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Die Mullahs und der Hochzeitsrausch

 

Afghanen haben außer Selbstmordattentaten, Korruption, und der Opiummafia noch andere Sorgen: Heiraten.
Afghanische Hochzeitsfeiern sind (wie fast überall auf der Welt) eine Mischung aus Komödie, Familiendrama, Tanzmarathon und sozialem Schaulaufen. Aber nachdem ich gestern das erste Mal zu einer Hochzeit eingeladen war, meine ich trotz aller Unbedarftheit einige Besonderheiten festzustellen: Die Gäste lachen, tanzen, streiten, essen, trinken (nicht nur Tee) und zeigen stolz den neuesten Nachwuchs, indem sie die Kleinen mitten auf den Tisch setzen. Braut und Bräutigam dagegen machen den ganzen Abend ein Gesicht, als wohnten sie ihrem eigenen Begräbnis bei. Das wirkt bei ihr noch bedrückender als bei ihm, weil sie ein Viertelpfund Make-Up im Gesicht trägt.
Nun weiß ich von Besuchen in afghanischen Schönheitssalons, wo die Frauen stundenlang für ihre Hochzeit geschminkt und frisiert werden, welche Dramen mit einer arrangierten oder erzwungenen Ehe einhergehen. Aber das Paar von gestern abend kennt und mag sich schon seit einigen Jahren. Ich hatte es also mit einer vergleichsweise liberalen Großstadthochzeit zu tun. Trotzdem war das Mienenspiel der beiden zum Erbarmen. Das gehöre sich so, wurde mir erklärt, schließlich müsse sie den Abschied von der eigenen Familie betrauern. „Und der Bräutigam?“ „Der denkt an die Rechnung.“

Womit wir beim nächsten Problem sind. Afghanische Hochzeiten sind nicht nur der Aufbruch ins vermeintlich neue Leben, sondern auch der Sprung in die Schuldenfalle. Soviel wurde mir gestern klar: Wer außerhalb des Opiumhandels schnell und viel Geld verdienen möchte, muss eine Hochzeitshalle eröffnen. Die billige Variante besteht aus einem schlichten Saal in einem Hinterhof mit einem kleinen Podest für die Musiker, viel Platz für die Männer, einer Trennwand und dahinter etwas weniger Platz für die Frauen.
Die luxuriöse Variante besteht aus einem mehrstöckigen Hausklotz mit verspiegelter Glasfront und einem halben Dutzend Festsäle – ausgestattet mit Kronleuchtern made in China und einer Bühne mit zwei Thron ähnlichen Sesseln für den Foto-Marathon des Brautpaars mit Eltern, Geschwistern und Cousins und Cousinen.

Wir feierten gestern nach der teuren Variante. Zu bezahlen waren die Saalmiete (inklusive Plastikblumengestecke und Plastikrosenteppich für das Brautpaar). Außerdem ein mehrgängiges Menü, sowie acht spindeldürre Kellner, die im Laufschritt mit rasant schlechter werdender Laune über 400 Anwesende versorgten. Eine Party mit weniger als 300 Gästen, so wurde mir versichert, gelte als „lahm“.
Zu bezahlen waren außerdem der Goldschmuck für die Braut, zwei Hochzeitskleider und –anzüge (das Paar hat zwei Auftritte), eine giftgrün schimmernde Hochzeitstorte, der Hochzeitsfotograf, das Hochzeitskamerateam, sowie die Hochzeitsband, deren Verstärker einem Berliner Techno-Club alle Ehre gemacht hätte. Alles in allem dürfte der Bräutigam gestern außer seiner Braut eine Rechnung von mindestens 10.000 Dollar mit nach Hause genommen haben. Dabei darf man sicher sein, dass er die Schulden der ähnlich üppigen Verlobungsfeier vor wenigen Monaten noch nicht abbezahlt hat. Der Bräutigam ist von Beruf Ingenieur. In zehn Jahren wird er – mit Hilfe des Vaters – vielleicht Licht am Ende des Tunnels sehen. Für den Durchschnittsafghanen mit einem Monatseinkommen von knapp 100 Dollar ist schon der Gedanke an eine Hochzeit zu teuer.

In Mazar-e-Sharif, in der nördlichen Provinz Balkh, wo die Partypreise ähnlich hoch sind wie in der Hauptstadt Kabul, hat inzwischen die Ulema, der Rat der Religionsgelehrten, eingegriffen und eine Fatwa erlassen. Demnach ist nur noch eine üppige Verlobungsfeier erlaubt. Die Hochzeiten selbst sind in bescheidenerem Rahmen zu Hause abzuhalten. Sich in Schulden zu stürzen, sei „unislamisch“, erklärte der Rat. „Diese Feiern bringen Unruhe in die Gesellschaft. Zu viele Männer bleiben ledig, zu viele Mädchen sind ohne Ehemann.“
Wie den „Afghanistan Times“, einer englischsprachigen Zeitung, zu entnehmen ist, hängen in den Hotels und Hochzeitshallen der ganzen Provinz nun Kopien der Fatwa, die auch vom Provinzgourverneur abgesegnet ist. Der heißt Atta Mohammad Noor und verwahrt sich ausdrücklich gegen den Vorwurf, er wolle wie einst die Taliban das Feiern verbieten: „Die Leute geben Hochzeitsparties als sei es ein Wettkampf. Aber das ist völlig außer Kontrolle geraten, und wir wollen einfach ein bißchen Ordnung hineinbringen.“ Wohlhabendere Familien fluchen, und die die Besitzer der Hochzeitshallen wünschen ihm und der Ulema alles erdenkliche Unglück. Die Fatwa verleidet ihnen das Geschäft mitten in der Hochsaison. In knapp zwei Wochen beginnt der Fastenmonat Ramadan, und vorher wird im Land geheiratet bis zum Abwinken.
Empört sind auch die Musiker. Bei einer privaten Familienfeier gibt es längst nicht so viel zu verdienen, wie auf den rauschenden Festen in den Hochzeitshallen. Außerdem fühlte sich der Religionsrat bemüßigt, auf die strikte Einhaltung der Geschlechtertrennung zu pochen. Soll heißen: männliche Musiker dürfen nicht mehr auf der Frauenfeier auftreten. Womit eine weitere Einnahmequelle flöten geht.


Haben sich die Mullahs und der Gouverneur also in den Fuss geschossen mit ihrer Fatwa? Keineswegs. Die ärmeren Männer jubeln, weil der Preis eines Hochzeitsfests nun auf ein paar hundert Dollar gesunken ist. Glücklich ist auch die winzige Minderheit der afghanischen Musikerinnen. Die bekommen jetzt endlich Gelegenheit, aufzutreten. Für sie ist die Fatwa keine religiöse Bevormundung, sondern gelungene Frauenförderung.