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Im Gefängnis von Kinshasa

 

Noch einen Tag bis zur Stichwahl um das Präsidentenamt. Kinshasa herrscht angespannte Ruhe – bis auf weiteres. Kleinere Trupps von Anhängern der beiden Kontrahenten, Joseph Kabila und Jean-Pierre Bemba, ziehen in Autokonvois johlend durch die Strassen, beschimpfen sich, beschmeissen sich mit Strassendreck. Kein schöner Anblick, aber immer noch besser als die Feuergefechte, die sich Kabilas und Bembas Privatarmeen Ende August nach dem ersten Wahlgang lieferten.
Schüsse werden dafür aus dem Gefängnis Makala gemeldet, der grössten Strafvollzugsanstalt des Kongo. Anfang der Woche waren 14 Häftlinge ausgebrochen – angeblich allesamt Komplizen des Mörders von Laurent Kabila, dem Vater und Amtsvorgänger des jetzigen Präsidenten. Daraufhin verhängte die Gefängnisleitung eine Besuchersperre, was für die Insassen verheerend ist. Hinter Gittern zu verhungern, ist im Kongo eine häufige Todesursache. Viele Häftlinge ernähren sich von den Lebensmitteln, die ihre Familien hereinbringen. Am Donnerstag war es dann laut kongolesischer Presse zum Aufstand gekommen, den die Polizei niedergeschlagen habe. Vier Tote, melden die Agenturen. Wir, meine Kollegin Judith Reker und ich, machen einen Ausflug nach Makala.
„Centre Penitentaire et de Reeducation de Kinshasa“ steht in fetten Buchstaben an der schmutzig weissen Betonmauer. Dahinter ragen die Dächer der elf Zellenblocks empor. Makala war ursprünglich für 1500 Insassen gebaut worden, und schon damals hat sich die Grösse der Zellen nicht an den Kriterien eines humanen Strafvollzugs orientiert. Derzeit sitzen 3700 Gefangene ein. 3700 hungrige Gefangene.
Immerhin, das Besuchsverbot ist aufgehoben. Polizisten mit abgegriffenen Kalaschnikows über der Schulter halten hunderte von Frauen in Schach, die in der schwülen Hitze seit Stunden mit Tüten in der Hand und überquellenden Schüsseln auf dem Kopf darauf warten, zu ihren Männern, Brüdern oder Vätern gelassen zu werden. Ihre Gesichter sind regungslos. Nur nicht auffallen, keine Gefühlsregung zeigen, die die Aufmerksamkeit der Polizisten provozieren könnte. Ab zwölf Uhr wird das Tor geöffnet, und sie dürfen im Gänsemarsch passieren. Es ist eine Prozession stoischer Machtlosigkeit. Immer wieder, als gelte es die Langeweile zu durchbrechen, ziehen die Polizisten Frauen aus der Reihe, verwehren ihnen für heute den Zutritt.
Wir hingegen werden erstaunlich freundlich begrüsst. Ohne Kameras, nur mit Blocks und Kugelschreibern wirken wir offenbar harmlos. Ein kongolesischer Kollege, Reporter bei einem Privatradio, ist inzwischen mit von der Partie. Er hat die Handy-Nummer des Gefängnisdirektors. Nach drei Stunden Warten, telefonieren und wieder Warten, stehen wir plötzlich in seinem Büro. Für kongolesische Verhältnisse, in denen kein amtlicher Termin ohne tagelanges Verhandeln, Genehmigungen in vierfacher Kopie und Entrichten von „Gebühren“ zustandekommt, ist das ein Wunder.
Direktor Kitungwa Dido hat offenbar Gründe, unangemeldete Medienvertreter in seine „Anstalt für Strafvollzug und Umerziehung“ hineinzulassen. Mit donnernder Stimme diktiert er uns, das obligatorische Hochglanzporträt des schläfrigen Joseph Kabila im Rücken, ein Dementi. „Hier gab es keinen Gefangenenaufstand, sondern ein paar Mörder und Vergewaltiger haben zwei Mauern durchbrochen. Niemand wurde getötet, sondern acht Leute verletzt. Unsere Polizei die Ordnung wiederhergestellt, aber auf niemanden geschossen. Und außerdem leidet hier niemand Hunger. Die Gefangenen werden gut versorgt. Aber die Medien schreiben ja heute was, sie wollen!“
Wir notieren eifrig, was ihn sichtlich besänftigt.Das Büro ist der einzige klimatisierte Raum. Der Direktor spielt mit der Fernbedienung seines Fernsehers, gerade läuft ein Fußballspiel. Er schimpft weiter auf die Presse. „Könnten wir uns vielleicht mit eigenen Augen ein Bild machen?“ flötet Francis, unser kongolesischer Kollege. ‚Jetzt ist Feierabend’, denke ich, ‚jetzt schmeisst er uns raus.’
Zehn Minuten später stehen wir in Begleitung eines Polizisten und eines Häftlings, der das Vertrauen des Direktors geniesst, vor dem ersten Zellenblock. Hinein dürfen wir nicht, auch keine Gespräche mit anderen Insassen führen.“Werdet nützlich für die Gesellschaft“ steht auf Französisch über dem Eingang.Um die Lüftungsspalten des Zellenblocks sprießt schwarzer Schimmel.
Unsere beiden Begleiter zeigen uns voller Stolz die Gefängnisküche – eine offene Feuerstelle mit verrußten, fettigen Kesseln voll Reisbrei, der aussieht, als würde er nicht zum ersten Mal gegessen. Einige Insassen schöpfen ihre Tagesration in einem Plastikbecher ab und suchen sich dann einen Platz möglichst weit weg von den knietiefen Abwasserrinnen.
„Und jetzt die kaputte Mauer, Madame“, sagt unser Bewacher, als handele es sich um eine Sehenswürdigkeit. Was irgendwie zutrifft, denn das erste Loch ist enorm, fast mannshoch. Acht oder zehn Mann haben offenbar einen der Eisenträger gestemmt, die seit Jahren zwischen den Gemüsebeeten rosten, und ihn gegen die Ziegelwand gerammt. Damit war der Durchgang zum Hof des zweiten Zellentrakt frei, wo sie scharf nach links abdrehten und ein kleiners Loch in die Seitenmauer schlugen. Weiter kamen sie offenbar nicht in ihrem bizarren Ausbruchsversuch. Wir klettern über die Ziegeltrümmer und leere Tränengaskanister. Links sieht man Einschusslöcher in der Mauer. „Na ja, vielleicht gab’s ein paar Warnschüsse “, sagt unser Bewacher.
Womöglich versuchten hier Mörder und Vergewaltiger zu fliehen, womöglich waren es auch Untersuchungshäftlinge, die seit Jahren einsitzen, ohne dass sie je einen Richter oder eine Anklageschrift gesehen hätten.
„Haben Sie sich jetzt mit eigenen Augen überzeugen können?“ fragt Direktor Kitungwa zum Abschied. „Dies ist eine ordentliche Haftanstalt. Unser Problem ist nur die Überbelegung.“ Wir nicken.
Auf dem Weg zurück in die Stadt kommen uns wieder kleine Gruppen von Demonstranten entgegen. Ein Trupp grölender Kinder schwingt Poster von Jean-Pierre Bemba, der gern die Ärmsten der Armen, obdachlose Frauen und Strassenkinder, gegen ein paar kongolesische Franc für sich marschieren lässt. Die Polizei macht in der Regel kurzen Prozess: Knüppel raus und ab nach Makala. Dort bleiben sie dann. Bis irgendjemand laut genug protestiert, was selten vorkommt. Oder bis jemand sie freikauft. Was auch selten passiert. In Anbetracht der angespannten Lage, könnte es in Makala in den nächsten Tagen noch sehr viel voller werden.