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Frieden macht nicht satt – eine Reise zu den Diamantenfeldern von Sierra Leone

 

„Können Sie kaufen – für 20.000 Leones“, sagt der Mann und hält uns seine Handfläche entgegen. Darauf liegt, kaum grösser als der (allerdings beträchtliche) Dreck unter meinem Fingernagel, ein Rohdiamant. Der Mann ist Diamantensucher, aber er weiß nicht, wieviel sein Fund wirklich wert ist. Er will einfach nur etwas zu essen kaufen. 20.000 Leones – das sind umgerechnet sechs Euro. Oder zwei Wochen Vorrat an Reis, Cassava, Zwiebeln und Bananen für seine Familie.
Über zehn Stunden hat unsere Autofahrt von der Hauptstadt Freetown nach Tongo Fields im Diamantengebiet von Sierra Leone gedauert. Waschbrettpisten und Schlaglöcher mit dem Durchmesser von Klodeckeln erlauben oft nur Schneckentempo. Als Labsal für die Bandscheiben gestatten wir uns kurze Pausen in den Dörfern am Straßenrand. Überall ist Markttag, im Angebot ist das afrikanische Standardsortiment: Mangofrüchte, Flip Flops, Telefonkarten, Limonade und aufgebügelte Altkleider aus Europa. Manche Händler haben ihre Ware in den Fensterhöhlen zerschossener Häuser ausgelegt. Gleich nebenan decken Bauarbeiter neue Lehmhäuser mit Wellblechdächern, wieder ein paar Meter weiter legen Frauen die Wäsche über niedergebrannten Mauern zum Trocknen aus. Ruinen und Rohbauten – dieses Nebeneinander beschreibt den Zustand des ganzen Landes: fünf Jahre nach Kriegsende steckt Sierra Leone irgendwo zwischen Alptraum und Neuanfang. altkleiderhandel-in-ruinen.jpg
Kaum jemand in der westlichen Öffentlichkeit interessierte sich seinerzeit für diesen Konflikt, in dem 50.000 Menschen starben. Dank Hollywoods neuestem Polit-Thriller „Blood Diamond“ haben nun zumindest die Fans von Leonardo DiCaprio eine Ahnung, worum es damals (unter anderem) ging: um Sierra Leones riesige Diamantenvorkommen. Und um Rebellengruppen, die sich den Zugang zu diesen Bodenschätzen mit einer Terrorkampagne gegen Zivilisten sicherten. Zum Beispiel in den Tongo Fields.
Momoh Brima, ein Diamantensucher, hat sich bereit erklärt, uns seinen Arbeitsplatz zu zeigen. Ein Trampelpfad führt hinter seinem Dorf auf einen Hügel, links und rechts türmen sich Sandhaufen, als wäre eine Heerschaar Maulwürfe am Werk gewesen. Verlassene Diamantenfelder, umgepflügte, aufgerissene Erde mit brackigen Wasserpfützen. Hervorragende Brutplätze für Malaria-Mücken.
Plötzlich tut sich gigantisches Loch vor uns auf, eine Grube, gut fünfzehn Meter tief und zwanzig Meter im Durchmesser. Auf dem Grund schimmert giftgrünes Wasser. „Haben wir gegraben“, sagt Brima, ein schmächtiges Kerlchen mit einer charmanten Zahnlücke, „in drei Monaten. Mit nichts als Muskeln und Schaufeln.“
Die „digger“, die Gräber, füllen den Sand in Säcke, balancieren die Last auf dem Kopf nach oben. Ein ächzender Generator pumpt Wasser und Schlamm nach oben zu den „washers“, den Wäschern – 50, vielleicht 60 Männer, die mit gekrümmten Rücken den Schlamm aussieben. Ihre Augen sind auf das Drahtgitte fixiert, als könnte schiere Willenskraft die wertlosen Kiesel in Edelsteine verwandeln. Der Himmel ist strahlend blau, die Temperatur liegt bei über 30 Grad, es gibt kein Trinkwasser, keinen schattigen Unterstand. Und weit und breit keinen Arzt, falls einer der „digger“ in der Grube abrutscht und in die Tiefe stürzt. Berufsrisiko.
Diamantensucher in den Tongo Fields
Momoh Brima war 19 Jahre alt, als die Rebellen der „Revolutionary United Front“ (RUF) 1991 seine Heimatregion besetzten, um mit den Gewinnen aus dem Diamantenschmuggel ihren Krieg gegen regierungstreue Milizen zu finanzieren. Die Diamantenfelder wurden damals zu kleinen Gulags, die Gräber und Wäscher verrichteten Zwangsarbeit – es sei denn, sie waren rechtzeitig über die Grenzen nach Liberia oder Guinea geflohen. In den Tongo Fields hatten mal die Rebellen, mal die Milizen die Oberhand – und wer immer gerade eine Schlacht gewonnen hatte, zog danach plündernd und mordend durch die Dörfer. Brima und seine Kollegen in der Schlammgrube tragen die Bilder dieses Krieges mit sich herum: Mädchen und Frauen wurden vergewaltigt und als „bush wives“ verschleppt; zwangsrekrutierte Kinder mussten zur „Initiation“ in die Truppe die eigenen Eltern umbringen; Menschen wurden die Hände abgehackt, die Initialen der jeweiligen Rebellentruppe in die Haut gebrannt. Es gab Fälle von Kannibalismus.
Momoh Brima wollte sich „Blood Diamond“ neulich im Strassenkino ansehen, einer dieser Bretterbuden, in der Fußballspiele der englischen Premier League, nigerianische Seifenopern und Kung-Fu-Streifen gezeigt werden. Gleich zum Auftakt des Films überfallen Rebellen ein Dorf und verstümmeln Zivilisten. Brima ergriff die Flucht, lief hinaus auf die Strasse. „Das habe ich nicht ausgehalten“, sagt er und starrt in die riesige Grube.
Nach dem Krieg haben sich Momoh Brima und die anderen Männer zusammengeschlossen, das Geld für eine staatliche Schürflizenz zusammengekratzt, eine eigene „Verfassung“ für ihre Kooperative aufgesetzt und feierlich beschlossen, dass ab sofort jeder Arbeiter täglich zwei Tassen Reis und 500 Leones ausbezahlt bekommt. Das sind 15 Cent. Aus den 500 Leones ist nie etwas geworden, und die zwei Tassen Reis hat er zum letzten Mal vor drei Tagen erhalten. Die Zeiten, als man für Rohdiamanten nur eine Handbreit tief im Flussschlamm graben musste, sind vorbei. Heute müssen sich die Männer mit Schaufeln und blossen Händen immer tiefer in die Erde wühlen.
Die Ausbeute von einer Woche Schufterei
Diamanten aus Sierra Leone gelten heute als „konfliktfrei“, der Export läuft zum großen Teil legal. Doch das Geschäft lohnt sich nur noch für große Firmen mit schwerem Gerät. Internationale Konzerne kaufen immer mehr Schürfrechte auf, aber sie brauchen kaum Arbeitskräfte. Und von ihren Investitionen und lächerlich geringen Exportsteuern haben bislang allenfalls Politiker und traditionelle Dorfchefs profitiert, nicht aber die Bevölkerung.
Nichts als Schlamm
Der einzige, der an Brimas Grube reich wird, ist der Landbesitzer, ein älterer Mann mit zerrupftem Bart und dem traditionellen Titel eines „section chief“. Für die Nutzung des Geländes kassiert er saftige Gebühren. Gleich neben dem riesigen Loch beobachtet er aus einer schattigen Hütte die schweißüberströmten Männer. Er ist ihr Zwischenhändler, kauft ihnen alle Diamanten mit mindestens einem Karat ab. Mit den Arbeitern hat er dabei leichtes Spiel. Keiner der Gräber oder Wäscher weiss, den Wert eines Rohdiamanten einzuschätzen. Keiner kennt die Unterschiede in Klarheit, Konturen, Farbe. Momoh Brima hat eine vage Ahnung, dass Diamanten in Europa zu Schmuck verarbeitet werden. Aber er weiss nicht, dass die Steine, die sie hier nach wochenlanger Knochenarbeit für zwanzig, vielleicht auch fünfzig Euro an den „section chief“ verkaufen, in Paris, London oder Berlin für ein paar tausend Euro über den Ladentisch gehen.

Wir sind nach nicht einmal einer Stunde im Diamantenfeld dem Hitzschlag nahe. Schlamm verschmierte Männer haben einen Kreis um uns gebildet. Es hat sich herumgesprochen, dass wir keine Diamantenhändler sind, sondern Journalisten und NGO-Mitarbeiter. Die Männer bitten um Geld, sie brauchen neue Siebe, Medikamente für die Kinder. Einer versucht es mit einem ungeschliffenen Heiratsantrag: „Mädchen, Du gehörst jetzt mir!“ Wir treten den Rückzug an. „Lady“, ruft sein Kollege aus der Grube hinterher, „wie wär’s, wenn Sie uns wenigstens einen Bagger spenden? Oder ein bisschen Reis?“ Fünf Jahre Frieden – und sie sind noch nicht ein einziges Mal satt geworden.