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Frankreich und der ruandische Genozid

 

Voilà, man gibt sich wieder die Hand. Zähneknirschend. Für einige Stunden nur betrat Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy am Donnerstag, den 25. Februar, ruandischen Boden, besuchte das Mahnmal für die Opfer des Völkermords von 1994 und gab zu Protokoll: „Es hat eine Form von Blindheit gegeben. Wir haben die Dimension des Völkermords nicht wahrgenommen.“

Das ist eine erstaunliche Wandlung für den Staatschef Frankreichs, dessen Justiz bis vor kurzem noch Ruandas Präsidenten Paul Kagame vor Gericht stellen wollte.

In dieser Wandlung steckt wiederum ein diplomatischer Skandal. Denn Frankreichs Rolle 1994 mit „Blindheit“ zu erklären, ist ein dreister Euphemismus. „Parteinahme“ wäre der angemessene Ausdruck: Paris stand damals auf der Seite jener Hutu-Regierung, aus der heraus der Völkermord begangen wurde. Hätte Sarkozy dies bei seinem ersten Besuch in Kigali eingeräumt, hätte er sich im Namen seiner Nation entschuldigen müssen. Tat er aber nicht.

Mit dem Datum des 6. April 1994 können die meisten Europäer nichts verbinden, für Millionen von Menschen in Zentralafrika markiert es den Beginn eines jahrzehntlangen Alptraums. An diesem Tag wurde das Flugzeug des damaligen ruandischen Präsidenten Juvénal Habyarimana kurz vor der Landung in Kigali abgeschossen. Habyarimana war bereit gewesen, den jahrelangen Bürgerkrieg zwischen seiner Hutu-Regierung und Tutsi-Rebellen zu beenden. Auf seinen Tod aber folgten eine neue Offensive der Rebellen und der systematische, schon länger vorbereitete Genozid an 800.000 Tutsi und moderaten Hutu, verübt durch die damalige ruandische Armee und Hutu-Bürgermilizen.

Den Genozid stoppte erst der Vormarsch der  Tutsi-Rebellen unter Führung des heutigen ruandischen Präsidenten Paul Kagame. Die internationale Gemeinschaft – allen voran USA, EU und UN – versagte  komplett. Erst während des Massenmordes im April 1994. Dann, als sich der inner-ruandische Konflikt in den Ost-Kongo verlagerte und dort zwei Kriege auslöste, an deren Folgen bis heute bis zu fünf Millionen Menschen gestorben sind. Das ist – kurz und knapp – die Kette der Katastrophen, die auf jenen 6. April 1994 folgte.

Wer das Präsidenten-Flugzeug abgeschossen hat, ist bis heute nicht mit letzter Sicherheit geklärt. Vieles spricht dafür, dass Hutu-Hardliner aus Habyarimanas Umfeld ihren eigenen Staatschef ermordeten, weil ihnen dessen Verhandlungskurs nicht passte.  In Frankreich wiederum, das die Hutu-Armee jahrelang unterstützt hatte,  hielt sich die Überzeugung, Kagame habe die tödlichen Raketen abfeuern lassen – und sei damit mitverantwortlich für den Genozid.

Als ein französischer Ermittlungsrichter 2006 deswegen sogar einen Haftbefehl gegen den ruandischen Präsidenten ausstellte, brach Kigali sämtliche diplomatische Beziehungen zu Paris ab, führte (als ehemaliges Mandatsgebiet unter belgischer Vewaltung und ehemals französisches Einflussgebiet) Englisch als Amtssprache ein und trat dem Commonwealth bei. Paris musste zur Kenntnis nehmen, dass es ein weiteres Einflussgebiet in Afrika an Großbritannien und die USA verloren hatte. Nun versucht Nicolas Sarkozy offenbar einen Neuanfang – mit nicht mehr Reumut als unbedingt nötig.

Bei diesem geostrategischen Schachspiel hat ein Thema offenbar keinen Platz: Im August stehen in Ruanda Wahlen an. Kagame hat beim Wiederaufbau seines Landes zweifellos enormes geleistet, weswegen man ihn gerade in den USA und Europa immer noch als Vertreter einer African Renaissance feiert. Dass er auch für den Raubbau kongolesischer Rohstoffe und für die Verbrechen pro-ruandischer Rebellengruppen im Kongo mitverantwortlich ist, fällt dabei ebenso unter den Tisch wie sein zunehmend autokratisches Gebaren.

Human Rights Watch wirft der ruandischen Regierung vor, im Vorfeld der Wahlen jede Opposition gegen ihre Politik mit dem Vorwurf der „Völkermord-Ideologie“ zu ersticken. Die offensichtlich orchestrierten physischen Angriffe gegen Oppositionspolitiker hätten in den vergangenen Wochen zugenommen. Oppositionelle, die eine juristische Ahndung der Kriegsverbrechen von Tutsi-Rebellen in den 90er Jahren forderten, würden bedroht. Ähnliche Kritik hat auch amnesty international in einem Brief an Kagame formuliert.