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Europas Dilemma im Kongo

 

Es herrscht wieder Ruhe in Kinshasa – Friedhofsruhe, muss man sagen, denn die Leichenhäuser der Stadt sind überfüllt. Diplomaten und Hilfsorganisation schätzen die Zahl der Toten inzwischen auf bis zu 500, darunter viele Zivilisten. Den zweistündigen Hauptstadtkrieg hatten am vergangenen Donnerstag Milizionäre des ehemaligen Vize-Präsidenten Jean-Pierre Bemba begonnen, die sich einem Regierungsultimatum zu ihrer Entwaffnung nicht fügen wollten. Daraufhin schossen Armee und die Garde von Präsident Joseph Kabila mit allem zurück, was die Waffenarsenale hergaben.
Was die aktuelle Befindlichkeit der Hauptkontrahenten angeht: Bemba befindet sich immer noch unter dem Schutz der südafrikanischen Botschaft und bereitet sich offenbar auf eine erste Exilstation in Portugal vor. Präsident Kabila, der ebenso wie sein neuer Premierminister Antoine Gizenga während der Kämpfe keinen Ton von sich gegeben hatte, fand am Montag seine Stimme wieder und lobte Armee und Präsidentengarde für ihren verheerenden Einsatz.
Und nun?
Das fragt man sich auch innerhalb der Europäischen Union. Die hatte vergangenes Jahr Kongos historischen Wahlmarathon mit mehreren hundert Millionen Euro finanziert, hatte zur Absicherung der Wahlen sogar einige hundert Soldaten in die Hauptstadt entsandt – und seither verhalten optimistische Prognosen gestellt. Nun hat sich Bemba, die Führungsfigur der Opposition mit immerhin 42 Prozent der Wählerstimmen im Rücken, durch den Einsatz seiner Miliz (die er am Ende offenbar selbst nicht mehr unter Kontrolle hatte) von der politischen Bühne katapultiert. Und Kabila, den die internationale Gemeinschaft im Wahlkampf um die Präsidentschaft ziemlich unverhohlen unterstützt hatte, entpuppt sich als Möchtegern-Terminator, der seinen Erzrivalen ohne Rücksicht auf Verluste beseitigen will.
In Kinshasa sind Ende vergangener Woche nicht nur unzählige Zivilisten getötet worden, sondern auch diverse Botschaften unter Beschuss geraten. Spanien und Griechenland meldeten Granateneinschläge, der nigerianische Botschafter wurde von einer Kugel ins Bein getroffen, das Gebäude des UN-Kinderhilfswerks UNICEF beschossen. Am Dienstag traten nun die europäischen Botschafter in Kinshasa vor die Presse und kritisierten in undiplomatischer Schärfe den „voreiligen und unangemessenen Gewalteinsatz“ seitens der Regierung. Verhandlungsoptionen über die Auflösung von Bembas Miliz seien nicht ausgeschöpft worden. „Eine Warnung an Kabila“, kommentierte dazu die Tageszeitung „Le Potentiel“, eines der wenigen seriosen Blätter in der kongolesischen Hauptstadt.
Dessen Umgang mit der Opposition kritisieren Menschenrechtsorganisationen schon seit Monaten. Kabila-kritische Medien werden schikaniert; die UN zeigt sich „besorgt“ über Anzeichen massiver Korruption bei den Gouverneurswahlen, die größtenteils zugunsten des Kabila-Lagers ausgegangen sind.
Bleibt die Frage, ob Kabila derzeit für Warnungen empfänglich ist. Die Hardliner in seinem Lager wollen Bemba wegen Hochverrats vor Gericht sehen und würden eine Zuflucht in Europa (auch wenn sie derzeit als Ausreise zur medizinischen Behandlung deklariert wird) als europäischen Affront ansehen.
Die Europäische Union, die USA und die UN-Institutionen haben als Geldgeber des Kongo zwar Druckmittel in der Hand. Doch erstens bietet sich China jederzeit als finanzstarker Konkurrent der westlichen Geberländer an, der seine Entwicklungs- und Wirtschaftshilfe ausdrücklich nicht an lästige Bedingungen wie Einhaltung der Menschenrechte und demokratischer Prinzipien knüpft. Und zweitens könnte die Front der europäischen Länder schnell Risse zeigen. Der Kongo ist unendlich reich an begehrten Rohstoffen. Das macht es sehr verführerisch, bilateral mit Kinshasa ins Geschäft zu kommen.