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Kommissar Mundibura, der Papst und die Kondome

 

Egal, wo ich hinkomme auf dieser Kongo-Reise – Beni, Butembo, Goma, Bukavu: Sobald die Leute wissen, dass ich Deutsche bin, kommt das Gespräch auf den Papst und seine Afrika-Reise. „Warum kommt Benedikt nicht in den Kongo?“, lautet die erste Frage, als könnte ich qua Landsmannschaft mit dem obersten Katholiken dessen Reisepläne erklären. Keine Ahnung, sage ich dann, wahrscheinlich sei ihm der Kongo zu anstrengend. Wofür meine Gesprächspartner Verständnis haben. Sie finden ihr Land auch ziemlich anstrengend.

Kommissar Paul Mundibura von der Polizei in Bukavu beschäftigt weniger das Besuchsprogramm des Papstes als dessen jüngste Äußerung, wonach Kondome die Verbreitung von HIV/AIDS erstens nicht aufhalten könnten, und, zweitens, im Zweifelsfall noch verschlimmerten. Kommissar Mundibura ist 41 Jahre alt, Vater von vier Kindern und gläubiger Katholik. Er arbeitet für die Sondereinheit „Zum Schutz der Kinder und zum Kampf gegen sexuelle Gewalt“. Die Einheit hat zwar kein Budget, keine Einsatzwagen, Computer, Schreibmaschinen, Waffen, geschweige denn ein forensisches Labor. Aber ihre Mitarbeiter besitzen erstaunlich viel Elan.

Wenn sich ausnahmsweise mal Benzingeld und ein Auto auftreiben lassen, kann man mit Kommissar Mundibura nachts auf Patrouille durch das Rotlichtviertel von Bukavu fahren, wobei es dort mangels Strom kein Rotlicht, sondern nur gelblich schimmernde Öllampen gibt. Wir rollen im Schritttempo am „Negrita“ vorbei, ein Nachtclub, der für mein ungeübtes Auge aussieht wie ein vom Einsturz bedrohter Bretterverschlag. Das „Negrita“ ist für aggressive Kundschaft bekannt. Also bleibt der Kommissar lieber im Wagen und notiert sich die Namen der minderjährigen Prostituierten, die im Halbdunkel zu erkennen sind, und die er inzwischen samt ihren trostlosen Familiengeschichten kennt. Es ist Samstag, gegen 22 Uhr, vor dem Eingang hängen junge Männer herum, die sich gegenseitig um das Eintrittsgeld für den Club anpumpen.

„Präservative können Sie hier natürlich vergessen“, sagt der Mundibura, während unser Auto über eine Schlammpiste an den Silhouetten von Erdnussverkäuferinnen, Straßenkindern und kokelnden Müllhaufen weiter ruckelt. „Nach fünf Bier oder einer halben Flasche Bananenschnaps denkt kein Mann mehr an ein Kondom.“

In nüchternem Zustand aber, so behauptet der Kommissar Mundibura, seien seine kongolesischen Geschlechtsgenossen inzwischen etwas empfänglicher für das Motto „Der echte Mann schützt sich bei jedem Mal.“ Und zu „echten Männern“ zählt er auch die Katholiken. Bei Fortbildungen für Polizisten, Lehrer oder Gefängniswärter predigt Mundibura mit – man möchte sagen: religiöser – Sturheit eine Kombination aus kongolesischem Strafgesetz, Gesundheitsschutz und Appellen gegen Aberglauben: Jawohl, Vergewaltigung und Prostitution Minderjähriger sind Verbrechen, keine Kavaliersdelikte. Nein, Sex mit jungfräulichen Mädchen bringt weder Reichtum, noch heilt er einen Mann von HIV/AIDS. Ja, Abstinenz und eheliche Treue sind männliche Tugenden, und weil nicht jeder Mann immer tugendhaft ist, soll er, bitte schön, ein Kondom benutzen.

Das würde der Heilige Vater nicht gerne hören, wende ich ein. Vielleicht, entgegnet Kommissar Mundibura mit aller gebotenen Ehrfurcht des gläubigen Katholiken, sei der Heilige Vater in Sachen HIV/AIDS nicht ganz auf dem neuesten Stand der Dinge. Wir parken den Wagen auf der Avenue Lumumba vor dem „Michopo“, ein Nachtclub der gehobenen Klasse, der zwar auch nach abgestandenem Bier und Schweiß riecht, aber mit Billard-Tisch und Hochglanzpostern weißer Models in Reizwäsche ausgestattet ist. Hinter dem Türsteher leuchtet in grellen Farben ein Wandgemälde, das ein Pärchen in einer Bar zeigt. Zwischen ihren Köpfen schwebt eine Packung Kondome der Marke „Prudence“. Eigentlich sei die Sache klar, sagt Kommissar Mundibura: „Wenn alles auf dieser Welt Gottes Wille ist, dann war auch die Erfindung des Kondoms Gottes Wille.“ Und dann müsse der Mensch, genauer gesagt: der Mann, es eben zum Guten nutzen. Also überziehen. „Jedes Mal“, sagt der Kommissar.