Auto-Konvois, ein Meer von Fahnen, Feuerwerk, Beethovens „Ode an die Freude“, reichlich albanische Volksmusik und Raki, der landesübliche Traubenschnaps. Allen Unkenrufen zum Trotz verlief die Geburt des neuen Staates Kosovo friedlich. Für rund 1.8 Millionen Kosovo-Albaner wurde ein Traum wahr – und zwar unter strikten Regiervorgaben der internationalen Staatengemeinschaft. Hashim Thaci, nunmehr Premierminister eines (eingeschränkt) souveränen Staates musste die Unabhängigkeitserklärung auf albanisch und serbisch verlesen, ausdrücklich den „multi-ethnischen“ Charakter der neuen Republik Kosovo betonen; die neue offizielle Fahne des Landes durfte keine nationalistischen Elemente enthalten – soll heißen: keine Ähnlichkeit mit dem Doppeladler auf rotem Hintergrund, dem Symbol der einstigen Rebellengruppe UÇK.Und nun?Nun wandert die Aufmerksamkeit von Prishtina nach Brüssel, wo heute im Lauf des Vormittags vermutlich die ersten EU-Mitgliedsländer den neuen Ministaat anerkennen werden – darunter wohl auch Deutschland. Von dort wird der mediale Scheinwerferkegel nach Belgrad schwenken, wo gestern nationalistische Hooligans die amerikanische Botschaft attackierten, sich Straßenschlachten mit der Polizei lieferten und wo die Regierung für diese Woche Massenproteste angekündigt hat. Was zu erwarten war und als Ventil für die Wut vieler Serben wohl auch notwendig ist. Die richtet sich vor allem gegen die Kosovo-Albaner, gegen die USA und die EU, unterschwellig aber auch gegen Russland. Denn die vermeintliche Schutzmacht hat trotz aller Treueschwüre an das slawische Bruderland die Sezession der Provinz, der „Wiege des Serbentums“, nicht verhindert. Sie konnte sie nicht verhindern.Schalten wir kurz nach Moskau: die russische Regierung hat gegen die einseitige Unabhängigkeitserklärung protestiert und eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrates einberufen, hat ihren Ton in den vergangenen Wochen aber deutlich entschärft. Was wohl heißen soll: Der Konflikt mit dem Westen bleibt bestehen, doch der Kreml will ihn derzeit nicht eskalieren.Zurück ins Kosovo, nicht nach Prishtina, sondern nach Mitrovica, der geteilten Stadt im serbisch dominierten Norden des Landes. Dort explodierte gestern eine Handgranate, geworfen auf ein UN-Gebäude, in das Angehörige der neuen EU-Mission ziehen sollen. Keine Verletzen, nur Sachschaden und eine klare Botschaft: nördlich des Flusses Ibar wird die Unabhängigkeitserklärung als Kampfansage verstanden. Hier haben sich rund 60.000 Serben nie der UN-Verwaltung, geschweige denn der bis gestern provisorischen kosovarischen Regierung unterworfen. Sie werden sich auch jetzt keiner kosovarischen Regierung mitsamt ihren EU-Aufpassern unterwerfen. Da mag Hashim Thaci, der ehemalige UÇK-Funktionär, noch so oft vom Schutz der Minderheiten sprechen.Soll heißen: die Republik Kosovo wird bis auf weiteres nicht die Kontrolle über ihr gesamtes Territorium haben. Sie ist zweigeteilt, hat von der Stunde ihrer Geburt an ein „eingebautes Zypern-Problem“. Für das wird sich so schnell keine Lösung finden, allenfalls ein Modus Vivendi, bei dem der Norden de facto unter serbischer Verwaltung bleibt, de jure aber zur Republik Kosovo gehört. Ein verrücktes Deja Vu. Was das Kosovo für Serbien bedeutet, bedeutet Nord-Mitrovica jetzt für die Republik Kosovo: eine abtrünnige „Provinz“.Schön anzuschauen ist das also nicht: die Unabhängigkeit ist völkerrechtlich, gelinde gesagt, umstritten; die EU ist längst nicht so einig, wie sie sein sollte, der Konflikt mit Moskau keineswegs beigelegt; die Emotionen aus albanischer und serbischer Seite sind hochgeschaukelt, was sich bei ersteren vorläufig in rauschender Euphorie ausdrückt, bei letzteren in grenzenloser Verbitterung. Beide Varianten sind politisch potenziell gefährlich. Euphorie kann leicht in Enttäuschung umschlagen, wenn der heiss ersehnten Unabhängigkeit nicht schnell wirtschaftliche Verbesserungen folgen. Und Verbitterung kann schnell zum Boden für Militanz werden.Aber für den Morgen danach gilt erst einmal: die Geburt des neuen Staates ging weitgehend reibungslos über die Bühne – allen Unkenrufen zum Trotz.
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Von Kabul bis Kinshasa