Mit weltbewegenden Nachrichten ist das in Kabul so eine Sache: Wenn man zwischen Eselskarren, UN-Geländewagen, Taxis und sinnlos fuchtelnden Verkehrspolizisten im Stau steckt, oder in irgendeinem Amtszimmer verbiesterten Vorzimmerdamen Genehmigungen aller Art abzuringen versucht, dann können die Marsmenschen mitsamt den Taliban einmarschiert sein – und man merkt es nicht.
Kabul ist eine Stadt, deren Bewohner (Kurzzeitbesucher wie zum Beispiel Journalisten eingeschlossen) vollauf mit den banalen Mühen des Alltags beschäftigt sind. Folglich sickerte die Nachricht nur langsam durch, dass die Taliban die ersten zwölf der 19 koreanischen Geiseln freigelassen haben – und in die Erleichterung mischte sich schnell Stirnrunzeln. „Frei? Na Gott sei Dank“, sagt Manisha, die in der Hauptstadt ein Frauenhaus und ein Büro für Familienberatung leitet. „Aber wie kann man so blöd sein, mit einem Haufen Leute, die auf hundert Meter als Ausländer zu erkennen sind, in einem Reisebus nach Kandahar zu fahren?“
Das hört sich nach klassischem Selbstschutzreflex an: die anderen werden Opfer, weil sie Risiken eingehen, die man selbst nie eingehen würde – eine rein subjektive Sichtweise, die aber die Nerven beruhigt.
Andererseits ist der Leichtsinn der Missionare aus Seoul kaum zu überbieten. Am 19. Juli waren sie mit dem infantilen Frohsinn einer Touristengruppe den Taliban in die Arme gerollt. Über diesen Wahnwitz fluchen auch die afghanischen Behörden. Die haben sich zwar offenbar geweigert, die Koreaner gegen acht prominente Taliban-Gefangenen auszutauschen. Aber sie konnten den „bilateralen Deal“ der Taliban mit der südkoreanischen Regierung nicht verhindern. Letztere hat den Geiselnehmern zugesichert, sämtliche koreanische Soldaten und Missionare nach Hause zu holen. Der Abzug der 200 Militärs bis zum Jahresende ist zwar in Seoul längst beschlossene Sache. Aber dieses Detail ändert nichts an der öffentlichen Wahrnehmung in Afghanistan, dass die Taliban ausländische Regierungen in die Kniee zwingen und dabei auch ordentlich melken können. Von Lösegeld ist in der Vereinbarung zwischen Südkoreas Regierung und den Radikalislamisten zwar keine Rede. Aber niemand in Kabul bezweifelt, dass Seoul an die Taliban gezahlt hat – und diese nun mit ein paar Geldkoffern für ihren Dschihad einkaufen gehen.
Das ist der zweite große Kidnapping-Coup der Taliban. Im Frühjahr hatten sie mit der Geiselnahme des italienischen Journalisten Daniele Mastrogiacomo die Freilassung fünf prominenter Kampfgenossen aus afghanischer Haft erpresst. Präsident Hamid Karsai hatte sich erst vehement gegen diesen Erpressungsversuch gewehrt, dann aber dem Druck der italienischen Regierung nachgegeben. Die soll sogar mit dem Abzug ihrer 2000 Soldaten gedroht haben, falls Mastrogiacomo nicht freigelassen würde. Für dessen afghanischen Fahrer sowie für den Übersetzer und Journalistenkollegen Ajmal Naqshbandi gab es keine mächtige Lobby. Sie wurden beide von den Taliban ermordet. „Ihr werdet entführt und in Geld aufgewogen“, sagt dazu lakonisch der Leiter einer afghanischen Hilfsorganisation in Kabul. „Wir werden meistens gleich umgebracht.“
Was nicht immer stimmt. Zwei der südkoreanischen Missionare wurden erschossen, ebenso einer der beiden im Juli entführten deutschen Ingenieure, dessen Kollege immer noch in Gewalt der Taliban ist.
All das hindert am Abend in einem der wohl bewachten Kabuler Restaurants zwei sturzbetrunkene afghanische Geschäftsleute nicht daran, die kollektive Sympathie ihres Landes mit den Deutschen hochleben zu lassen. „Wir Afghanen lieben alle Deutschen“, ruft der eine in den Kabuler Nachthimmel. „Malt Euch den Satz ‚Ich bin ein Deutscher’ auf’s Hemd und lauft durch die Straßen. Jeder wird Euch mit offenen Armen empfangen.“ Wir lehnen den Vorschlag dankend ab.