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Wahlen im Sudan: Boykottieren oder nicht boykottieren?

 

Was geht ab in Khartum? Einiges. Zunächst der Paukenschlag: der stärkste Gegner von Omar al-Bashir im Rennen um die Präsidentschaft hat seine Kandidatur zurückgezogen.
Die anderen Oppositionsparteien ringen mit sich und der Frage, ob sie die Wahlen boykottieren soll.
Außerdem streiken die Ärzte wegen ausstehender Gehaltszahlungen. Und die Stadt macht immer häufiger Bekanntschaft mit Spontis.

Der Reihe nach: Yassir Arman, Spitzenkandidat der SPLM, der „Sudanesischen Volksbefreiungsbewegung“ ist gestern aus dem Präsidentschaftsrennen ausgestiegen. Seine Begründung: der Ausnahmezustand in Darfur mache „freie und faire Wahlen“ unmöglich.

Dass diese Wahlen nicht wirklich frei und fair sein würden, wusste auch Arman von Anfang an. Seine Kandidatur hatte eher taktisch-formalen Charakter. Denn die SPLM, seit dem Friedensabkommen 2005 im autonom regierten Südsudan an der Macht, sieht diese Wahlen als Teil eines Deals mit Omar al-Bashir, der bekanntlich vom Internationalen Strafgerichtshof mit Haftbefehl gesucht wird. Der Deal besagt: ‚Du kriegst Deine zweite Amtszeit und damit einen kleinen Triumph über den Strafgerichtshof. Wir kriegen Anfang 2011 unser Referendum und werden unabhängig.’

Das Problem: Parteien sind berechenbar, einzelne Menschen nicht. Arman begann – offenbar auch zur Überraschung vieler in der SPLM – einen echten Wahlkampf zu führen. Dass er jetzt aussteigt oder aussteigen musste, verstört – so paradox es klingt – vor allem Amtsinhaber Omar al-Bashir. Denn sollten sich nun auch kleinere Oppositionsparteien zum Boykott entschließen, wäre die Präsidentschaftswahl tatsächlich nur Theater und der erwartete Wahlsieg für Bashir auch für ihn selbst wenig wert. Der droht nun, das Referendum über die Unabhängigkeit des Südens im Januar 2011 platzen zu lassen. Das wiederum lässt die Töne zwischen den einstigen Kriegsgegnern im Norden und im Süden schriller werden und erhöht die Alarmbereitschaft in Washington, Kairo, Pretoria und bei der Afrikanischen Union in Addis Abeba.

Seit Mittwoch Abend jedenfalls ist die Anspannung in Khartum um einiges gestiegen. Zumal die Machthaber auch andere Probleme nicht unter Kontrolle bekommen. Zum Beispiel die seit Wochen streikenden Ärzte, die sich öffentlich versammeln und die Regierung bloßstellen, weil sie ihre Angestellten nicht bezahlt. Und das mitten im Wahlkampf.

Informationen darüber bekommt man in den Zeitungen, von den Ärzten selbst, die hin und wieder in kleine Scharmützel mit der Polizei geraten. Und auf der Website von Girifna (leider mit nur wenigen englischen Einträgen). Womit wir bei den Spontis wären.

Girifna heißt – salopp übersetzt: „Wir haben die Schnauze voll.“ Girifna ist, wie der Name vermuten lässt, keine Partei, nicht mal eine feste Organisation, sondern ein Khartum’s zartes Pflänzchen einer Sponti-Bewegung. Girifna-Anhänger erkennt man auf den Straßen Khartums an ihren orange-farbenen Schals oder Transparenten. Sie tauchen auf belebten Plätzen oder bei den Versammlungen anderer Parteien auf, verteilen Flugblätter, fordern die Leute auf, ihre Stimme abzugeben und die herrschende National Congress Party von Präsident Omar al-Bashir abzuwählen.

Wie Girifna entstand, beschreiben die Gründer, die aus guten Gründen ungenannt bleiben, auf ihrer Website:

„Am Abend des 30. Oktober 2009 stellte eine Gruppe von Freunden in Khartum fest, dass sudanesische Bürger keine Informationen darüber hatten, wo und wie man sich für die Wahlen registrieren lassen musste. Weder von der Regierung noch der Zivilgesellschaft gab es eine Informationskampagne. Keine Registrierung aber bedeutete: kein Wahlrecht.“

Genauer gesagt: die NCP – mit Abstand die am besten organisierte Partei im Sudan – hatte sehr wohl eine Registrierungskampagne organisiert: für ihre Anhänger. Beobachter sind sich einig, dass die wohl dosierte Manipulation der Wahlen beim Registrierungsprozess begann. Die NCP stützte sich dabei vor allem auf die „Volkskomitees“, die kleinste Verwaltungseinheit, die in jedem Wohnbezirk über das Wohl der Partei wacht, den Blockwart spielt, aber auch Sozialversicherungskarten, Wahlausweise und Bezugsscheine für kostenlose Medikamente austeilt.
Girifna-Aktivisten gingen also zunächst von Tür zu Tür, um den Leuten zu erklären, wo und wie man sich registrieren lässt. In den vergangenen Wochen und Tagen sah man die jungen Sudanesen und Sudanesinnen in Orange bei kleinen spontanen Demos, die kurzfristig über Mobiltelefon oder Facebook verabredet wurden.

Das erinnert auf den ersten Blick an die iranische Oppositionsbewegung, die in Teheran mit Handy, Blogs, Twitter, YouTube und Demos seit vergangenem Sommer immer wieder gegen den offensichtlich unsauberen Wahlsieg von Mahmud Ahmadinedschad protestiert.

Aber Vorsicht! Von einer Cyber-Opposition kann im Sudan noch keine Rede sein. Anders als im Iran ist die Zahl der Bürger mit Internetzugang auch in Khartum  sehr klein. Und von der kritischen Masse, die für große Demonstrationen nötig wäre, ist man wohl noch weit entfernt.

Was nicht heißt, dass die Sicherheitsbehörden Girifna nicht ernst nähmen. Vor zwei Wochen wurde der 18 jährige Girifna-Aktivist Abdallah Mahadi Badawi von zwei bewaffneten Männern in Zivil während einer Demonstration abgeführt. Nach mehreren Stunden tauchte er mit schweren Prellungen und Blutergüssen auf dem Rücken wieder auf. Man habe ihn, sagte er, mehrere Stunden verhört, mit Rohren geschlagen und eine Pistole an seinen Kopf gehalten. Dann habe er schriftlich versichern müssen, an keinen weiteren politischen Aktionen teilzunehmen.

Angriff und öffentliche Aufmerksamkeit sind die beste Verteidigung, dachten sich Badawi und Girifna und veranstalteten postwendend eine Pressekonferenz, auf der der junge Mann seine Verhaftung und Misshandlung beschrieb und auch gegenüber Vertretern von Human Rights Watch zu Protokoll gab.

Wie Girifna nun mit dem möglichen Boykott der Wahlen durch die Opposition umgehen wird, wissen die Aktivisten wohl selbst noch nicht. Momentan verharrt jeder in Khartum in Spannung – auf das Beste hoffend und das Schlimmste befürchtend.