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„Ihr müsst bleiben“

 

„Bemba hat gewonnen“, rief der Zeitungsverkäufer durch das Autofenster.
„Sagt wer?“ rief ich zurück, worauf er mir die Schlagzeile „Bemba prends le pouvoir“ entgegenhielt. „Bemba übernimmt die Macht“. „Alerte Plus“ heisst das Revolverblatt, das, wie fast alle kongolesischen Tageszeitungen, einen Dollar kostet. Das war am Mittwoch, drei Tage nach der Stichwahl. Seither lancieren beide Seiten munter vermeintliche Siegesmeldungen in den Medien.

Es ist dasselbe Spiel wie nach dem ersten Wahlgang: Bembas Gefolgsleute lassen in seiner Hochburg Kinshasa „Meldungen“ über einen Erdrutschsieg verbreiten, um dann jedes anderslautende Ergebnis als Wahlfälschung denunzieren und die Stimmung entsprechend anheizen zu können.

Ein vorläufiges Ergebnis mit dem Siegel der Unabhängigen Wahlkommission wird es wohl frühestens Ende nächster Woche geben, spätestens am 19. November. Bis dahin heisst es: Radio Okapi hören, den einzigen Sender im Kongo, der landesweit zu empfangen ist, aus der kongolesischen Gerüchteküche meist verlässliche Nachrichten destilliert – und das in fünf Sprachen: Französisch, Lingala, Suaheli, Kikongo und Tshiluba.

Das Hauptstadtstudio ist auf dem Gelände der UN-Mission (MONUC) einquartiert, was der Redaktion Schutz vor Polizeirazzien und Überfällen bietet. Ein Besuch bei den Kollegen lohnt sich immer, zumal man in diesen Tagen mit grosser Wahrscheinlichkeit grimmig dreinblickende Herren aus schweren Geländewagen aussteigen und in einem der UN-Tagungsräume verschwinden sieht. Die Abordnungen der Herren Kabila und Bemba sind dann mal wieder zu einem Treffen geladen worden, auf dem MONUC die Spielregeln für die nächsten Wochen festlegen, ermahnen, drohen und signalisieren will: einen Gewaltausbruch wie im August lassen wir nicht noch einmal zu. Wobei die UN-Blauhelme allein als Druckmittel kaum ausreichen würden. In den letzten Tagen hat sich gezeigt, dass die Präsenz der EUFOR-Mission, so klein sie auch sein mag, Wirkung zeigt. Vielen Kinois sahen die europäischen Soldaten zeitweise als militärische Wahlhelfer für den vom Westen favorisierten Joseph Kabila. Inzwischen gelten sie als wirkliche Schutztruppe, die auf die Privatarmeen der beiden Kandidaten sehr viel mehr Eindruck macht, als noch vor einigen Wochen. Dafür verzeihen die meisten Bewohner der EUFOR auch die nächtlichen Hubschrauberflüge und den Absturz von zwei Aufklärungsdrohnen auf ihre Wohnviertel. Dass in Deutschland ernsthaft erwogen wird, einer Verlängerung der Mission abzulehnen und die Soldaten am 30. November nach Hause zu holen, versteht hier in Kinshasa kein Mensch. „Ihr müsst bleiben“, sagt der Kollege von Radio Okapi, der auf den schönen Vornamen Innocent hört, der Unschuldige. „Mindestens bis zur Regierungsbildung.“ Womit er sagen will: ‚Lasst uns bitte nicht mit unseren Politikern allein,. Ich weiss nicht genau, wenn er mehr fuerchtet – den vor Testosteron strotzenden Jean-Pierre Bemba, der bislang immer nach der Maxime gehandelt hat: ‚Wenn ich etwas nicht bekomme, was ich will, dann kriegt es auch kein anderer.’

Oder „petit Joseph“, wie viele Kongolesen ihren Präsidenten nennen. Kritischere Beobachter vergleichen ihn mit Baschar al-Assad, dem syrischen Amtskollegen: Überfordert vom Amt und dem Schatten seines Vaters, verachtet von den Generälen, weil er sich trotz Schulung in China militärisch nie bewiesen hat – und deswegen im Zweifelsfall skrupellos.

Sollte das Ergebnis tatsächlich so knapp werden, wie inzwischen viele vorhersagen, dann stellt sich dem Land womöglich ein anderes Problem als das der Gewalt: dann müssen zwei Männer, die sich gerne umbringen würden, einen Deal miteinander abschliessen – eine „Große Koalition“ auf kongolesisch. Innocent, dem Reporter von Radio Okapi, fällt bei diesem Szenario auch nichts anderes ein als ein Stoßseufzer gen Himmel. „Am Ende müssen wir auf Gott vertrauen.“ Die unendliche Geduld der Kongolesen mit dem Herrn und Retter erstaunt mich immer wieder. Denn wenn es wirklich einen Gott gibt, dann ist er diesem Land verdammt viel schuldig.