Monsieur Vicky, mein Taxifahrer, hatte mich gestern zu sich nach Hause eingeladen. Seine beiden Töchter, sagte er, wollten endlich mal eine Weisse sehen.
Monsieur Vicky, der mit vollem Namen Vicky Miondo-Kamalandwa heisst, wohnt in Bumbu, was in Kinshasa nicht das schlechteste Viertel ist. Die Nachbarschaft könnte man als kongolesische untere Mittelschicht beschreiben. Hier wohnen Taxifahrer, Schneiderinnen, Schrotthändler, Friseusinnen und Gefängniswärter in gemauerten, verrußten Zwei-Zimmer-Quadern mit Wellblechdächern, 15 bis 20 Quadratmeter gross, ohne Küche und fließend Wasser, aber manchmal mit Strom, was die Anschaffung eines Fernsehers lohnt.
Mit einer braunen Couchgarnitur, einem Küchenregal, einem kitschigen Wandkalender, einem großen Hochzeitfoto und einer Bibel ist Monsieur Vickys Wohnung auch schon voll. Sowohl die Couch als auch der Fernseher haben die Regenflut vom Sonntag überstanden. Dieses Mal ist auch keine schlammige Kloake durch die Tür gekrochen. Nur die Trampelpfade im Viertel haben sich in schwimmende Müllhalden verwandelt.
Monsieur Vicky und seine Frau, die Schneiderin ist, haben ihr Erspartes in verschiedenen Kistchen und Fotoalben versteckt. Jeder Einbruch würde sie und ihren Traum um Jahre zurückwerfen: Monsieur Vicky möchte irgendwann mit 1000 Dollar in der Tasche zum Grosshafen nach Matadi fahren und sich ein gebrauchtes Auto kaufen. Dann wäre er nicht mehr Taxifahrer für seinen Boss, sondern Taxiunternehmer und könnte 100 statt 30 Prozent seiner Tageseinnahmen behalten. Dann könnte er irgendwann in ein Viertel umziehen, wo das Dach nicht alle paar Wochen leckt und der Strom nicht alle paar Tage ausfällt.
Im Moment stehen die Zeichen nicht günstig. Seit im Kongo der Marathon der Präsidentschaftswahlen begonnen hat, ist das Leben in der Hauptstadt deutlich teurer geworden. Für den Liter Benzin bezahlt man jetzt 490 kongolesiche Francs statt 350, für einen 25-Kilo-Sack Reis 8500 statt 5000 Francs. Die Inflationsrate ist angestiegen: Ein US-Dollar kostet jetzt 520 Francs statt 450. Bei der Verkehrspolizei sind die Preise geradezu explodiert. Seit sie sich „reformiert“ hat, halten die Uniformierten nicht mehr einfach die Hand durchs Fenster und geben sich mit ein paar hundert Francs zufrieden. Nein, jetzt gibt es eine Gebührenordnung, wonach für die „Missachtung eines Verkehrschildes“ bis zu 30 Dollar zu bezahlen sind – natürlich auch dann, wenn sich am Tatort kein Verkehrsschild befindet. Monsieur Vicky hat deshalb vor einigen Wochen zusammen mit tausenden anderer Taxifahrer gestreikt. 30 Dollars, das ist das tägliche Minimum, das Monsieur Vicky beim Besitzer seines schrottreifen Taxis abgeben muss.
Geholfen hat der Streik offenbar nicht. Auf dem Weg nach Bumbu hatten sich die Verkehrspolizisten mit ihren gelben Hemden und Helmen mitten auf der breiten Avenue Kasa Vubu postiert, um Autos herauszuwinken. Der Fahrer eines VW-Bus-Taxis, dessen Heckklappe durch ein Seil ersetzt war, um die geschätzten 20 Passagiere am Herausfallen zu hindern, sah wohl seine Tageseinnahmen verschwinden, drückte auf’s Gaspedal und hielt direkt auf den Polizisten zu. Der machte einen kleinen Schritt zu Seite und schlug dem Bus den ohnehin schon baumelnden Seitenspiegel von der Tür wie einen lockeren Zahn.
Solche Szenen verstören Monsieur Vicky mehr, als die Schiesserei zwischen den Privatarmeen der beiden Präsidentschaftskandidaten im August. Die passierte weit weg von seiner Wohnung im Diplomatenviertel Gombe. Den Strassenkampf mit den Behörden erlebt er jeden Tag. „Madame“, sagte er, „dieses Land muss bei Null wieder anfangen.“
Vor der Stichwahl am Sonntag war er noch einmal in sich gegangen und hatte als Wahlhilfe seine ganz persönliche Völkerkunde zu Rate gezogen. Demnach gibt es im Kongo zwar hunderte von Ethnien aber nur drei relevante Gruppen: „Die Leute aus Katanga“, sagt Monsieur Vicky, „erkennt man daran, dass sie zuviel trinken, den Weibern und dem Geld hinterhersteigen. Die Leute aus Equateur sind geradeheraus, jähzoring und manchmal brutal. Und die Menschen aus Bas Congo gehören zu den ruhigen Typen, beten viel und wollen mit niemandem Problem.“
Monsieur Vicky, der Kirchenchorsänger aus dem Bas Congo, hat am vergangenen Sonntag die Seiten gewechselt, und seine Stimme nicht mehr dem phlegmatischen „Katanga Boy“ Joseph Kabila gegeben, sondern dem ehemaligen Warlord und Mobutu-Zögling Jean-Pierre Bemba aus der Provinz Equateur. „Sehen Sie, Madame, nachdem wir zum zweiten Mal an diesem Tag im Kloakenschlamm von Kinshasa steckengeblieben waren, sehen Sie: Einer muss hier mal richtig aufräumen.“
Joseph Kabila gilt in den Vorhersagen, was immer sie in diesem Land wert sein mögen, immer noch als Favorit. Aber man geht inzwischen von einem knappen Ergebnis aus – Überraschung nicht ausgeschlossen.
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