hiermit geschehen ist.
Im Kongo hat sich nun wirklich keiner der aussichtsreichen Präsidentschaftskandidaten als Lichtgestalt präsentiert. Entweder haben sie als ehemalige Kriegsherren Blut an den Händen, oder als Teil des „Großgemüses“, wie die Kinois die Elite des Landes nennen, die Arme bis zu den Ellbogen in der Staatskasse. Oder auch beides.
Jean-Pierre Bemba, Sohn eines Mobutu-Ministers, Vize-Präsident der Übergangsregierung und ehemaliger Kriegsherr, dessen Truppen alle möglichen Verbrechen bis hin zu Kannibalismus vorgeworfen werden, wirft aber besonders finstere Schatten, weshalb mich seine Popularität in Kinshasa wundert. Also wage ich in der Menge verschwitzter Möchtegern-Politiker einen zaghaften Einwand:
„Man sagt, Bembas Kämpfer hätten während des Krieges besonders schlimme Verbrechen begangen…“
„Krieg ist Krieg,“ antwortet „die Stimme des Volkes“. „Da muss man Härte zeigen. Alle anderen waren genauso schlimm.“
Also ein zweiter Versuch:
„Manche sagen auch, Bemba habe sich in der Übergangzeit bereichert und das Volk bestohlen…“
Jetzt reagiert die „Stimme des Volkes“ eher nachsichtig als aggressiv: „Madame, da hat man Sie belogen. Bemba ist für die kleinen Leute. Er arbeitet hart, er ist ein echter Kongolese, ein richtiger Kerl….“ Von allen Seiten prasseln jetzt die Vorzüge dieses Mannes auf mich ein, die ganz offenbar viel mit seiner Körpergröße, seinem massigen Körper und seinem Jähzorn zu tun haben. In den Augen der „Parlamentarier“ von Matonge ist Bemba ein „echter Kerl“ und Führer – im Gegensatz zu dem kleineren, ewig schläfrig dreinblickenden Kabila, der hier als tumber Handlanger ausländischer Mächte verachtet wird.
„Sehen Sie Madame, das ist unser Zeichen,“ sagt einer und deutet auf das Wahlkampf-T-Shirt seines Nachbarn. „Mit Gott werden wir siegen“, heisst es da über einer schwarzen Ameise. „Ameisen können Armeen bilden. Sie können Gigantisches leisten…“ Mir reicht diese Kostprobe des kongolesischen Freiluft-Parlamentarismus. Ich bedanke mich für das Gespräch. Die „Parlamentarier ohne Sitze“ bahnen mir mit formvollendeter Höflichkeit einen Weg durch Schlamm und Müll. Hinter mir schwillt sofort wieder das dramatisches Geschrei der Redner an – jetzt nicht mehr auf Französisch, sondern auf Lingala. Ich kann nur drei Worte heraushören: „Bemba“, „Kabila“ und „Jesus“.