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Fragile Demokratie

 

Nach einer Siegesfeier sah das nicht aus: Als der Vorsitzende der Unabhängigen Wahlkomission, Apollinaire Malu Malu, am Abend das vorläufige Endergebnis der Präsidentschaftswahlen im Fernsehen verkündete, hatten sich die Einwohner von Kinshasa in ihren Häusern verschanzt und auf den Straßen patrouillierten kongolesische Polizei, UN-Blauhelme, Soldaten der EUFOR. Mit 58 Prozent der Stimmen hat Joseph Kabila die Stichwahl um das Präsidentenamt im Kongo deutlicher als erwartet gewonnen. Doch die Hauptstadt ist noch immer eine Hochburg seines Erzrivalen Jean-Pierre Bemba – und damit für feindliches Territorium den 35jährigen Staatschef. Die Frage ist nun: Akzeptiert Bemba das Ergebnis ? Und welchen „Trostpreis“ wird er verlangen?

Fürs erste hält sich der ehemalige Warlord alle Optionen offen, auch die der Gewalt. Am vergangenen Samstag demonstrierten einige seiner Anhänger bei einer Schießerei mit der Polizei in Kinshasa, dass sie ihr Waffenarsenal weiter aufgestockt haben. Vier Menschen starben, nach offiziellen Angaben.

Bemba selbst ließ inzwischen verlautbaren, dass er das Ergebnis nicht akzeptiere und „mit allen Mitteln“ anfechten werde. Die Wahlkommission muss nun diverse Klagen über Unregelmäßigkeiten und Manipulation prüfen. Sprecher von Bembas Wahlbündnis hatten bereits am Dienstag erklärt, ihr Kandidat habe nach eigenen Zählungen 52 Prozent der Stimmen und damit die Präsidentschaft gewonnen. Sollte die Wahl „gestohlen“ werden, fühle man sich nicht mehr an jene Abmachungen gebunden, in denen sich beide Kandidaten vor der Stichwahl verpflichtet hatten, sowohl das Wahlergebnis als auch die körperliche Unversehrtheit des Gegners zu respektieren. Kabilas Präsidentengarde und Bembas Privatarmee hatten sich im August, wenige Wochen nach dem ersten Wahlgang, im Diplmatenviertel Gombe einen mehrtägigen Minikrieg mit mindestens 23 Toten geliefert.

Internationale Beobachter haben die Stichwahl und die Auszählung der Stimmen bislang gelobt. Das amerikanische Carter Center, das regelmäßig Wahlbeobachter in Krisenregionen entsendet, zeigte sich zuversichtlich, dass die von den Wahlkommission verkündeten Zahlen mit den Auszählungsergebnissen der einzelnen Wahllokale übereinstimmten. Bloß ist damit noch nicht der Vorwurf aus dem Bemba-Lager geklärt, dass in vielen Kabila-treuen Wahlkreisen zusätzliche Wählerlisten aufgetaucht und angeblich verdächtig viele Wahlzettel von Bemba-Anhängern für ungültig erklärt worden waren.
In den Strassen der Hauptstadt bleibt die Stimmung extrem angespannt. Europäische und afrikanische Diplomaten versuchen seit Tagen, Bemba dazu zu bewegen, einen hohen Ministerposten in der neuen Regierung zu übernehmen, die bis Ende des Jahres gebildet werden soll. Nach Berichten des britischen „Guardian“ hat Kabila seinem Gegner den Posten des Premierministers angeboten, was dieser jedoch abgelehnt habe. Offensichtlich ist das Lager Bembas gespalten in eine verhandlungsbereite und eine militante Fraktion, die sich notfalls mit Gewalt holen möchte, was sie durch Wahlen offenbar nicht bekommen hat: die Macht.

Umso unverständlicher erscheint es, dass die Mitgliedsländer der Europäische Union, allen voran Deutschland, weiterhin glauben, die Mission der EUFOR wie vorgesehen zum 30. November diesen Jahres „erfolgreich“ abschliessen zu können. Auf Bitten der Vereinten Nationen hatte die EU zur Absicherung der Wahlen Truppen in die Hauptstadt Kinshasa entsandt, darunter auch über 700 Bundeswehr-Soldaten. Hilfsorganisationen wie Oxfam International haben an die EU appelliert, die Mission mindestens bis zum Februar 2007 zu verlängern. Ein voreiliger Abzug, so Oxfam, könnte ein fatales Signal senden, den ohnehin fragilen Wahlprozess gefährden und zu neuer Gewalt führen.