Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Rock the vote auf sudanesisch

 

Hip Hop und Kabarett sind nicht unbedingt das erste, was einem zum Sudan einfällt. Und Namen wie Tariq Amin, Sister Dee oder Yobu Annet sind in Deutschland unbekannt. Im Sudan versuchen diese Künstler derzeit etwas sehr Ungewöhnliches: Sie mobilisieren vor allem junge Landsleute für die bevorstehenden Wahlen. Rock the vote auf sudanesisch.

Am 11. April wählen die Sudanesen einen Präsidenten,  ein neues Nationalparlament und neue Parlamente in den Bundesstaaten. Es sind die ersten Mehrparteienwahlen seit über zwanzig Jahren.
Dass sie wirklich frei und fair ablaufen werden, glaubt niemand. Der Sieg des Amtsinhabers Omar al-Bashir – vom Internationalen Strafgerichtshof  wegen Kriegsverbrechen in Darfur mit Haftbefehl gesucht – gilt als sehr wahrscheinlich. Erstens, weil Bashirs „National Congress Party“ vorab offenbar geschickt manipuliert hat. Zweitens, weil der Präsident durchaus Popularität genießt. Nicht zuletzt aufgrund des Haftbefehls, hinter dem viele Sudanesen im Norden eine „westliche Verschwörung“ vermuten.

Wozu dann mit enormem Aufwand Wahlen organisieren in einem Land, dessen Infrastruktur in weiten Teilen erbärmlich ist und in dem geschätzte 40 Prozent der Bevölkerung nicht lesen und schreiben können?

Nun, weil es erstens manchmal anders kommen kann als man denkt. Und weil die Wahlen Teil eines international begleiteten Friedensabkommen sind, das 2005 den Konflikt zwischen dem muslimischen Norden und dem christlich-animistischen Süden beendete. Afrikas längster Bürgerkrieg zog sich über fünf Jahrzehnte hin, wurde zeitweise genauso brutal geführt wie der Krieg in Darfur und hat mit 1,5 Millionen Toten weit mehr Opfer gefordert.

Der Südsudan genießt seit dem Abkommen einen autonomen Status und wird sich voraussichtlich in einem Referendum nächstes Jahr für unabhängig erklären, in Khartum amtiert seit 2005 eine „Regierung der nationalen Einheit“ mit Vertretern der NCP, der südsudanesischen SPLM und kleineren Parteien. Die Macht aber ist bei der NCP und bei Bashir geblieben.

Der Urnengang wird dessen Präsidentschaft voraussichtlich nicht beenden. Er könnte aber sehr wohl die Übermacht seiner Partei schmälern, ein stärkeres, widerspenstigeres Parlament und eigenwilligere Gouverneure in den Bundesstaaten hervorbringen. Kurzum, es könnten neue politische Freiräume entstehen – auch, was eine Kultur politischer Teilhabe betrifft. „Und die muss man nutzen“, sagt Tariq Amin.

Amin ist kein Politiker, sondern einer der bekanntesten Musiker und Kabarettisten im Land. Sein House of Arts in Khartum ist ein Multi-Media-Zentrum mit Freiluft-Bühne, Aufnahme-Studio, Ateliers und dem für Künstler üblichen Chaos aus halbleeren Farbtöpfen, vollen Aschenbechern und zerbeulten Cola-Dosen. Hier treffen sich politisch renitente Poeten, Rapper, Theatergruppen und einige der besten Instrumentalisten auf der Oud, der Laute. Was sie eint, ist eine ausgeprägte Abneigung gegen Militäruniformen, Sharia und Islamisten – vulgo: „Vollbartträger“.

Amin (3 v.l. bei einem Auftritt im House of Arts) hat früher einmal Jura studiert, dann auf Kunst umgesattelt. Seine Musik-, Kabarett-und Theatergruppe Hela Hop ist weit über Khartum hinaus bekannt. Zusammen mit elf anderen Musikern ist er nun auf einem Album mit dem Titel Sudan Votes Music Hopes vertreten, das im Sudan seit einigen Wochen als Kassette im Umlauf ist (CDs sind in einem Land mit vielen Sandstürmen kein geeigneter Tonträger) und jetzt auch über’s Internet gehört werden kann.

Sudan Votes Music Hopes ist mit deutscher Hilfe entstanden: namentlich der Berliner Organisation „Media in Cooperation and Transition“ (MICT), die in Konfliktgebieten im Mittleren Osten und Nordafrika Journalisten und Medienprojekte unterstützt – für den Sudan unter anderem die exzellente Website sudanvotes.com. Der deutsche Rapper Max Herre, (nicht nur) bekannt durch die Gruppe Freundeskreis, hat die zwölf Songs mit ausgewählt.

Immerhin einer der zwölf Musikern auf dem Album hat bereits im Westen Furore gemacht. Emmanuel Jal, 30 Jahre alt, von Altstar Peter Gabriel als „zweiter Bob Marley“ gehandelt, wurde im Alter von sieben Jahren Kindersoldat auf Seiten der südsudanesischen Rebellen. Als neunjähriger Kämpfer verstümmelte er mit einer Machete die Gesichter vermeintlicher Feinde. Mit elf floh er drei Monate zu Fuß aus dem Kriegsgebiet und gelangte schließlich mit Unterstützung einer britischen Nothelferin nach Kenia, wo er zur Schule ging. Er begann, Musik zu machen, landete 2005 mit dem Song Gua einen Hit. Im selben Jahr veröffentlichte er ein Album mit dem nordsudanesischen Musiker Abdel Gadir Salim, was damals ungefähr so selbstverständlich war wie ein gemeinsames Konzert israelischer und palästinensischer Musiker. Der Dokumentarfilm War Child, benannt nach Jals Autobiografie, lief 2008 auf der Berlinale.
Abgesehen von diesem Lebenslauf macht der Emmanuel Jal einfach gute Musik.

Sudan Votes Music Hopes appelliert nicht nur an Jungwähler, möglichst zahlreich ihre Stimmen abzugeben. Es drückt auch die Hoffnung auf einen friedlichen Ablauf der Wahlen aus. Die Angst vor den Sicherheitskräften ist in Khartum und anderswo durchaus zu spüren – auch wenn die politische Repression in den vergangenen Jahren spürbar zurückgegangen ist. Ebenso groß ist die Furcht vor einem „kenianischen Szenario“. (In Kenia war es nach massiven und offensichtlichen Fälschungen bei den Wahlen zu schweren Kämpfen gekommen.)

Im House of Arts testet Tariq Amin unterdessen weiter die Grenzen aus. Er hat sämtliche Präsidentschaftsanwärter aufgefordert, sich in seinem Haus einer Live-Diskussion mit Wählern über die Freiheit der Kunst zu stellen. Omar al-Bashir wird wohl nicht kommen. Aber andere Kandidaten, darunter einige politische Schwergewichte aus früheren Zeiten, sind bereits angetreten. Abgerundet wird jeder Kandidaten-Auftritt durch einen Auftritt von Hela Hop. Dank guter Lautsprecher beschallt Amin die ganze Nachbarschaft gleich mit.

Für sudanesische Verhältnisse sind das ziemlich ungewöhnliche Vorgänge. „Freedom by hand“ nennt das Tariq Amin. Freiheiten, die man sich einfach nimmt – und, wenn irgend möglich, nicht mehr hergibt.